Die ehrenwerten Deutschen für den Frieden e.V.

September 7th, 2006

Lesepröbchen aus dem 6. Kapitel: Während der Blockkonfrontation. (Rohfassung!)

Die Vorstellung eines “Dritten Weges” zwischen Kapitalismus und Kommunismus – die auch der in Deutschland einflußreichen Anthroposophie Rudolf Steiners eigen ist – verband sich in den 70er Jahren, als angesichts der sozialdemokratischen Hegemonie in der BRD auch im Osten von einer Konvergenz der Systeme gesprochen wurde, im Umfeld der stark anthroposophisch beeinflußten ökologischen Bewegung mit dem geschichtsrevisionistischen Ansatz, Deutschland sei seit Beginn des 20. Jahrhunderts als Vertreter einer einzigartig überlegenen Sozialordnung vom marktradikalen Westen und dem kollektivistischen Osten in die Zange genommen worden.

Obwohl sich die Linken in der Umweltbewegung gegen diese Einflüsse stets offensiv zur Wehr setzten und ihre davon abweichenden Anliegen herauszustreichen versuchten, beruhte ihre vorübergehend enorme Popularität zu großen Teilen auf der Übereinstimmung dieser deutschen Selbstüberhöhung mit den Themen der wichtigsten Kampagnen. Die eigene Verwurzelung und Naturverhaftetheit trieb die Gegnerschaft gegen moderne Technologie an, deutsche Sparsamkeit und Effizienz wurden den Müllbergen des Konsumismus entgegengehalten, vor allem jedoch wurde mit deutlich religiösem Sendungsbewußtsein den “Kalten Kriegern” die Notwendigkeit des Friedens gepredigt.

Kein Thema erwies sich als so erfolgreich wie dieses. Rückblickend mutet es grotesk an, daß die Kinder der Nazis andere Länder über den Frieden zu belehren versuchten, doch dieser Widerspruch funktionierte im Sinne des Verschwörungsdenkens eher als Bestätigung: “Gerade weil wir wissen, was Krieg bedeutet, stellen wir uns bedingungslos dagegen.” Natürlich war das Friedensengagement vor dem Hintergrund des atomaren Wettrüstens keine bloße Angelegenheit von Verschwörungsideologie, doch ist das konkrete Erscheinungsbild der Friedensbewegung und der von ihr ausgelösten Debatten kaum vom Verschwörungsdenken zu trennen.

Die Auslagerung des Faschismusvorwurfs in die USA oder in die UdSSR entschuldete die Deutschen. Die Konstruktion des positiven Selbstbildes des friedlichen, umsichtigen, moralischen und umweltbewußten Deutschen bildete in romantisch-konterrevolutionärer Tradition die wichtigste Voraussetzung dafür, Konfliktursachen wieder verstärkt von außen kommend zu verorten. Die modernen und künstlichen Gesellschaften in Ost und West unterdrückten in diesem Bild mit ihrem Materialismus das spirituell-natürliche Eigentliche der geographischen und ideellen Mitte. Zu dieser Vorstellung trug auch die Verbrüderung mit antikolonialen Befreiungsbewegungen und die Identifikation etwa mit den nordamerikanischen Ureinwohnern bei. Die Betonung des Umstandes, das Wettrüsten sei sinnlos und überflüssig, gab dem Handeln der Supermächte den Anschein reiner Willkür, die gegen die vernünftige Mehrheit der Weltbevölkerung gerichtet sei. An der Spitze dieser Mehrheit sahen sich wegen ihres hohen moralischen Anspruchs die friedensbewegten Deutschen selbst.

In diesem geistigen Klima dürfte das Verschwörungsdenken eines Mathias Bröckers seinen Ausgang genommen haben: als die eigene Position jenseits aller moralischen Infragestellung schien und es weniger auf die konkrete Verschwörung ankam als darauf, daß sie gegen die Deutschen und ihnen gleichgesinnte Völker gerichtet sei.

(mehr Entschwörungstheorie)

2 Responses to “Die ehrenwerten Deutschen für den Frieden e.V.”

  1. sashque Says:

    kleine zwischenfrage: wie bist du eigentlich auf das thema gekommen? warst du ein verschwörungstheoretiker, der “zur vernunft gekommen ist” oder sowas in der art…?

    ansonsten gefällt mir das, was bisher vom buch zu lesen war

  2. classless Says:

    Ich hab mit Verschwörungstheorien rumgespielt, wie es ja in meinem Frühwerk (“Eins auf’s Auge”) auch recht deutlich zu sehen ist. Aber die Sache war durch, als ich mitbekam, daß Leute sowas wirklich glauben und für die vollständige Welterklärung halten. Im Grunde glaube ich, daß ich die verheerenden Wirkungen von Verschwörungsglauben völlig unterschätzt habe und erst nach 9/11 – und auch eher eine ganze Weile nach 9/11 – zunehmend darüber erschrak, daß lauter Gespräche ohne Vorwarnung in ebensolcher Weise in die Themen Bush und die Neocon-Verschwörung umkippten.

    Weiterhin würde ich gern die Art verteidigen, mit der Wilson und viele Diskordianer Verschwörungstheorien als Gehirntraining verwendet haben, vielleicht ist das sogar eine taugliche Entschwörungsstrategie, besser als die Abgrenzerei – aber erst mal Ideologiekritik und dann…

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