Chaos Dub
January 2nd, 2005In die dichten Schwaden vom benachbarten Stand hinein setzt sich ein Unbekannter neben mich auf einen der knappen Stühle und sagt: „Ersma einen baun.“
„Schon schlimm, während der Arbeit so bekifft zu werden, dass einem jedesmal beim Aufstehen das ganze eingenommene Geld aus der Hosentasche fällt“, höre ich mich sagen, woraufhin Mitstreiterin Oona meint, ich sei kokett.
Hier am Bücherstand, abgeschnitten vom eigentlichen Programm des mittlerweile 21. Chaos Communication Congress unter dem Motto „The usual suspects“, sammelt sich eher die Dub-Spur der Veranstaltung, Sermons über das lausige, abwechslungsarme Essen, über das für die reichlich 3000 Hacker zu kleine Kongresszentrum (das bcc), über zu viel bzw. zu wenig Kiffen; vermittelte Informationen, die im Gegensatz zu den vergangenen Jahren aber auch hin und wieder von Linksradikalen stammen.
In den letzten Jahren liefen diese an unseren weitgehend psychoaktiven Büchern meist vorbei („Warum habt ihr denn so viel über Drogen?“ – „Das muss am Publikum liegen.“), doch gleich am ersten Tag hatte ich nun ein Zuhörer meines Vortrags im Diskussionsteil erkundigt, wo ich mich selbst ideologisch einordnen würde: „Die Jungle World liegt bei euch aus, also antideutsch?“ Ich hatte geantwortet: „Ja, das stimmt schon so.“
Jetzt steht Info-Stefan vor dem Tisch und fragt: „Wie antideutsch bist du denn nun eigentlich?“ Gegenfrage: „Gibt’s dafür eine Skala?“
Vielleicht sind auch insgesamt mehr Antifas zugegen, denn zwischen den trotz der Wärme der Innenräume unvermeidlichen Palitüchern und Bundeswehrjacken (mit Fahne und sogar Greifvogel) blitzt hier und da ein „Stalingrad 43“-Pulli hervor. Unsere CD mit den amerikanischen Kriegsliedern aus dem Zweiten Weltkrieg („When Hitler started out he took the homes from the Jews – We’re gonna tear Hitler down…“) verkaufen wir dennoch nur einmal.
Nächstes Jahr wird mein Vortragsthema nicht mehr die folkloristische Mangelrezeption des im Grunde beim CCC ja als Hausreligion funktionierenden Diskordianismus sein, sondern die recht konkrete Art, in der diese Verschwörungsfolklore den Diskurs beeinflusst. Zum Beispiel so: Als am zweiten Morgen jemand von Indymedia einen Flyer über ihre drohende Abschaltung bei uns auslegen möchte, schauen Oona und ich zunächst leicht skeptisch. Er denkt, wir wüssten nicht, was Indymedia ist, und erklärt es in fröhlicher Stimme mit nur einem Satz: „Wir werden für strukturell antisemitisch gehalten.“ Punkt. Da er anzunehmen scheint, dass uns das als Information ausreichen müsste, sage ich ebenso einfach: „Dann kannst du auch weitergehen.“
Das gute Herz der Veranstaltung verkörpert einmal mehr Henriette Fiebig, die selbst einen Vortrag über die computertechnische Lage in Entenhausen gehalten hat, und uns am Schluss – „Ich als Bildungsbürgerin“ – die Chaos-Steuer genannte Standgebühr erlässt.
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