The Da Vinci Code / Sakrileg (Film)
June 3rd, 2006(http://myblog.de/classless/art/3692244)
Nachdem ich die massenhafte begeisterte Rezeption der Verschwörungsliteratur des US-Autors Dan Brown bereits in meine Überlegungen zur Entschwörungstheorie eingebaut hatte, um an ihnen die für Verschwörungstheorien charakteristische Konstruktion eines Eigentlichen gegen ein Abstraktes – im Falle von “Sakrileg” also der wirklichen königlichen Blutlinie statt der metaphorischen Herrschaft Christi – aufzuzeigen, hielt ich es für angebracht, mir auch den dazugehörigen aktuellen Blockbuster anzuschauen.
Das wenige Gute vorweg: die reichlich zwei Stunden gehen schnell vorüber, Audrey Tatou hat trotz ihrer überladenen Rolle als letzter Nachfahrin von Jesus die eine oder andere Pointe,
Abgesehen davon ist der Film nicht nur unbeschreiblich platt und vorhersehbar, sondern erscheint mir auch kreuzgefährlich (sic!). Denn die Frontstellung des Eigentlichen gegen das Abstrakte ist viel offener antisemitisch konnotiert, als ich angenommen hatte. Sehr klar stehen sich Natürlichkeit und Künstlichkeit schon dadurch gegenüber, daß die Selbstgeißelung des tötenden Opus-Dei-Adepten, der hier auch noch völlig blödsinnig als Mönch bezeichnet wird, als reine Perversion funktioniert. Er ist als Albino völlig überzeichnet und vereinigt als einziger offen Nichtgesunder und als williges Werkzeug der Verschwörung klassische Stereotypen in sich.
Zur Tötungsabsicht heißt es denn auch: “Sie wollen ihn töten, wie sie Jesus getötet haben.” Überhaupt wird in den geschichtlichen Rückblicken einiges an Relativierung ausgepackt: “Der Hexenhammer war das blutrünsigste Traktat in der Geschichte der Menschheit.” 50000 getötete vermeintliche Hexen werden genannt, mit dem bezeichnenden Nachsatz: “… manche reden von Millionen.”
Der von Tom Hanks zur reinen Karikatur reduzierte Symbologe, der mit Audrey Tatou auf der Suche nach dem Gral, also dem Beweis der königlichen Abstammungslinie, herumhetzt, kann für einen Mann seines Fachs auf ein Symbol angesprochen verblüffend schnell sagen: “Das hat keine Bedeutung.” Was jedoch für ihn Bedeutungen sind, führt er eingangs in einem Power Point-Vortrag aus. Er präsentiert seinem Publikum Bildausschnitte, die ein bestimmtes Symbol erkennen lassen, um dann beim Herauszoomen ein Gesamtbild mit einer anderen Bedeutung zu zeigen. Die ersten beiden Beispiele sind die Teufelsforke, die sich als Poseidons Dreizack entpuppt, und eine vermeintliche Jesus- und Maria-Szene, die eigentlich Isis und Osiris zeigt. In beiden Fällen gibt es eine “ursprüngliche” Bedeutung des Symbols, die für den Symbologen hier auch explizit die wahre Bedeutung ist, während die verfälschte durch den jüdisch-christlichen Kontext entsteht.
Das dritte Beispiel, das nicht mehr direkt kommentiert wird, sondern nur groß im Hintergrund zu sehen ist, bildet das Hakenkreuz in der Verwendung durch die Nazis, dann in seiner “ursprünglichen” Bedeutung als indisches Swastika. In dieser vorgeführten Reihe wurden wir also irregeführt, es als Nazi-Symbol zu sehen, was es ja “eigentlich” nicht ist. Hier handelt es sich um einen wohlbekannten Taschenspielertrick von Antisemiten, die dafür werben wollen, das Symbol wieder überall zeigen zu dürfen, typisch etwa (Achtung, Naziseite) so.
Die “Entschlüsselungen” im weiteren Verlauf des Films sind ähnlich unterkomplex, Anagramme gelten bereits als Codes und immer müssen die Buchstaben zurück ins Glied, um wieder den “ursprünglichen” Sinn zu ergeben. Ein Teppich auf einer Klappe ist der Schutz für die zweitausend Jahre alte Bibliothek der “Gralsdokumente”, die dort in einem feuchten englischen Keller gelagert werden.
“Historiker-Porno” nannte scrupeda diese Filmsequenz: in Regalen mit Aufschriften wie “8-54 AD” geordnet, aber nicht von Archivaren weggeschlossen, liegt dort die Aufzeichnung der einzig relevanten Königsfamilie griffbereit herum. So hätten sie es gern. Gralsforscher Teabing darf denn auch lange vorher schon ausrufen: “Die Geschichte war hinter Glas – jetzt leben wir die Geschichte!” (In punkto Implikationen auch nicht schlecht: “Niemand haßt die Geschichte, man haßt nur seine eigene Geschichte.”)
Unterdessen wird die potentielle Königin, die letzte Vertreterin der Jesus-Dynastie, jedoch immer farbloser. Anfänglich wird ihr für eine Frau verwirrend viel Intelligenz zugeschrieben, der Symbologe sagt: “Ich habe noch nie eine Frau getroffen, die so viel von Verschlüsselung versteht.” Dafür bekommt er weder eine gefeuert noch einen Kommentar. Doch nachdem der Spuk aufgeklärt ist und klar wird, daß sie nur wegen der Anleitung ihres Großvaters soviel darüber weiß, um später die Schlüssel richtig anwenden zu können, wird sie fast vollständig wieder zum dummen Muttchen, daß hin und wieder eine kindlich-launige Bemerkung machen darf. Zum Frauenbild fällt auch auf, daß alle befreite Weiblichkeit die Bruderschaft von Sion dennoch Wert darauf legen läßt, daß Maria Magdalena königlichen Blutes war und keinesfalls eine Prostituierte – als solche ist sie nur von den Katholiken verunglimpft worden, “das arme Ding.” Vielsagend, daß die abstrakte Gottheit, der Menschengott Jesus, Maria Magdalena auch als Hure akzeptierte.
Pierre Plantard entwarf die zugrundliegende Verschwörungslegende in den Sechzigern als Mittel zur Reinigung der katholischen Kirche vom jüdisch-antichristlichen Einfluß, der nicht nur von ihm im Zweiten Vatikanischen Konzil als manifest angesehen wurde.
In gewisser Weise ist Plantards Theorie eine antisemitische Rettung durch die Kassierung einer anderen katholischen antisemitischen Verschwörungstheorie, die von ihm als Irreführung angesehen wurde, nämlich der von den “jüdischen” Templern. Diese hatten in der Auffassung unzähliger katholischer Laien nämlich die Kreuzzüge mißbraucht (in manchen Fassungen sogar angezettelt), um sich in Palästina zu bereichern und ihre Templerbank zu begründen.
Die Staatsaktion gegen den Templerorden 1307 wurde nach dieser Logik als gerechtfertigtes Pogrom angesehen. Plantard widerspricht dieser Geschichte, indem er die Templer und Prieuré de Sion zu Wächtern eines in Palästina geretteten Reliktes macht, was ihre Verfolger in ein völlig anderes Licht rückt.
Gleichzeitig zielt Plantards Revision jedoch ins “jüdische” Herz der christlichen Kirche, nämlich auf die Verehrung einer Abstraktion, eines übermenschlichen Göttlichen und einer metaphorischen Herrschaft. Dagegen setzt er – wie auch Buch und Film von Dan Brown – eine ganz im lutheranischen Sinn “menschlichere”, “sinnlichere” Religion, einen Lebenskult gegen den vermeintlichen Todeskult, ein gesundes neuheidnisches Konkretes, um die jüdisch-christliche Selbstkontrolle und Abstraktion wieder loszuwerden. Von der katholischen Marienverehrung ist vielleicht auch deshalb nichts zu sehen und zu hören, denn sie würde die Ähnlichkeit zwischen der als frei bezeichneten Ursprünglichkeit des empfangenden Weiblichen als “Kelch” und dem katholischen Mutter-Ideal augenfällig machen. Befleckt oder unbefleckt, zentral bleibt die Empfängnis.
Daß ein derart fundamentaler Angriff auf die Vermittlung mit derart plumpen Mitteln funktionieren kann, weist darauf hin, wie groß die Gefahr massenhafter Verbreitung von Verschwörungstheorien derzeit ist. Daß vieles in Buch und Film keinen rechten Sinn ergibt, daß die Rätsel alle sehr ähnliche Lösungen haben, daß Opus Dei als Reaktion auf die einsetzende Flut von Drohungen und Verdächtigungen maximale Transparenz praktiziert – all das wirkt dank verschwörungstheoretischer Aufbereitung eher noch unterstützend.
Dem wahnhaften Quatsch ist, wie der ‘Spiegel’ uns gerade sehr schön an Ahmadinedschad vorgeführt hat, mit Argumenten nur mäßig beizukommen. Ihm muß der Boden entzogen werden, indem für Vermittlung, Abstraktionsfähigkeit und Selbstdistanz geworben wird, indem immer wieder darauf hingewiesen wird, wohin die negative Aufhebung der gegenwärtigen Zumutungen führt. Der AFBL faßt das ganz treffend: “Capitalism is not a conspiracy of a few – it works cause we work.”
August 29th, 2008 at 09:29
fand ihn sehr langweilig. schade um das verschenkte potential was das buch hergegeben hätte. und schade um audrey tautou und tom hanks die ihr schauspielerisches talent in besseren filmen hätten unterbringen können. mittelklasse-kino ohne besondere höhen und langen durststrecken.
hier noch eine kritik:
http://www.resurrection-dead.de/dailydead/the_davinci_code_-_sakrileg
September 3rd, 2009 at 22:12
[…] ihren besondern Ausprägungen, sowie sogar zu Dan Brown finden sich bei Classless [etwa hier oder hier] eigendlich ausreichend Materialien. Wäre Dan Brown damit Genüge getan, wäre seine wie jede […]