Verschwörungstheorie und Postmoderne – Entschwörung unterwegs, Teil 3

July 18th, 2006

Im dritten Teil meiner Sommerreise, nach den deutschen Nachwirkungen und den Londoner Offenbarungen, wendete ich mich der British Library zu, die allein bereits ein Grund wäre, sich direkt in ihrer Nähe niederzulassen.


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Ich entdeckte allerlei US-Veröffentlichungen zu Verschwörungstheorien, wobei auffällig viele aus dem Jahr 2000 stammten. Ergiebiger waren jedoch die neueren Texte.

Samuel Chase Coale erinnert in “Paradigms of Paranoia” an die Nähe von Kollektivkonstruktionen wie der Nation zur Verschwörungstheorie. Dem authentischen Eigenen wird das andere Fremde gegenübergestellt.

Die Popularität von Verschwörungstheorien in den USA der Neunziger bringt er in Zusammenhang mit der akademischen Postmoderne, als deren Gegenmittel sie sich empfehlen:

“Conspiracy, whether actual or theoretical, provides an antidote to postmodernism: everything becomes a sign, a clue, a piece of a larger puzzle… The concept of conspiracy … reduces everything to evidence and predetermined clues. It literalizes experience, seeing connections in coincidence, chance, and accident. It fixes identity, transforms the fluidity of postmodern theory into foreordained scripts of conspiracy theory. It denies or undercuts the singularity of particular information and interprets it as part of some larger allegorical structure… In many ways this can become a comfortable notion since the contemporary world becomes explainable and explained, the postmodern malaise rationalized and understood.”

In diesem schönen definitorischen Zitat fällt jedoch bereits auf, wie Verschwörungsdenken als Exempel falschen Denkens Verwendung findet. Daß alles zum Beleg wird und die Schlüsse bereits vorab feststehen, ist ja kein exklusives Merkmal der Verschwörungstheorie. Moderne Konspirationisten legen ja Wert auf ihre ergebnisoffene Herangehensweise und werden nicht müde zu betonen, wie sehr sie von ihren Erkenntnissen selbst überrascht wurden. In dieser Recherche-Travestie führen sie jedoch sämtlichen Wissenschaftlern und Journalisten, die Empirie nur zur Bestätigung verwenden, vor, wie leicht der Jargon der gründlichen Nachforschung vorzutäuschen sein kann. Coale weist auch darauf hin, daß mit der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Verschwörungstheorien die Grenzziehung eher schwieriger geworden sei: “By the 1990s, conspiracy had become a critical subject in its own right, although at times it was often difficult distinguishing criticism of conspiracy from a parallel vision of conspiracy.” Bei Wilson befände sich die akademische Entschwörung also derzeit in der Chapel Perilous: “In researching occult conspiracies, one eventually faces a crossroad of mythic proportions (called Chapel Perilous in the trade). You come out the other side either stone paranoid or an agnostic; there is no third way. I came out agnostic.”

Noch verstrickter wird es, da Coale im Menschenbild von Verschwörungstheorie und Postmoderismus Gemeinsamkeiten attestiert: “…both assault the idea of a transcendent, antonomous and individual self. Each self becomes the subject of a particular discourse or the tool of a particular conspiracy.”

Mit diesem Gedanken der dialektischen Beziehung von Verschwörungstheorie und Postmoderismus im Hinterkopf geht es an die weiteren Bestimmungen über die Wurzeln des Verschwörungsdenkens im biblischen Fundamentalismus. Vor allem die Buchstäblichkeit, das Glauben an den genauen Wortlaut, wird von Coale hier parallelisiert, wenn er etwa schreibt: “Like a fundamentalist worshipping the literalness of the Bible, clasping the icon to his breast, Marrs accepts the theory of one Zecharia Sitchin…” Die wörtliche Auslegung, die ja in sich bereits ein Paradox ist, wird zum “ultimate metanarrative”, zum Gegenpol des postmodernen Mangels an Glauben. Die Position des am Worte klebenden, kaum alphabetisierten Bauern, die zahllose Verschwörungstheoretiker gegen die abstrakte Verwirrung von Moderne und Postmoderne einnehmen, parodiert sich natürlich selbst. Über Hal Lindsey schreibt Coale: “The scriptures literally predicted the future, and he interpreted them literally, except when he interpreted them figuratively.”

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Auch Dan Brown, der bereits bestehende, also “reale” Verschwörungstheorien in seinen Büchern verwendet, wird dieser Glauben an den Buchstaben (“faith in the literalness of language, metaphor, and the parameters of an actual conspiracy”) attestiert, sein Verschwörungsdenken spiegele das von Hardcore-Autoren wie Jim Marrs.

In der Vermittlungslücke zwischen dem unfehlbaren Text und seiner Interpretationsbedürftigkeit entstehen die chronischen Denkfehler: “The pattern replaces the absolute proof, which is impossible to find… Consistency always overrules coincidence in such matters.” (Oder wie der liebe Herr Seyfarth die ultimative verschwörungstheoretische Frage so präzise formulierte: “Wen gibt es?”) Beim unfehlbaren Text handelt es sich die nach wie vor am häufigsten um die Johannesoffenbarung, die christliche Anleitung zum antizivilisatorischen Weltkrieg, die in verschiedenen Umfragen von US-Amerikanern doppelt so häufig für wahr gehalten wurde wie die gesamte Bibel. Im Apokalyptischen finden sich Verschwörungsgläubige mit anderen Gläubigen sozial zusammen: “Both conspiracy theories and apocalyptic belief share their full quota of fatalism and despair, but in each eventually there will be conclusion, and the true believers who are aware of the process and the vision now are the only ones who will be triumphant and saved. Faith will eviscerate skepticism, and skeptics will be crushed.” Daher, resümiert Coale, “is no end in sight to the proclaiming of the end that is to come.”

Michael Barkun widmet sich in Culture of Conspiracy aus dem Jahr 2003 der auch für mich zentralen Frage nach dem Überschwappen der Verschwörungstheorien aus dem Kreis der klassischen und zumeist wenigen Anhänger in andere Teile der Gesellschaft. Er benennt Schnittstellen, die auf Glaubensbedürfnisse der Mehrheit hinweisen, etwa die Vorstellung, die Welt sei – vom Schöpfer oder von einer allmächtigen irdischen Instanz – willentlich gestaltet worden und kein Zufallsprodukt. Die drei Grundregeln für Verschwörungstheorien, die er formuliert, erklärt er gleichzeitig zu weit verbreiteten Denkähnlichkeiten: “Nicht geschieht zufällig. Nichts ist wie es scheint. Alles ist miteinander verbunden.” (Insofern stellt sich meine jahrelange Tramperei als sehr wirksames Antidot gegen Verschwörungstheorien heraus: Alles ist Zufall; ich komme nur weg, wenn ich wegkomme; es gibt keine Verbindung, die nicht hergestellt wird; der Schrei im Moment der Gnosis laut scrupeda: “Der Diskurs hat mich verlassen” ) Die Attraktivität des Verschwörungsdenkens bestünde eben gerade darin, Okkultes als vergessenes, übergangenes, mißachtetes, abgelehntes oder offen unterdrücktes “Wissen” zu präsentieren und damit der populären Ahnung zu entsprechen, daß jenseits der “offiziellen” Fakten und auch jenseits des Faktischen die “eigentlich” essentiellen Dinge zu finden sind.

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Den Vorgang der Popularisierung von Verschwörungstheorien schildert Barkun für die USA spiegelverkehrt zum Geschehen in Europa. Dort war der Millenarismus nur auf in diesem Ausmaß auf Verschwörungstheorien angewiesen, solange er relativ unpopulär war. Seit dem Jahr 2000 und noch verstärkt seit 9/11 hingegen gehen die biblischen Apokalyptiker offensiv davon aus, daß die Zeichen nicht erst gedeutet werden müßten, sondern daß das Weltende jedem Gläubigen offenbar sein müßte. (Das, obwohl gerade die Lokalisierung Babylons solchen Dissens verursacht. Es wird gestritten, ob es in Washington, New York, in Kalifornien oder – wie beim kanadischen Evangelisten Grant R. Jeffrey – im Irak liegt.) Während in Europa also verschwörungstheoretische Deutungen, die schon in den Neunzigern präsent waren, erst seit 9/11 zu ihrer enormen Verbreitung kamen, ist der Verschwörungsboom in den USA bereits am Abklingen.

Genau am jeweiligen Umschlagpunkt befindet sich der Sammelband “The Age of Anxiety. Conspiracy theory and the Human Sciences”, herausgegeben von Jane Parish unmittelbar vor 9/11 und noch mitten in der Verschwörungspop-Phase. Hier kann die ganze Anfälligkeit des geisteswissenschaftlichen Betriebs für Konspirationismus besichtigt werden. Ohne die wesentliche Unterscheidung zwischen dem Erwägen einer Verschwörung und dem Glauben an eine Verschwörung im Auge zu behalten, wirft sich die Herausgeberin in der Einleitung den “neuen” Verschwörungstheorien an den Hals: “Conspiracy theorizing at the end of the 20th century marks a new way of governing our relationship with others and our involvement with key social and economic institutions.” Hätten die “alten” Verschwörungstheorien aus dem Weltbild armer Leute bestanden, die einen persönlichen Sündenbock suchten, ginge es nun im Stile Michael Moores darum, Sinn in der Unübersichtlichkeit zu stiften, um “conspiracy practice” (was immer das sein soll) und auch um neue “scapegoats”, nämlich Hacker und Viren. Warum ein Hacker kein persönliches Target mehr darstellt, leuchtet mir nicht ein, depersonalisiert ist er genau wie der vermeintliche Weltverschwörer ja nur aus sicht des Konspirationisten, der Affekt gegen den Hacker trifft jedoch reale Personen, die real im Gefängnis landen.

Zur Verwischung des Unterschieds zwischen Neugier und Verdächtigung, zwischen Investigation und Verschwörungsdenken werden dann allerlei postmoderne Theoretiker aufgefahren, zum Beispiel: “For Lyotard, to answer the question ‘Why?’ is a nostalgic search for an abscent cause… The question ‘why?’ ignores the idea that disjuncture not only separates, but brings together and mediates a process of betweeness that enables us to see the real, not as a final closure or the recovery of a lost totality as ‘conventional’ conspiracy theory would have us find, but as an open origin.” Das klingt alles ganz gut, sagt aber nichts über das diskutierte Problem und sorgt eher dafür, daß im weiteren Verlauf des Buches verschiedene Formen von Verschwörungsdenken als gesellschaftskritisch und subversiv geadelt werden, denen diese Prädikate anders als etwa dem diskordischen Ansatz kaum zustehen.

Es wird zumeist die Person des Verschwörungstheoretikers pathologisiert (Mark Featherstone: “…conspiratorial thinking as a pathological effect of the dissolution of social recognition, a paranoid form of non-knowledge caused by the rise of political ideologies which foreground the rights of the individual at the expense of those of all others”) oder seine Methode oft zutreffend kritisiert (Alasdair Spark über Noam Chomsky: “mode of enquiry… deep mining of the world’s detail for bits of evidence”), dann gibt es jedoch eine selten nachvollziehbare Wendung dahin, daß die Ergebnisse und auch ihre Vermittlung letztlich fruchtbar seien. Chomsky ist trotz seiner Selbstgerechtigkeit eben für die Globalisierungskritik wichtig, Michael Moore ebenso, und Verschwörungskritiker wie Daniel Pipes werden der manischen Diskreditierung der Linken überführt.

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Insgesamt verdeutlichen diese Autoren die fragile Abgrenzung der akademischen Erkenntnismethoden zu den als verschwörungstheoretisch äußerlich gemachten. Oft wirken die Ablehnungspassagen wie Lippenbekenntnisse oder Rezitation von Glaubenssätzen, während beim Zitieren der Verschwörungsliteratur Faszination sichtbar wird. Schon daher wird es bei meiner weiteren Beschäftigung mit dem Thema wichtig sein, beispielhaft Ideen aufzuführen, die nur von der akademischen Beschäftigung mit dem vermeintlich anderen zu Verschwörungstheorien gemacht wurden, wie etwa die Chronologiekritik. (Samuel Chase Coale stellt etwa die doppelbödige Frage: “Whose history verifies these prophecies?”) Im Zusammenhang mit der Einteilung in “alte” und “neue” Verschwörungstheorien, die in beinahe jedem Einzelfall nicht triftig erscheint, stellt sich auch die Frage, ob der Satz “Es gibt keine Weltverschwörung” nur bedeutet “Es gibt keine Weltverschwörung mehr“, was einen gewaltigen Unterschied ausmacht.

In Anlehnung an Coales Konzept von der Dialektik von Verschwörungstheorie und Postmodernismus sei der einzige wirklich schöne Satz aus “The Age of Anxiety” zitiert, aus dem Beitrag von Peter Knight:

“I’m not entirely certain whether it’s better to believe that everything is shaped by discourse, or by the Trilateral Commission.”

(http://myblog.de/classless/art/4015400)

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