Freunde der offenen Gesellschaft vs. Kritische Theorie
July 27th, 2006“Die Kritik der Utopie kommt in Deutschland an Adorno nicht herum”, begann Ingo Way den Abend, und in diesem Satz kündigte sich schon an, worauf es im weiteren hinauslaufen würde: auf ein Abarbeiten an einem behaupteten Gegner, im holprigen Gestus eines Parteiausschlußverfahrens gegen die Genossen Horkheimer und Adorno bzw. die meiste Zeit über nur gegen letzteren.
Es ist mir nicht möglich, sämtliche Anwürfe aufzuführen, da sie gerade in den ersten Minuten in Form von weitgehend unzutreffenden Kernsätzen über das Publikum hereinbrachen, vielleicht hat scrupeda es geschafft, mehr mitzuschreiben.
Adorno hätte einen anarchistischen Radikalindivualismus vertreten, sei gegen die Gesellschaft an sich gewesen, hätte verinnerlichte gesellschaftliche Strukturen per se als Unfreiheit angesehen. Glück, und nicht nur das von der Partei, äh, den FdoG befürwortete Streben nach Glück, sei für Adorno wichtiger gewesen als Freiheit, er hätte eine Glücksgarantie verlangt.
Adorno hätte Entfremdung nicht als Freiheitschance verstanden, Freiheit sei nun einmal “kalt”. Adornos Utopiemuster sei die eigene Kindheit gewesen, es wäre ihm darum gegangen, für immer Kind zu bleiben. Wegen seiner kindlichen Versorgungsmentalität sei ihm der nivellierende Tausch als “das Übel schlechthin” erschienen sowie jegliche Abstraktion als Gewalt. Adorno wäre gegen die Verdinglichung gewesen, während doch “sogar” Kant zuläßt, daß Menschen Objekte sein können, nur eben nicht ausschließlich. Der Kapitalismus sei “sehr wohl” mit dem kategorischen Imperativ vereinbar.
Adorno sei für altruistische Liebe gewesen, während die richtige Liebe Tausch sei und ins Private gehöre, wo sie ja auch schon sei.
Adorno würde einen objektiven Wert voraussetzen, von der Möglichkeit eines gerechten Tauschs unter Gleichen ausgehen.
Die Frage müsse gestellt werden, ob die Kritische Theorie Deutschland gar nicht verwestlicht, sondern von der Verwestlichung eher abgehalten habe.
Die Faschismustheorie sei “historisch widerlegt”, weil die Theorie des Monopolkapitalismus widerlegt sei, immerhin gäbe es ja “keinen autoritären Staatskapitalismus mehr”.
Adornos Philosophie sei 1930 fertig gewesen, er hätte die Entfremdungstheorie und auch die Begriffe der Entfremdung und Verdinglichung “fertig” von Georg Lukacs, einem ehemaligen Lebensphilosophen, übernommen.
Weiter wurden Adorno zur Last gelegt: sein “radikalindividualistischer Wahn, alles selbst beherrschen und kontrollieren zu wollen”; sein “latenter Antiamerikanismus”; seine Verteidigung des “deutschen Geistes” gegen die Kulturindustrie. Überhaupt sei er als “romantischer Philosoph” “durch und durch deutsch” gewesen. (Das war wohl als Botschaft von den referierenden Ex-Antideutschen an die anwesenden mutmaßlichen Antideutschen gedacht.)
Adorno hätte weiter mit seiner hypnotisierenden Sprache, die ja nur über seine Monokausalität hinwegtäuschen sollte, den Boden für Negri/Hardt und den Poststrukturalismus bereitet. Eckhard Henscheids bekannte Parodie würde das sehr gut zeigen.
Für Adorno hätte ein intuitiver (und also kein positivistischer) Wahrheitsbegriff gegolten, seine Philosophie trage also jede Menge “antiliberale und antiwestliche Züge”.
Dabei könnten zweierlei Adornos ausgemacht werden, ein deutscher und ein westlicher. Die “Beimischung” der maximal fürs deutsche Publikum zumutbaren Dosis “westlichen Denkens” hätte Adornos “Erfolgsrezept” ausgemacht.
Bis hierhin alles klar, wir sind jetzt Positivisten und wollen uns mit Begriffsbildung und Dialektik nicht mehr rumschlagen, weshalb die Kritik sich auch jedes Verständnisses für ihren Gegenstand beheben darf. Jedoch war diese pseudo-positivistische Zertrümmerung eines dialektischen Denkers erst die “Einleitung” gewesen, jetzt schickte sich Michael Holmes an, nach der Philosophie vor allem die Ökonomie bei Adorno niederzumachen, ihm also vorzuwerfen, daß er nicht in den Neunzigern VWL studiert und verinnerlicht habe. Vorrangig jedoch warb Holmes für den Kapitalismus, von dessen Letztgültigkeit er sich offenbar selbst immer noch überzeugen muß.
Zunächst einmal gäbe es bei Adorno nirgendwo, in keinem Buch nachprüfbare Belege. Dann sei natürlich klar, daß das Kapital abstrakt sei, was aber nicht bedeuten würde, daß es nichts Gutes tun könnte. Was es Gutes tut, sei zum Beispiel im “Kapitalistischen Manifest” von Johan Norberg nachzulesen. Nicht nur beim Wohlstand, sondern auch bei der Armutbekämpfung gäbe es “eindeutige Beweise” zugunsten des Kapitalismus, so Holmes, “es tut mir fast leid”.
Kritik an der Qualität der Produkte sei angesichts der Armut unredlich und antiirgendwas. Es gäbe keinen Text von Adorno über Hunger. Der Kapitalismus würde eben kein “Meer aus Schrott” hervorbringen, sondern gerade wegen des Zwangs zum Verkauf eine gute Qualität hervorbringen. Heute würden in jeder Tasche “Supertelefone” stecken. Der Kapitalismus sei “perfekt auf unsere Bedürfnisse abgestimmt”.
“Nicht von der Hand zu weisen” seien hingegen die Folgen der Produktion für den Produzenten, Arbeit mache doof, gestreßt und einsam, aber der Kapitalismus würde die Folgekosten reduzieren. “Wir” würden weniger arbeiten als jede andere Gesellschaft, die Arbeitszeit wäre kontinuierlich im Sinken begriffen. Wollte dennoch jemand auf reiner Subsistenz leben, stünde es ihm frei, das Startkapital könne er sich “mal eben schnell in der U-Bahn zusammenbetteln”.
Adorno würde nun dem Kapitalismus beständig Gewalt unterstellen, daß etwa das Besondere vom Allgemeinen “wie mit einem Folterinstrument zusammengepreßt” werde. Die Kritische Theorie sei “nicht einfach nur falsch”, sondern “absurd und unverantwortlich”, ein “Größenwahn”, der die “Lösung für alle Probleme kennt”.
Immerhin einen anregenden Gedanken äußerte Holmes bezüglich des Verschwörungsdenkens. Die Kritische Theorie habe nur die Erscheinungen dieses Denkens, besonders die Personalisierung, angegriffen, davor stünde jedoch als Voraussetzung der Gedanke, daß es eine Wurzel allen Übels gebe. Eine große Angst könne viele kleinere überlagern und Paranoia auf diese Weise zur Stabiliserung des Bewußtseins beitragen. Selbstredend diente dieser Exkurs nur dazu, den Protagonisten der Kritischen Theorie unterstellen zu können, von einer solchen Wurzel “allen Übels” auszugehen, sich selbst als Eingeweihte anzusehen und als Propheten aufzutreten. Überdies habe die Kritische Theorie “dieses Denken” bei kritischen Intellektuellen etabliert.
Die Wahl des Feindes sei mit dem Kapitalismus gut getroffen worden, da er allgegenwärtig sei.
Nun wollte Holmes mit einem Satzbaukasten demonstrieren, wie leicht es sei, einen Adorno-Satz zu erzeugen. Man bräuchte nur zwei Schubladen, eine für “Egoismus”, eine für “Kollektivismus”, und könne sich dann daraus bedienen. Sein vorgestellter Beispielsatz klang insofern nach Adorno, daß es sich um verwandten Jargon handelte, der Unterschied bestand jedoch darin, daß er Quatsch war und nicht mal als Cut-up Reiz ausübte.
Auf der Zielgeraden redete sich Holmes sogar noch heißer als sonst, als er sich Adornos Totalitäten vornahm. Das falsche Ganze gäbe es bei Adorno immer nur im Singular. Er hätte keine biologistischen Gedanken zulassen. Er hätte die “Aufhebung sämtlicher Widersprüche” in Aussicht gestellt, den “uneingeschränkten Trieb in all seiner Pracht”. (Zwischenfrage aus dem Publikum: “Aber wer sagt denn das wo?” Holmes: “Komme ich gleich zu.”)
Adorno hätte “nichts als Verachtung” für das Gewissen übrig gehabt. Um seine “pubertären Fieberträume” nicht zu entblößen, habe Adorno´sich der deutlichen Formulierung einer Zielvorstellung enthalten. Überhaupt hätte er keine trivialen Wahrheiten anerkannt, das Wahre hätte immer kompliziert sein müssen.
“Adorno und Horkheimer haben sich nichts zuschulden kommen lassen”, schloß Holmes seine Unrteilsbegründung, sie hätten immer tapfer die Linke kritisiert. Aber die Kritische Theorie sondere die Menschen von der Welt ab, die Probleme ihrer Anhänger erwüchsen aus der Kritischen Theorie selbst. Und es stünde zu befürchten, daß bei der praktischen Umsetzung der enthaltenen Utopie die Wirtschaft zusammenbrechen würde und die zum Übel Erklärten im Gulag landen würden. Also Ronald McDonald und Käpt’n Iglu?
Nach diesen Tiraden gegen ein weitestgehend zusammenphantasiertes Feindbild, das durchaus Züge der deutschen Linken trug, jedoch kaum Adorno oder der Kritischen Theorie insgesamt entsprach, wirkte die Dritte auf dem Podium, die bekannte Buchautorin Sylke Tempel, mit ihren folgenden eher skizzierten Gedanken leicht deplaziert. Sie schloß sich dem Vorausgegangenen an und nahm sich dann drei Texte Adornos vor, die ihn in Widerspruch zu sich selbst gebracht haben sollen. Hauptsächlich ging es um sein Lob für die US-amerikanische Demokratie und seine in den USA vollzogene Hinwendung zur empirischen Forschung. Im Grunde beschädigte sie allerdings nur das zuvor aufgebaute Feindbild, indem sie Adornos komplexere Position andeutete und zuletzt auch seinen Individualismus als zutiefst amerikansich verteidigte. Unbedingt mußte sie sich darüber lustig machen, daß Adorno Gedanken über Mobile Erziehungskommandos fürs ländliche Deutschland angestellt hatte. Diese Kommandos, Frau Tempel, gibt es heute, sie tragen den Namen Autonome Antifa.
Die Diskussion wurde damit eröffnet, daß Ingo Way Sylke Tempel fragte, ob Adorno gegen Ende seines Lebens vor einer “liberalen Wende” gestanden hätte. Danach gab es aus dem recht konsterniert wirkenden Publikum die Frage, ob denn da bei Adorno nicht noch etwas mit Dialektik gewesen sei, worauf Ingo Way zugab: “Mir ist nicht klar, wozu Dialektik gut ist.” Holmes darauf: “Dialektik im Denken ist nicht schlecht, aber es gibt keine Widersprüche in der Realität.” Auch die folgenden Einwände gegen die Unredlichkeit einer derart pauschalen Adorno-Kritik wurden hastig abgewatscht, Infragestellung der Segenshaftigkeit des Kapitalismus mit dem Hinweis auf die unwiderlegbare Wissenschaft abgeschmettert.
Von anderen FdoGlern aus dem Publikum wurde beklagt, daß die Kritische Theorie überall sei und daß Adornos regressiver Charakter leider nicht manifest sei, was das Bekämpfen der Kritischen Theorie so erschweren würde. In dieser Phase klang es, als wäre das Tribunal in ein Treffen Anonymer Adorno-Opfer umgeschlagen.
Alles in allem hätte die Veranstaltung als Show genossen werden sollen, als Exorzierung eines grob nach Adorno modellierten bösen Geistes, von dessen Einfluß man sich endlich befreit hätte, aber die anderen eben noch nicht. Der ideologische Charakter, der Mangel an Selbstzweifel und Infragestellung, die Adorno vorgeworfene Monokausalität – all das wurde selbst zur Schau getragen. Welcher derjenigen Anhänger der Kritischen Theorie, an die der Abend adressiert war, etwa die Akkumulationsleistung des Kapitalismus infragestellt, jegliche Vermittlung abschaffen will oder sich noch zur Verteidigung irgendeines Sozialismus aufschwingen mag, ist mir nicht ganz klar, hier schien es eher, als ginge es um die eigene schlecht verdaute Rezeption und die eigenen einst vertretenen Positionen während des glücklich überwundenen “antideutschen” Lebensabschnitts.
Warum Adorno als vierter in einer Veranstaltungsreihe mit Hitler, Mao und Bin Laden auftauchte, warum also sein Wirken (oder auch das der kaum behandelten übrigen Vertreter der Kritischen Theorie) als Weg zum Massenmord angesehen werden muß, ist weiterhin nicht einzusehen. Ebensowenig, warum die Kritischen Theorie als “unterkomplex” anzusehen sein soll, während die offenbar dagegen starkgemachte komplexere Position darin zu bestehen scheint, daß einfach alles schon so gut ist, wie es ist. Die Veranstalter haben sich bereitgefunden, sich am Freitag einer “linken” Demonstration anzuschließen, trotz ihrer grundsätzlichen Bauchschmerzen mit einer Kernstelle des Aufrufs:
“Die hier beschworene Utopie der Versöhnung halten wir für totalitär. Versöhnung ist in der diesseitigen Welt nicht wünschenswert, jedenfalls nicht im politischen Sinne. Benötigt werden Institutionen, die die unblutige Austragung von Konflikten ermöglichen, ohne diese selbst abschaffen zu wollen. Dies wird nämlich nicht gelingen, ohne diejenigen, die sich partout nicht versöhnen lassen wollen und weiterhin auf ihren Interessen bestehen, die nicht automatisch mit denen aller anderen Menschen harmonieren, physisch aus der Welt zu schaffen. Wer würde da wohl wieder als erstes dran glauben müssen?”
Nun ja, ich gehe umgekehrt auch trotz der Beteiligung der “Freunde” der kurz angedachten Begriffe am Freitag mit.
July 27th, 2006 at 23:18
Das empfohlene Buch war nicht das konsumistische Manifest, sondern das kapitalistische. Der Autor ist Johan Norberg. Wenn Sie weiter ihre Dogmen glauben möchten, lesen Sie es NICHT!
July 27th, 2006 at 23:28
Danke für die Korrektur – es muß jedoch angemerkt werden, daß es eine Tendenz zum Nuscheln gab, wenn Namen genannt wurden.
July 28th, 2006 at 12:37
Zu Norbergs liberalen Dogmen hat sich Mpunkt sehr richtig geäußert!
July 30th, 2006 at 01:35
Norberg hält nach Eigenauskunft Ayn Rand für eine Philosophin. Wenn das buch ähnlich kompetent ist, dürfte es zumindest für einige lacher gut sein…
July 31st, 2006 at 13:56
Die Frage, was von ihrer Philosophie zu halten ist, hat ja wenig mit der Frage zu tun, ob es sich überhaupt um Philosophie handelt. Es ist auch von erheblich mehr Leuten als nur von Norberg dafür gehalten worden. Das ist irgendwie kein Punkt.
August 25th, 2006 at 13:15
[…] Ein Fragment, das in der Form nicht ins Buch paßt, betrifft die Bezugnahme auf Verschwörungsdenken in der Kritischen Theorie durch die FdoG bei ihrem auch im Rückblick unfaßbar plumpen Adorno-Bashing: […]
October 28th, 2007 at 18:41
[…] Juli 2006 veranstalteten die Freunde der offenen Gesellschaft eine Podiumsdiskussion aka Farce unter dem Titel “Zur Kritik der Kritischen Theorie” bei der Sylke Tempel und Michael Holmes mehr […]
October 28th, 2007 at 18:56
[…] classless Kulla auf seinem Blog 28. Oktober 2007 in Zitatebox In dieser Phase klang es, als wäre das Tribunal in ein Treffen Anonymer Adorno-Opfer umgeschlagen. […]
April 26th, 2008 at 00:52
es ist ein elend mit den fdoglern. trotzdem irgendwie lustig. und dann mit hinweis auf die neuhofdemo sylke tempel abbasshen, danke dafür! zu dem verhältnis zur utopie bei adorno und fdog siehe hier:
http://vorstellungsrepraesentanzen.blogsport.de/2008/04/26/warum-die-freunde-der-offenen-gesellschaft-keine-science-fiction-moegen/
April 26th, 2008 at 01:08
[…] ihre „Utopien“ aufgegeben (zur Adorno-Kritik der fdogs über den Utopie-Begriff siehe auch hier). Damit taten sie zwar in gewissem Sinne das richtige, aber auf die falsche Weise – doch eins […]
January 21st, 2010 at 17:36
Vom Zankapfel überrollt? Seit dem vorigen Wochenende ist FdoG geschlossen. Möglicherweise war der Rückzug längerfristig vorgesehen. Bereits in der Vergangenheit sorgte eine restriktive Roboterregelung dafür, dass keinerlei Spiegelungen bei den üblichen Archivdiensten vorliegen. Der Schließung unmittelbar vorausgegangen war die offene Eskalation des Konflikts zwischen der Basis der Evangelischen Landeskirche Niedersachsen und dem Volkswagenkonzern, dem größten Einzelposten der deutschen Automobilindustrie. Im Schatten des schwarz-gelben Projekts hatte sich das Blog zu einer Plattform entwickelt, wo Politiker, Diplomaten, Manager, Umweltaktivisten sowie Vertreter der verschiedenen Religionsgemeinschaften über die Köpfe des Beamtenstaates hinweg diskutieren konnten, und scheint jetzt einer Art lobbypolitischen Kurzschlußhandlung zum Opfer gefallen zu sein. Offenbar handelt es sich hierbei um einen Kollateralschaden der Mövenpick-Affäre.