Der werfe die erste Verschwörungstheorie
August 25th, 2006Ein Fragment, das in der Form nicht ins Buch paßt, betrifft die Bezugnahme auf Verschwörungsdenken in der Kritischen Theorie durch die FdoG bei ihrem auch im Rückblick unfaßbar plumpen Adorno-Bashing:
Immerhin einen anregenden Gedanken äußerte Holmes bezüglich des Verschwörungsdenkens. Die Kritische Theorie habe nur die Erscheinungen dieses Denkens, besonders die Personalisierung, angegriffen, davor stünde jedoch als Voraussetzung der Gedanke, daß es eine Wurzel allen Übels gebe. Eine große Angst könne viele kleinere überlagern und Paranoia auf diese Weise zur Stabiliserung des Bewußtseins beitragen. Selbstredend diente dieser Exkurs nur dazu, den Protagonisten der Kritischen Theorie unterstellen zu können, von einer solchen Wurzel “allen Übels” auszugehen, sich selbst als Eingeweihte anzusehen und als Propheten aufzutreten. Überdies habe die Kritische Theorie “dieses Denken” bei kritischen Intellektuellen etabliert.
Der Gedanke, daß die Vorstellung von einer “Wurzel allen Übels” Vorbedingung der Personalisierung im Sinne der VT ist, erscheint nur auf den ersten Blick einleuchtend. Die VT geht von der Intentionalität aus, d.h. jeder Mechanismus des Übels wäre nur plausibel durch die Verwendung durch eine bestimmte Gruppe. Nur wenn es eine Gruppe gibt, die den Mechanismus zu ihren Gunsten ausnutzt.
Viel wichtiger für die Konstitution der VT ist die Annahme eines eigenen guten Kollektivs, gegen das die Verschwörung gerichtet ist. Wenn die Kritische Theorie irgendwo einen Zahn gezogen hat, dann an der Stelle. Sie dementiert das gute revolutionäre Subjekt.
Umgekehrt trug der Versuch der FdoG, Adorno all diese Dinge zur Last zu legen, wie sich die Linke entwickelt hat, was sie für Gedanken hervorgebracht hat, welche Positionen sie heute vertritt, unleugbar verschwörungstheoretische Züge. Es war ihnen nur schwer klarzumachen, daß es um die Rezeption ging und nicht um die Kritische Theorie selber, daß Adornos Erschrecken über seine Schüler nicht das Erschrecken über die direkten Konsequenzen seines eigenen Denkens war, sondern das Entsetzen über die unfaßbare Fehlrezeption, über die unfaßbare Blödheit.
Die wirksamste Quelle für Verschwörungsdenken ist die Vorstellung oder Vorspiegelung einer Interessenharmonie an einer Stelle, an der keine besteht; grob gesprochen: die Ideologie der Volksgemeinschaft. Die Vorstellung, daß es ein gutes, harmonisches Eigenes gibt, denn sobald Konflikte bewußt wahrgenommen und offen ausgetragen werden, sinkt die Wahrscheinlichkeit, daß noch ein Übel, eine Ursache und ein Handeln vorstellbar sind.
Die Positivisten der FdoG werfen dann der Bahamas vor, sie würde in ihrem Demonstrationsaufruf zum 28. Juli eine “totalitäre” Harmonie vertreten, die es nicht gäbe, obwohl es diese doch geben könnte. Die Behauptung, daß es keine Versöhnung geben kann, wird durch die Realität aller einst verfeindeter, heute integrierter Gruppen dementiert.
August 27th, 2006 at 13:35
Was mir nicht so recht klar wird, ist Scrupedas und dein Interesse für dieses skurrilen Diskurs. Also das ist halt Popkultur, philosophisches Kabarett.
Wie du in http://myblog.de/classless/art/4071080/Freunde_der_offenen_Gesellschaft_vs_Kritische_Theorie berichtest, wird sogar Kant gegen Adorno in Stellung gebracht. Interessanterweise behalten die FdoGler damit recht: Kant ist in etwa so blutig vernünftig, wie seine Fans und postumen – wenn auch unbewussten – Nachfolger.
August 27th, 2006 at 14:11
Ich fühle mich weniger für die Ideen als für ihre Vermittlung zuständig…
Ich denke, ich weiß, worauf du bei Kant hinauswillst und ich gebe dir in Teilen recht, aber Kants erkenntnistheoretische Betonung des Subjekts wie auch seine Einschränkung der Geltungsbereiche von Aufklärung und Glauben haben sehr viel mit der Kritischen Theorie gemeinsam.
August 27th, 2006 at 17:49
Das Problem ist eher, daß die FDOG so weit weg von Kant ist wie von Popper wie von dem Vermögen, so etwas wie Freiheit auch nur im Ansatz sinnvoll zu denken – die stehen genau für das Umschlagen von Aufklärung in Mythologie, das Horkheimer und Adorno so vortrefflich beschrieben haben und sind in dieser Hinsicht ein etwas schwachbrüstiges SYMPTOM für einen publizistisch immer mächtiger werdenden Diskurs. Ausnahme vielleicht Greg.
Dieses als “philosophisches Kabarett” anzusehen, funktioniert vielleicht im Rahmen des Universitären, aber nicht im dumpf-politischen und real-ökonomischen Alltagsgeschehen. Die bringen einfach nur mit den ihnen zur Verfügung stehenden, begrifflichen Mitteln ein Stück Zeitgeist auf den Punkt und haben in der Hinsicht auch einen heuristischen Wert.
Und zu Kant: Horkheimer/Adorno haben sich im Wesentlichen im Dreieck Marx-Hegel-Kant bewegt, mit nietzeanischen und im Falle Horkheimers meines Wissens auch schopenhauerschen Untertönen. Na, und dann kamen noch Max Weber (in kritischer Hinsicht, aber ohne dessen Rationalisierungsthese bricht das ganze Konstrukt der “Dialektik der Aufklärung” in sich zusammen) und der von “Geschichte und Klassenbewußtsein” hinzu, wie hieß der noch, Lukasz?, und natürlich Freud. Es gibt sehr gute Gründe, Adorno mit Kantischen Mitteln zu kritisieren, wie auch umgekehrt, und passagenweise hat das sogar jeweils den Charakter immanenter Kritik.
“Kant ist in etwa so blutig vernünftig, wie seine Fans und postumen – wenn auch unbewussten – Nachfolger”
Das ist kompletter Blödsinn, sorry. Und das ist nicht etwa einer, weil sich die FDOGler auf ihn berufen, die vergewaltigen und mißbrauchen den allenfalls – die Behauptung, der Kategorische Imperativ sei mit dem Kapitalismus vereinbar, ist Unsinn, man kann nicht ein “Instrumentalisiere niemanden!” in ein “Instrumentalisiere jeden!” umdeuteln, beim besten Willen nicht. Die dritte Formulierung des Kategorischen Imperativs steht ja nicht zufällig in der “Grundlegung zur Metaphysik der Sitten” (ob sie sich auch systematisch aus dem Gang der Argumentation erschließt, das ist eine andere Frage).
Und schon in diesem Beispiel zeigt sich, wie sehr Horkheimer/Adorno aus Kantischen Quellen sich speisen: Deren Werk ist die Kritik einer total gewordenen Zweck-Rationalität, die sich in Kant gerade nicht begründen läßt. Zumindest nicht hinsichtlich des Umgangs von Menschen miteinander.
Es ist auch gar nicht die Fundierung im Subjektiven, die Kant so bedeutend macht: Es ist die Ausarbeitung des methodischen Skeptizismus Descartes’ in der Versöhnung dessen Denkens mit Humeschen Diagnosen; es ist die Trennung der Fragen des guten Lebens von jenen der Moral, die die Kritische Theorie zumindest in ihrer Popularversion dann rückgängig machte, ein Drama; es ist das Ankämpfen gegen naturalistische Fehlschlüsse, wie gerade heute die Pro-Kapitalistischen sie unaufhörlich ziehen; es ist die Ausarbeitung des Ästhetischen als eigenständige Sphäre des Vernünftigen, ach, mehrbändige Werke könnte man zu Kants Würdigung schreiben, und diese unsinnige “blutig”-Rhetorik regt mich richtig auf, sorry, classless, für diesen langen Kommentar, aber das ist ja unerträglich.
Wichtig an der Relation Kant/Adorno ist in der Tat, wie letzterer das Besondere gegen das Allgemeine in Stellung bringt, und genau DIESE Kritik-Tradition auch und gerade an Kant bedarf immer wieder erneuter Ausarbeitung. Da hat Kant selbst in der “Kritik der Urteilskraft” die Vorarbeit zur Selbstkritik geleistet, kann man u.a. bei Hannah Arendt gut nachlesen.
Weil genau das die zentrale, Kantische Pointe ist: Die PERMANENTE SELBSTKRITIK DER VERNUNFT als Vorraussetzung des Ausgangs des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit, noch Foucault steht in dieser Tradition … aber weder ein Kant-blutig-Sprechen noch dieser Terror der Prowestlichkeit als politische Substanz, wie die FDOG sie verbreitet, würden beim Besonderen mit Kantischen Mitteln jemals ankommen. Adorno schon.
August 28th, 2006 at 17:24
Weitgehend d’accord. Kant ist schlecht auf einen Satz zu bringen und seine Verdienste sind ungeachtet seiner späteren Mehrzweck-Verwendung zahllos. Das Interesse erwächst in der Tat nicht aus der Triftigkeit der FdoG-Argumentation, sondern eben aus dem Affekt, mit dem sie die Kritische Theorie plattwalzen.