Seitenwechsel

September 7th, 2006

Vor die Wahl gestellt, die Heimatgeschichte germanisch-brutal wie die Nazis, heidnisch-unmoralisch wie die Christen oder folkloristisch wie die Sozialisten zu interpretieren, habe ich als Teenager ohne viel Überlegung eine eigene Version gebastelt, in der ich mir Thale als eine Art Refugium für die Flüchtlinge der gewaltsamen Christianisierung der umliegenden Landstriche vorstellte. Dabei spielten die natürlichen Befestigungsanlagen um Thale, die Felsenberge am Bodetal-Eingang und die Teufelsmauer, eine wichtige Rolle. Letztere verläuft wie eine Stadtmauer um das Gebiet, dessen nur sporadische Christianisierung auch heute noch zu bemerken ist.

thale teufelsmauer satellit

So selbstverständlich war mir diese Identifikation mit den Verfolgten der Missionierung, daß ich bei jedem Besuch der Teufelsmauer oben auf ihr herumlief und wie die “Verteidiger” auf die Ebene mit den Türmen der Quedlinburger Stiftskirche blickte.

Teufelsmauer

Gestern lief ich erstmalig auf der Fußseite der Mauer entlang und versuchte mir vorzustellen, wie es für die christlichen Angreifer ausgesehen haben dürfte. Sie waren bei jedem ihrer wohl häufigen Züge von Quedlinburg, der ersten Kaiserresidenz, gezwungen, zwischen den schwarzen Gesteinsverwerfungen hindurchzulaufen und für große Teile ihres Anmarschweges verdeckte die Teufelsmauer den Blick auf den Harz, dessen äußerste Ausläufer das Ziel der Kampagnen gewesen sein dürften.

Teufelsmauer

Als sie die Grenze zum Reich des Teufels dann schließlich überschritten hatten, blickten sie aus abrupter Nähe ins Bodetal.

Bodetaleingang

In diesem Panorama ist der Hexentanzplatz, der Austragungsort der heidnischen Walpurgisnacht, der markante Vorsprung auf der linken Seite des Bodetalausgangs. Möglich, daß also der Symbolcharakter dieses Ortes als Fluchtziel und Anreiz zur gewaltsamen Missionierung mit den aussagekräftigen Formen der Landschaft zu tun hat.

Viel wahrscheinlicher allerdings, daß die Geschichte der Christianisierung von den katholischen Ersteroberern und später von den deutschen Nationalisten, den Lutheranern und schließlich den Nazis, die das “germanische Erbe” für ihre Sache reklamierten, so oft umgeschrieben und verzerrt wurde, daß wir nur noch vermuten können, wie sie sich abgespielt hat.

8 Responses to “Seitenwechsel”

  1. jochmet Says:

    Interessanter geostrategisch-rückprojektiver Ansatz.
    Was hat es mit der “nur sporadischen Christianisierung” auf sich?

  2. classless Says:

    Da muß ich auch noch mal gründlicher nachsehen, was davon nur gern geglaubtes Selbstbild ist – der Thalenser Weihnachtsmarkt hat Schneemänner, Weihnachtsmänner, Tannenbäume und jede Menge Glühwein, aber nichts Christliches. Die Kirche konfirmiert im Jahr vier Jugendliche – und das ist sogar bei der demographischen Lage wenig. Das Wort ‘Gott’ kannte ich bis zur Wende nur aus amerikanischen Filmen (und aus Lem-Büchern).

    I don’t know. Für Mitteleuropa auf jeden Fall recht seltsam weiterhin.

  3. jochmet Says:

    Jau. Ich verstehe das mit dem Unchristlichen in der Gegend um Thale. Heidensozialismus. 🙂

    Schön das die Wende dir Gott näher gebracht hat. 😉

  4. classless Says:

    Die “Wende” (E. Krenz) hat bitte was mit mir gemacht? Nur weil ich mir die Teufelmauer mal von unten ansehe?

    Nee, mit Glauben habe ich ein viel zu grundsätzliches Problem, als daß ich ausgerechnet an kollektiv konstruierte Entitäten mit eindeutigen Bezeichnungen glauben könnte. Die einzige Religion, der ich mich überhaupt ein bißchen nahe fühle, sind die Diskordianer, gerade wegen ihrer Betonung des Zweifels.

  5. jochmet Says:

    Nee! Kommando zurück.
    War nur darauf bezogen, dass du das Wort “Gott” bis zur Wende nur aus amerikanischen Filmen kanntest. Hatte anlässlich dessen immer noch Nobby Blüm im Ohr mit seinem “Marx ist tot und Jesus lebt”.

    Ansonsten ein “Okidoki” auf die einzig wahrhaftige Metareligion.

  6. classless Says:

    Da bin ich ja beruhigt.

  7. classless Kulla » Blog Archive » More Outdoor Fun Says:

    […] Im bereits vorgestellten christlichen Bild von der Landschaft lief ich hinauf zur Klitoris des Bodetals. […]

  8. Cannabis Kommando Says:

    Wie in Jamaika…

    Fighting Method

    The terror the Maroons caused the English in the seventeenth and eighteenth centuries was far greater than what the Maroons could have commanded in size alone. (it is believed that at no time did their number exceed on thousand five hundred.) But the deployment of small groups by Cudjoe in sudden and savage attack and swift withdrawal kept the English completely disoriented about their strength. Their ability to use the rugged mountain terrain provided another effective strategy. Their excellent intelligence network allowed them to know well in advance when a mission was being sent against them. Dallas, speaking of their guerrilla tactics, observed:

    “Such are the natural fortifications in which the Maroons secured themselves in times of danger, and from which it has been ever found difficult to dislodge them. [Their camps were always situated at the mouth of a rock] which look like a geat fissure made through some extraordinary convulsion of nature, and through which men can pass only in a single file, the Maroons, whenever they expect an attack, disposed of themselves on the ledges of the rocks on both sides. Sometimes they advanced a party beyond the entrance of the defile, frequently in a line on each side, if the ground would admit; and lay covered by the underwood, and behind rocks and roots of trees, waiting insilent ambush for their pursuers, of whose approach they ahd always information from their scouts.”

    Such strategies at this period were unknown to the English army whose philosophy of warfare was that of the gentleman soldier. One historian of the period contrasted the English soldiers with the Maroons as follows:

    “The British trops marched in their proper regimentals, as if they were going to fight a regular and civilized enemy, and sometimes had even the absurdity to traverse the mountainous roads with drums beating. The customary accoutrements were too clumsy and burdensome for traversing the woods and clambering over rocks, and the red coats were too conspicuous and object to the Maroons marksmen, who seldom missed their aim.”

    After nearly forty-five years of fighting a losing battle and aftger nearly a quarter of a million pounds and hundreds of lives taken, Governor Trelawny was urged to offer peace to the Maroons. This advice was politically fruitful for the English, and it later destroyed the image of the Maroons as a symbol of freedom.

    Leonard Barrett: The Rastafarians

Leave a Reply

2MWW4N64EB9P