Postmoderne vs./& Verschwörungstheorie

October 16th, 2006

Das Buch “Sie kontrollieren alles! – Verschwörungstheorien als Phänomen der Postmoderne und ihre Verbreitung über das Internet” von Marc Lutter aus em Jahre 2001 bietet ein gutes Beispiel für das Dilemma der gegenwärtigen Beschäftigung mit Verschwörungstheorien und Konspirationismus.

Lutter kann angerechnet werden, daß er im Gegensatz zur Masse der anderen deutschen Autoren zum Thema die Rolle des Internet ohne Alarmismus darstellt und für die Gegenwart eine Ausdifferenzierung des Verschwörungsdenkens beschreibt, doch er verfällt ins andere Extrem. In inniger Umarmung der Postmoderne wird der bloße Umstand, daß Verschwörungstheorien im Internet kursieren, bereits zu einer Deeskalationserscheinung, er zitiert Gundolf Freyermuth als Beleg für eine “zwangsläufige Auswirkung der großen Menge nebeneinander stehender Verschwörungstheorien im Internet” heran: “Jeder, der eine Weile im Cyberspace verbracht hat, muß seinen Kinderglauben verlieren, daß es ein einziges wahres Abbildungsverhältnis zwischen Wirklichkeiten und ihrer Repräsentation gäbe. Die prägende Erfahrung in den Netzen ist der Entzug von der Sucht nach Sinn.” Religionsfreiheit gilt ihm sozusagen schon als Säkularisierung. Lutter schreibt vom Selbstverständnis der Internet-Konspirologen als “Netzwerk des Widerstands” gegen das “Netzwerk der Verschwörung” und übersetzt das in Vorstellungen von Partiziaption an Geheimnis, Technologie und Macht, die auch schon 2001 eher den Programmierern und Hackern als der Masse der User zugeschrieben wurden.

Er bezieht sich also erfreulicherweise auf Jonathan Vankins Bemerkung von 1996, daß “das Internet die Prominenz einzelner Theoretiker, also das durch solche Konspirationisten gebildete ‘Star-System’ der Verschwörungstheorie allerdings geschwächt” habe, doch er baut in der Folge eine unsystematische Entgegensetzung von moderner, operativer, kollektiver und postmoderner, expressiver, individualistischer Verschwörungstheorie auf, die völlig an Oberfläche und Erscheinung hängen bleibt.

Wenn er etwa die Verschwörungstheorie als Alternative zum “Glauben an eine Wahrheit” (Bauman) wertet und schreibt, daß sie sich “aus einer Ablehnung, fremdbestimmte Interpretationen und Definitionen von Ereignissen anzunehmen,” entwickeln, sitzt er dem üblichen “Think for yourself” noch der festgefahrensten Konspirationisten auf. Diese Ablehnung scheint ihm geheiligter Affekt und wird nicht weiter diskutiert, obwohl sich die Frage einer allgemeinen Vermittlungsfeindschaft der Konspirationisten genau in diesem Zusammenhang stellt.

Ebenfalls oberflächlich plausibel erscheint Lutters Entgegensetzung von modernem Zweifel, der “Unerklärtes eindeutig erklären” will, und postmodernem Zweifel, der die “Autorität jedes Wissens” bestreitet und nur verschiedene Erzählungen kennt. Schon daran, daß Lutter gleich damit fortfährt, dem postmodernen Zweifel im postmodernen Kontext die subversive Qualität abzusprechen, die er in der Moderne hatte, da er nunmehr nur eins von vielen Sinnangeboten darstellt, läßt sich erkennen, wie sehr der Autor der Postmoderne verhaftet ist, die offenbar den Grund ihrer Kritik aufzuheben vermag. Auch die soziale Analogie der nunmehr freien individuellen Wahl von Identität und Lebensführung deutet in diese Richtung.

Das ist aber eben alles nur die halbe Wahrheit. Wie Penn & Teller in ihrer Folge zu Verschwörungstheorien so schön anmerkten, zeugt die Aussage “Nobody can convince me” eben nicht von Skepsis, sondern bildet nur das Spiegelbild zur einen Wahrheit, nicht das Motto ihrer Alternative.

Viel grundsätzlicher jedoch ist die Idee von gleichberechtigt im Diskurs herumwabernden Auffassungen nichts weiter als eine merkwürdige, jedoch ungemein beliebte Utopie. Nicht nur, daß sich ohnehin zumeist eine Auffassung als handlungsleitender Konsens durchsetzt (und auch durchsetzen muß), viel banaler und verheerender ist der Umstand, daß nur all diejenigen Auffassungen überhaupt beständig verhandelt und katalogisiert werden, die nicht als selbstverständlich gelten.

Das unausgesprochen Selbstverständliche bleibt vom postmodernen Diskurs in aller Regel verschont. Es wird erst in der Krise sichtbar, wenn es seine Selbstverständlichkeit einbüßt, wie es so beispielhaft 9/11 passiert ist. Im uniformen Reflex, das Ereignis als weniger wirklich oder unwirklich anzusehen, lieferten die Postmodernisten eine Steilvorlage fürs Verschwörungsdenken. Erst in einer solchen Krisensituation für die Welterklärung wird auch sichtbar, wie offen die vermeintliche postmodernen Verschwörungstheorien wirklich sind, die etwa vom von Lutter angeführten Jameson vorher noch zu “Umwegen” zum Verständnis des “spätkapitalistischen Systems” geadelt worden waren, obwohl auch er im Grunde nur von Stamokap und Globalisierung sprach. Kein Gedanke an die Verinnerlichung des Werts im Spätkapitalismus, woraus ja ganz andere Schlüsse zu ziehen wären, etwa der, daß sich das Individuum am effektivsten selbst täuscht (und zwar über den Tausch) und daß es sich gegen sich selbst verschwört. Stattdessen große Gemälde von der totalen Verschwörungstheorie als Reaktion auf die “soziale Totalität”.

Im Einklang mit seiner Vorstellung von Verschwörungstheorien als “Anti-Metanarration” und “Gegendiskurs” erklärt Lutter es für einen Mangel, daß Verschwörungstheorien keine “positive Alternative zum status quo” formulieren, wobei er ein weiteres Mal mal übersieht, daß die Verschwörungstheorie ein “Pro-Diskurs” ist, der seine Alternative schlauerweise nicht mehr auszusprechen braucht, da sie eben im Selbstverständlichen (etwa im 70er-Jahre-Sozialstaat) besteht.

Baudrillard hatte von “hyperrealen Simulationen” geschrieben und nun trat 9/11 ein reales Ereignis ein. Es scheint, als wäre dessen bloße Faktizität bereits als Anschlag aufs Weltbild verstanden worden, den man nur allzu gern den vermeintlichen Kontrolleuren der Gesamtsimulation in die Schuhe schieben mochte. Wie für die konservativen Absolutisten des 18. Jahrhunderts die Idee der Selbstbestimmung selbst das Satanische, die Verschwörung darstellte, scheint für die Postmodernisten das Zurückgeworfensein auf ein reales Ereignis selbst die Verschwörung gewesen zu sein.

In einer anderen historischen Parallele wird deutlich, inwiefern es die Ausblendung eines realen Ereignisses ist, die postmodernes Verschwörungsdenken so viel stärker als irgendeine Offenheit kennzeichnet. Als Mitverantwortliche oder sich mitverantwortlich Verstehende für das größte Verbrechen und wichtigste Ereignis der Moderne bemühten sich die verbliebenen Nazis nach ’45 zunächst, wie schon bei ihrer Machtübernahme und den Kriegserklärungen, die Verantwortung abzuwälzen und begannen, die Geschichte des Massenmordes an den Juden umzudeuten und umzuschreiben.

Doch das änderte nichts an der Faktizität des Ereignisses, die schließlich in einem genuin postmodernen Gedankenschritt schlicht bestritten wurde. Es wurde eine Verschwörungstheorie zur Leugnung einer realen Verschwörung in Stellung gebracht.

Ganz Ähnliches läßt sich zu 9/11 bemerken. Das Umdeuten des Ereignisses und Abwälzen der Verantwortung, betrieben von jenen, die sich als Antiimperialisten, Antiamerikaner und Antizionisten mitverantwortlich fühlten, erschütterte die Faktizität des Ereignisses für sie nur unzureichend, weshalb einige, bisher noch sehr wenige, dazu übergegangen sind, sich des Ereignisses per Leugnung zu entledigen. Es wird zum Medienereignis und ganz im postmodernen Jargon zur Inszenierung erklärt, wobei oft die Grenze zwischen Umdeutung und völliger Leugnung verschwimmt.

4 Responses to “Postmoderne vs./& Verschwörungstheorie”

  1. Hagbard Jesus Celine Says:

    “Gehen Sie bitte weiter, hier gibt’s gar nichts zu sehen!” -> “Schauen Sie hier, ist wirklich passiert!”

    Wie hieß es bei South Park so schön: “The 9/11 Conspiracy is a government conspiracy.” Isch (ent-)schwöre!

  2. Ungi Says:

    “wie sehr der Autor der Postmoderne verhaftet ist, die offenbar den Grund ihrer Kritik aufzuheben vermag.”

    Das ist genau das Problem mit dieser Herangehensweise. Sie fällt letztlich auf sich selber rein, weil sie die Ebenen nicht mehr auseinanderhalten kann.
    Postmodern soll ja eine Eigenschaft von etwas sein, ein Symptom der operativen Schließung der Realitätsebene von medialen Erzeugnissen. Weil wir in dieser sekundären Ebene gefangen sind, geht uns der Zugriff auf die realen Ereignisse (die es aber gibt und die sich auch auswirken) verloren.

    Ich fände es nur gut, wenn du diese Unterscheidung ein wenig klarer machen könntest. So wie du es schreibst, klingt es, als würdest du postmoderne Theoretiker an sich in die Tonne treten wollen.

  3. classless Says:

    Ich gebe zu, daß mir zuweilen danach ist, genau das zu tun, aber das ist natürlich Blödsinn. Vor allem Derrida habe ich, namentlich für die Geschichtskritik, viel zu verdanken.

    Im Grunde sollte ich einfach dabei bleiben, von Postmodernismus zu sprechen, von jenen, die alle Ernstes vom “totalen Diskurs” schreiben und den auf diese Weise jeglicher Begriff verloren gegangen ist. Die dürfen alle gern in dieselbe Tonne. Aber du hast recht, daß das letztlich, wie überall sonst, nur die engere Glaubensgemeinschaft trifft, und nicht das Konzept oder Modell.

  4. classless Kulla » Postmoderne vs./& Verschwörungstheorie « Fnordomatic Blog Says:

    […] classless Kulla » Blog Archive » Postmoderne vs./& Verschwörungstheorie. Veröffentlicht unter Sie kontrollieren alles!, Verschwörungstheorien. […]

Leave a Reply

2MWW4N64EB9P