Montagspresse 2

October 17th, 2006

‘Der Spiegel’ erklärt auf seinem dieswöchigen Titel die Nürnberger Prozesse zum “Tribunal des Todes” und auch in der weiteren Verhandlung des Themas im Heft wird ordentlich gedeutet und revidiert.

Schon in der Hausmitteilung können sie es nicht mehr zurückhalten, darauf hinzuweisen, gegen wen heute ein solches Gericht einschreiten müßte:

>>Während US-Präsident George W. Bush versuche, sein eigenes Völkerrecht zu schaffen, sei “die Erneuerung des Rechts von Nürnberg in vollem Gange.”<< Im eigentlichen Artikel wird im damaligen Konflikt zwischen US-Kriegsminister Stimson und US-Finanzminister Morgenthau für ersteren Partei ergriffen. “Morgenthaus Wut auf die Deutschen kannte keine Grenzen”, heißt es und dagegen wird Stimson als “sanfter, rechtsstaatlicher denkender Mensch” gestellt, der zwar “höflichen Antisemitismus” gezeigt habe – “damals in Washington keineswegs inkorrekt” – dem jedoch “rechtlose Gewalt zuwider” war.

Dennoch sei das Ganze empfohlen – wegen des erschütternden Bildes von den NS-Tätern und wegen einiger historischer Hintergründe.

So war mir nicht klar, daß es der damaligen Rechtslage wegen zunächst der Anklage einer Verschwörung zu bedürfen schien, um zusammen mit dem Angriffskrieg, den die USA zum Hauptgegenstand machen wollten, den Massenmord an den Juden zu verhandeln, der für die Briten im Mittelpunkt stand.

>>Krieg und Kriegsverbrechen, der Holocaust ebenfalls, sollten als Bestandteil eines großen verbrecherischen Planes gelten, der mit Hitlers “Machtergreifung” oder gar schon vorher gefaßt und dann nur noch abgearbeitet wurde.<< Diese Auffassung, die sich abgewandelt auch Chefankläger Jackson zu eigen machte, wenn er den Krieg selbst als das Hauptproblem und seine konkreten Methoden als weniger wichtig ansah, stieß bei den Briten auf Unverständnis und Ablehnung: >>Die Briten am Verhandlungstisch konnten sich nur mühsam mit der amerikanischen Betrachtung anfreunden, und noch weniger mit der Bernaysschen Konstruktion, den Völkermord als Teil einer großen Nazi-Verschwörung einzuordnen.<< Über die Angeklagten im Einsatzgruppen-Prozeß schreibt Georg Bönisch: "Einer war Zahnarzt, ein anderer Professor, einer war Opernsänger, einer protestantischer Pfarrer, wieder einer Lehrer gewesen." Der Richter dieses Prozesses legte einen undeutschen Maßstab an die deutschen Täter an: "Ein Soldat ist ein denkendes Wesen, er reagiert nicht wie eine Maschine." Der Angeklagte Blobel, neben Ohlendorf einer der wenigen aus den Einsatzgruppen, der 1951 hingerichtet wurde, hatte seinen Maßstab bis zum Schluß behalten:

>>“Nun haben mich Disziplin und Treue an den Galgen gebracht.”<< Gleich danach heißt es: >>Alle anderen Kriegsverbrecher kamen in der Folge frei, die letzten im Jahr 1958. Problemlos nahm die Gesellschaft sie auf, der Lehrer wurde wieder Lehrer, und der ehemalige Pfarrer kehrte zurück in den Schoß der Gemeinde.<< Nachdem Frick und Ribbentrop jegliche Verantwortung abgestritten und sich weiter ihrem Weltbild verhaftet gezeigt hatten, traf Jackson die Entscheidung, den Prozeß gegen die Nazi-Elite auf der Grundlage von Dokumenten zu führen, da "das Geschwätz von Tätern" ihm nutzlos erschien. >>Die Deutschen, das wusste man auch jenseits des Atlantiks, tun nichts, ohne darüber einen Vermerk anzulegen. Jackson würde seine Gefangenen mit ihren eigenen Papieren an den Galgen bringen.<< Etwa mit den Privataufzeichnungen von Hans Frank:

>>Alles, was Frank auf diesen Partys erzählte, musste ein Diener stenografieren – fürs Tagebuch. Dezember 1941 etwa, beim Weihnachtsempfang: “Die Juden sind auch für uns außergewöhnlich schädliche Fresser. Wir haben im Generalgouvernement schätzungsweise 2 500 000.”
Januar 1944: “Juden haben wir im Generalgouvernement zur Zeit vielleicht noch 100 000.”
<<

One Response to “Montagspresse 2”

  1. kubia Says:

    Hm, wenn ich das im Urteil einigermaßen richtig verstanden habe, hatten die Verurteilungen wegen “Verschwörung” allesamt nur mit der Machtübergabe und der anschließenden Konsolidierung der NS-Herrschaft zu tun. Die Deportationen und Ermordungen wurden als “Crimes against Humanity” betrachtet und auch dementsprechend hart verurteilt.

    Leider vergessen zu erwähnen hat der Spiegel-Autor, dass der Nürnberger Prozess durch besonders genaue Rechtsstaatlichkeit auch dem Entstehen eines Opfermythos vorbeugen sollte.

    Mit dem Prozess gegen die Außenpolitik der USA zu polemisieren, ist übrigens keine Erfindung des Spiegel. Schon Telford Taylor hat dies Mitte der 70er gemacht. Warum aber die deutsche Außenpolitik der späten 90er davon ausgenommen bleibt? Keine Ahnung.

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