The Flying Klassenfeind

March 26th, 2007

Aus zwei Gründen las ich Christoph Spehrs Buch “Die Aliens sind unter uns! Herrschaft und Befreiung im demokratischen Zeitalter“. Zum einen wurde es mir im Zusammenhang mit meinen positiven Verweisen auf “Akte X” als vergleichsweise offener Beschäftigung mit Verschwörungen empfohlen. Zum anderen baut Jürgen Elsässer seine eigene “Heuschrecken”-Metapher auf der Vorstellung der Aliens bei Spehr auf und zitiert ihn in seinem konspirationistischen Pamphlet “Angriff der Heuschrecken” auch dazu:

>>Sie gehen nicht einkaufen. Sie kochen nicht, sie ziehen ihre Kinder nicht selbst groß, produzieren nichts, was man essen, anziehen, lesen oder anschauen kann. Dafür haben sie andere: Menschen eben. Denen können sie ganz genau begründen, warum sie effizienter werden und den Gürtel enger schnallen müssen, warum alle mitmachen müssen, um den Planeten zu retten, den Standort, das Abendland oder was immer.<< Diese Aliens sind nur in der Verwendung bei Elsässer so persönlich greifbar, Spehr benutzt sie mehr als Metapher, um sein Publikum mit dem sich verflüchtigenden Klassenfeindbild vertraut zu machen. Oder vielleicht muß sich Spehr auch selbst noch damit arrangieren. Genau diese Spannung zwischen Personalisierung und Abstraktion macht das ganze Buch aus - oder auch sein Scheitern, je nachdem. Über weite Strecken schafft es Spehr, linke Theorieproduktion der vergangenen Jahrzehnte zu resümieren und immer wieder originell zuzuspitzen, wobei ohne Frage sein Griff in die Science Fiction meist am besten funktioniert, um das Abstrakte zu beschreiben, ohne es eben auf eine Geschichte zu reduzieren. Das Akte-X-Motto "Fight the future" etwa wird bei ihm zu dem schönen Satz: >>Alle Gesellschaftstheorien haben sich bemüht, der Gesellschaft eine Zukunft zu verpassen; es kommt aber darauf an, sie von dieser Zukunft zu befreien.<< Er formuliert wundervolle Anti-Ayn-Rand-Passagen wie diese: >>Menschen existieren gesellschaftlich. Sie kooperieren miteinander, sie arbeiten und leben gemeinsam. Selbst wenn wir uns allein auf eine gemeinsame Insel zurückziehen, nur selbstgefertigtes Werkzeug benutzen und ausschließlich von unserer Hände Arbeit leben, entgehen wir nicht der Tatsache, daß wir geboren und aufgezogen werden. Wir entstehen in einer Kooperation aus eigener und fremder Arbeit.

Deshalb gibt es keinen Grund, warum dieses Erbe ungleich verteilt werden sollte.

Viele Herrschaftssysteme versuchen genau das zu leugnen, und zwar in den Ursprungsmythen, die sie erfinden. Das römische Imperium führte sich auf die königlichen Zwillinge Romulus und Remus zurück, die von einer Wölfin aufgezogen sein sollten. Das kapitalistische Imperium pflegt den Mythos vom Selfmademan, dem Aufsteiger aus eigener Kraft. In Wahrheit würden wir aber ohne andere nicht einmal den ersten Tag überleben, und ohne die Gesellschaftlichkeit und Historizität von Arbeit könnten wir nicht mal Feuer machen. Nur wenn wir diese fundamentalen Tatsachen vergessen, erscheinen uns die Regeln der Verfügung als “natürlich”. Es kommt uns “natürlich” vor, daß, wer doppelt so lange arbeitet, oder doppelt so viel dabei produziert, auch doppelt so viel essen und ein doppelt so großes Haus bewohnen soll. In Wirklichkeit nehmen sich solche Unterschiede angesichts der überwältigenden Menge fremder Arbeit und historischer Besitzstände, die in jeden Arbeitsprozeß einfließen, verschwindend gering aus.<< Und er preist die Flucht: >>In der herrschenden Geschichtsschreibung und kulturellen Darstellung wird dieses Instrument konsequent verschleiert. Dort wimmelt es von Kämpfen und Siegen; von der Vertreibung von Tyrannen, vom Sturm auf die Bastille. Aus den meisten konkreten Herrschaftsverhältnissen befreien wir uns jedoch nicht, indem wir sie verändern, sondern indem wir sie verlassen. Meist siegen wir nicht, sondern setzen uns ab. Wir verlassen unbefriedigende Beziehungen, wir ziehen zu Hause aus, wir kündigen einen schlechten Job. (…)

Um auf eine soziale Kooperation wirksam Einfluß zu nehmen, müssen wir sie auch aufgeben können. (…)

Alle Fluchtwege zu verstellen, und zwar wirksamer als durch direkte “Einsperrgewalt”, ist deshalb stetes Ziel von Herrschaft. (…)

Beispielsweise spielt die Verschleppung der Frau aus ihrer Familie und ihren sozialen Zusammenhängen in die des Mannes für das Patriarchat eine große Rolle.<< Dennoch kann er es nicht lassen und bastelt sich gerade wegen der Einsicht in den längst nichtpersonalen Charakter von Herrschaft seine eigene Klassifizierungen. Aliens kolonisieren die Erde, Zivilisten lassen sich das gefallen, Faschisten versuchen das Spiel auszunutzen und einzig der Maquis, die postmoderne Widerstandsstruktur, hält dagegen.

Immer wieder blitzt durch, daß diese Rollen getauscht werden können und auch getauscht werden, daß die Klassengrenzen – als solche werden sie weiterhin behandelt – oft durch die Subjekte hindurch verlaufen. Das Funktionieren der “abstrakten Herrschaft” mag Spehr dennoch am liebsten in Form einer zwar surrealen, doch eben sehr menschlichen herrschenden Klasse beschreiben:

>>Sie verwenden die Verfügungsgewalt, die ihnen als herrschender Gruppe zufällt, nicht, um sich selbst etwas Gutes zu tun, sondern nahezu hundertprozentig für die Reproduktion ihrer Herrschaft. (…) Die Aliens erscheinen gar nicht so mächtig, denn sie können so gut wie nichts von dem gesellschaftlichen Potential, da ssie in den Händen halten, für Ziele einsetzen, die ihnen persönlich in den Sinn kommen. Aber Aliens kommt ja auch gar nichts persönlich in den Sinn.<< Spehr hat die ganze Zeit über eine bestimmte Sorte Menschen im Sinn, die er nicht leiden kann und die er für verantwortlich hält, gerade weil niemand sie für irgendetwas verantwortlich machen kann. Sie sagen dann, alles sei eben kompliziert. >>Aliens sind eine Klasse neuen Typs. Sie sind eine internationale Klasse, die ein gemeinsames Herrschaftsprojekt betreibt, das in der fortschreitenden Überantwortung von Natur und Arbeit an zentrale Verfügungsgewalt und in der Einebnung aller Widerstände dagegen besteht.<< Im Verlaufe des Buches werden die Aliens jedoch immer schärfer gezeichnet, was ihrem Metapherndasein entgegenläuft. Sie erscheinen schon fast gottgleich vernünftig: >>Die Diffusion wird bekämpft, um die zentrale Investitionsquote autoritär zu steigern. Aliens sind immer gegen Korruption, gegen Mißbrauch, gegen Leistungserschleichung.<< Dagegen setzt Spehr nicht verwertbare und sich der Verwertung entziehende soziale Strukturen, die er aber nicht unterscheidet. So fallen die gute, einfache Warenproduktion und die Abkopplung aus der Verwertung zusammen: >>Selbst die alienistische Ökonomie, der es bestimmt nicht um das Wohlergehen der Menschen geht, kann kaum verhindern, daß sich manchmal so etwas wie Wohlstand entwickelt. Die Menschen sind in der Lage, unter den verrücktesten ökonomischen Systemen ihre Bedürfnisse zu befriedigen, wenn man sie nur läßt – Hauptsache, es herrscht Frieden, ihre Mobilität wird nicht behindert, der gesellschaftliche Reichtum wird nicht für unsinnige Großprojekte der Staatsmacht verpulvert, und die Rückverteilung großer Eigetumsgewinne zugunsten allgemeiner Bedürfnisse wird nicht verhindert. Entgegen der alienistischen Lehrmeinung muß man die Menschen nicht durch kunstvolle Systeme zu ökonomischen Aktivitäten anhalten; sie machen das von selbst. Kapitalismus, Realsozialismus, “Entwicklung” sind viel weniger Wirtschaftssysteme als vielmehr Wirtschaftsverhinderungssysteme. Ihre Hauptfunktion ist es, “falsche ” ökonomische Aktivitäten der Menschen zu verhindern und die gesellschaftliche Ökonomie einem permanenten Streß auszusetzen, um der Entwicklung von Prosperität bei der Mehrzahl der Menschen entgegenzuwirken.<<


Mit diesem allmählich aufgebauten Widerspruch zwischen Aliens und Menschen ist das Schlußszenario dann leider auch keine Überaschung mehr. Nur für die Aliens sind Verschuldung, Wachstumsrückgang, Massenarbeitslosigkeit, Innovationsrückgang, Anspruchsdenken Krisensymptome. Als Konsequenz werden “antinationale Konzerne” und die globalen Finanzmärkte als “Todesstern” des Neoliberalismus gegen die Krise in Stellung gebracht, in Spehrs Logik also gegen die Menschen, denen es zu gut geht.

Das ist alles zur Hälfte richtig, aber dieses merkwürdige Haften an der personalen Darstellung abstrakt verstandener Strukturen signalisiert eine ganz andere Krise, nämlich die Krise der Erzählform, mit der es immer weniger gelingt, die längst gewonnenen Erkenntnisse in einer Weise darzustellen, die diese Erkenntnisse befestigen und ausbaufähig machen könnte. Zu viel an der Erzählform ist ans “bürgerliche” Subjekt gekoppelt, zu viel an den eingeschliffenen dramatischen Zyklus, an die Fiktion vom allwissenden Autoren, an die Passivität der Lesenden, kurz: an die verwertbare Identität von Produzierenden und Konsumierenden. Beide tauchen entweder nicht als gesellschaftliche Wesen auf oder wirken beim Versuch einer solchen Darstellung schief. Der Roman, das Dramenschema, die Satzstruktur und der Literaturbetrieb verleihen den Subjekten zum Zwecke der verwertungsfreundlichen Identifikation eine Komposition, die jedem Bestreben, Kontingenz und Abstraktion darzustellen, entgegensteht.

Die Leser haben die Literatur bisher nur verschieden interpretiert…

23 Responses to “The Flying Klassenfeind”

  1. phex Says:

    Verweist er auf andere Autoren? liesst sich teilweise ja geradezu klassisch anarchistisch. Sowohl im positiven als im negativen. 🙂

  2. classless Says:

    Ja, er verweist neben Akte X, Star Wars, Star Trek und den Alien-Filmen auch implizit auf eine Schar linker Theoretiker – ich ärgere mich, daß ich mir die Literatutliste nicht kopiert habe. Muß ich mal noch machen.

  3. prometoys Says:

    Hallo,

    find ich ja cool, dass Du es dir angeschaut hast. Interessant auch mal das Buch aus anderen Augen zu sehen. Ich fand nur, dass er gerade diese Metapher später im Buch aufweicht.

    Grüße,

    Keywan

  4. classless Says:

    Ich finde, er verstärkt die zentrale Metapher, indem der die Aliens auch noch mit der dkunklen Seite der Macht und dem Todesstern assoziiert, während auf der anderen Seite schon stark essentialisierte postmoderne Menschen stehen.

  5. hartmut Says:

    (1) “der Einsicht in den längst nichtpersonalen Charakter von Herrschaft ” das ist eine en-vogue-These, die so aber schlicht und banal falsch ist. Herrschaft wird nicht von Texten ausgeübt, auch nicht von solchen, die einen doppelten Überschuß von Signifikat und Signifikand aufweisen, in dem der Kommentar seinen Platz habe (bei regenwetter ist das umgekehrt)…Herrschaft üben bis auf weiteres benennbare menschen über andere benennbare menschen aus. Ich halte diese gängig-süffige These für eine ziemlich wohlfeile Entbndung von der verantwortung.

    (2) “Immer wieder blitzt durch, daß diese Rollen getauscht werden können und auch getauscht werden, daß die Klassengrenzen – als solche werden sie weiterhin behandelt – oft durch die Subjekte hindurch verlaufen.” Drüber und drunter, Mickey-Mouse-Philosophie, ich bitte um Entschuldigung. Man nenne es Klasse , man nenne es Schicht…aber dass es sie weiterhin gibt und sie mitnichten einfach mal getauscht werden können, sollte evident sein. Die Klassen sind durchlässig für einzelne (waren es übrigens immer schon, selbst in der Sklavenhaltergesellschaft), aber sie wirken weiterhin.

    (3) “Zu viel an der Erzählform ist ans “bürgerliche” Subjekt gekoppelt, zu viel an den eingeschliffenen dramatischen Zyklus, an die Fiktion vom allwissenden Autoren, an die Passivität der Lesenden, kurz: an die verwertbare Identität von Produzierenden und Konsumierenden.” Identität ist eine logische relation, nämlich die engste aller Äquivalenzrelationen – sie ist so definiert, dass erstens jeder mit sich und zweitens nur mit sich identitsch ist. Du meinst (wie die meisten, die diesen begriff unrefelktiert verwenden) vermutlich Identität-in-der-Zeit. Sich mit sich selbst im Einklang fühlen, sich eine konsistente Geschichte andichten o.ä.. Nun ja. diese Konsistenz gibt es so in niemandes Leben. Humes Bündel aus Wahrnehmungserlebnisen behält Recht gegen alle Subjektphilosophie ;-). Aber was folgt daraus? Eine Lobrede der Kontingenz, wie die Postmoderne – Richard Rorty vorneweg – glaubt? realy?

    mfg

  6. classless Says:

    Hallo, hartmut!

    ich bitte schlicht und banal falsch um Entschuldigung für die en-vogue-These, für die ziemlich wohlfeile gängig-süffige These, für die unreflektierte Mickey-Mouse-Philosophie – haben jetzt alle mitbekommen, daß du von der Beurteilung von modischem Denken wirklich was verstehst. Naja, alle müssen was, alle müssen was tun.

    Aber bevor ich diesen Schwall Distinktion beiseite geschoben bekommen, nur soviel: “Identität ist” mitnichten einfach mal.

  7. hartmut Says:

    nun ja, Du beschäftigst dich mit Verschwörunbhstheorien. es ist da schon wichtig, angemessene kriterien zu gewinnen, um es-gab-keine-mondlandung-schwachsinn von plausiblen schilderungen trennen zu können. so gab es zB rund um Watergate sehr wohl eine Verschwörung, sie als solche zu bezeichnen ist nirgends paranoid, sonder adäquat (es wäre eher verschwörungsparanoider irrsinn, nixon freizusprechen). und warum ist die markierung watergates als verschörung unproblematisch? weil wir täter und opfer persönlich benennen können. natürlich hat Nixon mithilfe seiner Klempner Herrschaft ausgeübt – und nicht etwa ein text/subtext/metatext – und er ist da beim mogeln erwischt worden.

    übrigens verstehe ich in der Tat ein bißchen was von modernem denken ;-). lektüre tipp: Ian Hacking. Gute Gedanken gegen allzuviel postmoderne 😉

  8. hartmut Says:

    und hier meine persönliche verschwörungstheorie.

    obwohl die ostmoderne längst widerlegt ist –

    http://de.wikipedia.org/wiki/Sokal-Aff%C3%A4re

    hält sie sich im diskurs, weil die postmodernen ihre pfründe nicht verlieren wollen.

    ich gehe mal davon aus, dass Du Humor hast…

  9. classless Says:

    Wenn es etwas Modisches gibt, dann ist es ja wohl PoMo-Bashing. Sokal ist schon lustig, aber es geht mir auch gar nicht ums Nachbeten halbgarer postmoderner Ansätze, sondern darum, die unter dieses Label fallenden Theoreme als Abbildungen heutigen Denkens ernstzunehmen. Ohne Zweifel ist gerade die heute in den USA populärste Form der Verschwörungsideologie, dieses vorgebliche Anything Goes mit jedoch als selbstverständliche gesetztem Verdachtskern, auch innerhalb der akademischen Postmoderne ausgebrütet worden.

    Aber sich davon absetzen zu müssen und auf richtiger, wichtiger, ernsthafter Wissenschaft zu bestehen, kommt mir ebenso reflexhaft vor wie die meisten wissenschaftlichen Reaktionen auf Verschwörungsideologie. Damit fällt man komplett auf das Spiel herein, und egal, inwieweit ich konkreten Inhalten postmodern beeinflußter Gedankengebäude zustimme, sind sie doch zumindest in bezug aufs Verständnis von Social Hacking den meisten gegen sie Polemisierenden ein ganzes Stück voraus.

  10. classless Says:

    “ostmoderne” ist aber ein schöner Verschreiber…

  11. hartmut Says:

    dann nähern wir uns mal etwas an ;-). die PoMo habe ich auf ihrem Höhepunkt kritisiert, sie heute nochmal zu besiegen wäre Leichenfledderei. wichtiger wäre, zu sehen, was an ihr brauchbar ist (und das ist einiges!), und ferner, zu fragen, warum sie so attraktiv wirkte. da müssten wir uns in ein PoMo-Forum verfügen… meine substanzkritik an der PoMo: die preisgabe der kategorie “tatsache” und die dauerdekonstruktion (“ich sage dir, wer du bist, wie du bist und warum du so bist, wie du bist”). beides kommt mir als preisgabe von verantwortlichkeit und freiheit vor.

    ich verstehe nicht, auf welches spiel ich hereingefallen sein soll. welches verständnis von social hacking meinst Du?

  12. classless Says:

    Die Dauerdekonstruktion, wie du sie beschreibst, würde ich schon der Etablierung der Psychoanalyse als Gesellschaftsspiel ab den 50ern zurechnen; in einer konsequenteren Form, als ständige soziale Rückkopplung über Wahn und Verirrung, hat sie leider noch nie stattgefunden, oder?

    Das Spiel der Travestie, die Anmaßung von wissenschaftlicher Autorität, die einen dazu verleitet, über die Anmaßenden mit dem gesamten wissenschaftlichen Instrumentarium herzufallen, obwohl sie das nur bestärkt. Social Hacking in diesem Sinn wäre es, wenn diese Reaktion bewußt provoziert werden würde, nicht aber, um die Wissenschaft abzuschaffen und eine fraglose Wahrheit zu etablieren, sondern um die wissenschaftliche Methode gegen den Wissenschaftsbetrieb in Stellung zu bringen.

  13. hartmut Says:

    Zitat: “Ohne Zweifel ist gerade die heute in den USA populärste Form der Verschwörungsideologie, dieses vorgebliche Anything Goes mit jedoch als selbstverständliche gesetztem Verdachtskern, auch innerhalb der akademischen Postmoderne ausgebrütet worden.”

    das stimmt m.e. so nicht. geraune, andeutungen, uga-uga-es-war-ja-gaaaaanz-anners etc gab es – da bin ich ahistorisch – mE schon immer. ich sehe auch keine “Konjunktur”, keine Huasse und Baisse für Vrschwörungstheorien. auch keine politische präferenz. es waren immer die Dummen beider Couleur, die jeweils Verschwörungsirrsinn produziert haben. was das mit anything goes Feyerabend zu tun haben könnte, erschließt sich mir nicht.

  14. hartmut Says:

    “Die Dauerdekonstruktion, wie du sie beschreibst, würde ich schon der Etablierung der Psychoanalyse als Gesellschaftsspiel ab den 50ern zurechnen”

    Nietzsche?

    Schopenhauer?

    Sophisten?

    es geht m.e. darum, herauszufinden, wie und wann dekonstruierende oder Entlarvungsverfahren ihren guten Sinn haben.

    Zitat 2: “Social Hacking in diesem Sinn wäre es, wenn diese Reaktion bewußt provoziert werden würde, nicht aber, um die Wissenschaft abzuschaffen und eine fraglose Wahrheit zu etablieren, sondern um die wissenschaftliche Methode gegen den Wissenschaftsbetrieb in Stellung zu bringen.” Hätte ich gerne konkret erläutert.

    mfg

  15. hartmut Says:

    okay, ch habs so langsam selber: du meinst, dass der über den dingen schwebende intellektuelle (unbewusst?) verschwörungstheorien fördert, um sich von ihnen abgrenzen zu können? aber wäre das nicht selber verschw.th.?

  16. classless Says:

    Nein, das gab es nicht schon immer: eine Maximalzahl zugelassener Quellen und gedanklicher Stützkonstruktionen ohne erkennbare ideologische Auswahl, die dann aber etwas zementieren, das von eine in die Millionen gehenden Anhängerschar für unhintergehbar gilt. So flexibel war der Wahn wohl bisher noch nicht.

    Verschwörungstheorien als solche sind auch gar nicht das Thema, die bloße Mutmaßung über mögliche klandestine Strukturen ist absolut okay und oft hilfreich. Es geht um Verschwörungsideologie, zeitgeschichtlich um solche Konstruktionen wie den “Block der Rechten und Trotzkisten” oder die “Internationale der Zionisten und Imperialisten”, in der totale Gesellschaftskonzepte ihr Ventil finden; heute um die Schuldigen am für viele unverständlicher Ausbleiben der sozialistischen Weltgemeinschaft. Solche Sachen.

  17. classless Says:

    Du hast es noch nicht wirklich, aber ich habe gerade keine Lust, mein ganzes Buch noch mal in die Kommentarsektion meines Blogs zu schreiben. Du mußt nur noch drei Wochen drauf warten – dann werden dich die Kapitel “Travestie”, “Babylon” und “Entschwörung” besonders interessieren.

    Nix für ungut.

  18. hartmut Says:

    buch werd ich mir besorgen (kein witz, ist ehrlich gemeint).

    ein paar kleine fakten noch: aufgrund schnellerer kommunikation per web werden wir dieser dinge sicherlich besser gewahr. man darf hier die bessere brille/das bessere fernrohr nicht mit den fakten selber verwechseln (“Rehabilitierung der unabhängigen kategorie tatsache” ;-)).

    verschwörungsirrsinn gab es immer. etwa: diverse malayen gegen die chinesisch-stämmige minderheit in malaya (mit “argumenten”, die denen der antisemiten zum verzweifeln ähnlich sehen!). Pogrome. Jagd auf “Spione” (“Fremdländische”) August 1914 (hochinteressantes Thema! siehe Canettis Erinnerungen) etcetc…

  19. hartmut Says:

    eins noch:

    “Es geht um Verschwörungsideologie, zeitgeschichtlich um solche Konstruktionen wie den “Block der Rechten und Trotzkisten” oder die “Internationale der Zionisten und Imperialisten”, in der totale Gesellschaftskonzepte ihr Ventil finden; heute um die Schuldigen am für viele unverständlicher Ausbleiben der sozialistischen Weltgemeinschaft. Solche Sachen.”

    da werden wir schnell handelseinig. Dumm-links übelster Sorte. Mein absolutes Lieblingsbeispiel war ein Vortrag des Linksruck über Zionismus… der berief sich für seine breiigen Albernheiten und Judenhassereien allen Ernstes auf – hold on to your seat! – Hannah Arendt. Denen musste ich erst mal “Eichmann in Jerusalem” verklickern. Ich fürchte, das war erfolglos…

  20. classless Says:

    Ein letzter Kommentar: Das Internet hat verstärkungstechnisch nichts mit der Verschwörungsideologie vor seiner Erfindung zu tun und auch heute nichts mit den verschwörungsideologischen Äußerungen, die in der Offlinewelt getätigt werden. Wenn ich es nur danach beurteilen würde, wäre alles gar nicht so schlimm. Verschwörungsideologie blüht im Unterschied zur nicht-ideologischen Verschwörungstheorie besonders dort sehr gut, wo es ums Internet nicht so gut steht, wo es zensiert oder schlecht zugänglich ist.

    Was soll das heißen, daß es “Verschwörungsirrsinn” schon immer gab? Irrsinn gab es seit seiner Definition als Gegenteil der geistigen Gesundheit. Und? Verschwörungsideologie ist ein modernes politisches Phänomen und es hilft der Analysefähigkeit nicht weiter, dieses Phänomen im Allgemeinen zu ertränken – ja, ja, der Mensch war schon immer so, jeder Wahn ist am Ende gleich, Ähnliches ist auch irgendwie identisch – genau von solchem Begriffsgemauschel hattest du dich doch oben noch distanziert!

  21. hartmut Says:

    irrsinn ist für mich nichts pathologisches. ein klinisch schizophrener kann wunderschöne gedichte schreiben, und ein gesunder äussert den tollen satz, wir bräuchten mal wieder ne gaskammer in deutschland (live gehört!).

    nein, mir geht es schon um präzision. die anklage gegen sokrates, zB, war von verschwörungstheorie geprägt (“verführer der jugend”). ich halte die these, dass es verschw.th. gibt, seit die menschen politisch kommunizieren, für gut belegt.

    mfg

  22. satyamandira Says:

    Hallo Hartmut!
    Du schriebst:
    “Man nenne es Klasse , man nenne es Schicht…aber dass es sie weiterhin gibt und sie mitnichten einfach mal getauscht werden können, sollte evident sein. Die Klassen sind durchlässig für einzelne (waren es übrigens immer schon, selbst in der Sklavenhaltergesellschaft), aber sie wirken weiterhin.”

    Vielleicht solltest du das Buch mal lesen? Christoph Spehr beschreibt die “Aliens”, “Faschisten”, “Zivilisten” und “Marqui” nicht als Klassen der herkömmlichen Art, wie du sie vermutl. verstehst (?), sondern als Lebensprinzipien und Weltanschauung. Hierbei ist es wohl möglich “hin und her” zu wechseln, sei es zu selben Zeiten in verschiedenen Lebensbezügen oder auch im selben Lebensbereich zu verschiedenen Zeiten. So mögen sich einige als revolutionäre Marqui bei ihren Kollegen erweisen, jedoch zuhause bei ihrer Familie als echte Aliens. Oder ein bisheriger Marqui sieht sein bisheriges Verhalten als sinnlos an und will dann auch “seinen Teil vom Kuchen” . Oder einem bisherigen “Zivilisten” wird es irgendwann zuviel, dass er zu den Marqui überläuft. … .

  23. satyamandira Says:

    sorry, Schreibfehler: es heisst:
    Maquis

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