Die islamische Weltverschwörung

May 22nd, 2007

So infam weiterhin jede Gleichsetzung der antimoslemischen Stimmungsmache mit dem Antisemitismus der Nazis ist, so sehr ist doch offenkundig, wie stark gegen die Moslems jene Ideologien gerichtet werden, die im 19. Jahrhundert – vor allem in dessen erster Hälfte – gegen die Juden als “Staat im Staate” (Fichte), als mittelalterlicher Religionsgemeinschaft, als Profiteure vom krisenhaften Gesellschaftszustand vorgebracht wurden. Hier war eine Verschiebung des Feindbilds Adel als gleichsam obsoleter, abgesonderter und parasitärer Klasse auf die Juden erfolgt, erst in der Folge führte dann das Wiederaufleben von Elementen des religiösen Judenhasses und die Entfaltung des Konspirationismus in den Wahn des modernen Antisemitismus.

Wie es also Parallelen zwischen antimoslemischen Ideologemen der Gegenwart und antijüdischen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gibt, ist auch der Topos der antisozialen moslemischen Verschwörung unter heutigen Islamgegnern und -kritikern anzutreffen. Ganz im argumentativen Dilemma ihrer Vorläufer, die sich in diesem Fall im frühen 19. Jahrhundert noch weniger auf Juden kapriziert hatten, sondern vorwiegend Weltherrschaftsplänen von Geheimbünden nachspürten, präsentieren Autoren wie Udo Ulfkotte die mehr oder weniger handfesten Belege für klandestine Organisationen von militanten Islamisten, für deren Absichten, die westlichen Gesellschaften zu unterwandern und zu durchdringen, um schließlich einem radikal ausgelegten Islam zur Weltherrschaft zu verhelfen.

Ohne Zweifel gibt es Strukturen, denen solche Ambitionen zuzutrauen sind und nicht selten haben sich verschiedene Vertreter des radikalen Islam darüber ausgelassen, wie die sittliche Schwäche des Westens diesen für eine islamische Subversion anfällig mache. Doch der Umstand, daß etwa der Muslimbruderschaft das Vorhaben der Unterwanderung halbwegs nachzuweisen ist, heißt weder, daß ihnen das jemals gelingen wird, noch daß auch nur eine nennenswerte Zahl von Moslems dieses Vorhaben überhaupt unterstützen würde.

Der Rezensent des Tagesspiegel, der Ulfkottes jüngstes Buch “Heiliger Krieg in Europa. Wie die radikale Muslimbruderschaft unsere Gesellschaft bedrohtbesprach, tat also recht daran, den angeblich von Ulfkotte belegten

>>“Masterplan”, der 1982 verfasst und 2001 in der Schweiz bei einer Hausdurchsuchung entdeckt worden und Teil eines „100-Jahre-Plans“ sei, „um die Ideologie der Muslimbruderschaft rund um die Welt zu verbreiten“. Schon 2020 solle „der Rest der Welt durch eineinhalb Milliarden Muslime niedergeworfen sein“.<< in die Nähe von Verschwörungstheorien zu rücken. Allerdings halte ich den Verweis auf die “Protokolle” dann doch für überzogen, vielmehr erscheint Ulfkotte, der zwischenzeitlich einen Verein “gegen Eurabien” gegründet hat, wie einer jener Warner vor den Illuminaten, die es ja mit einem realen Geheimbund zu tun hatten, der tatsächlich vorhatte, die Welt nach und nach zu beherrschen. (Zur Geschichte der Illuminaten sind übrigens schon einige Postings im Entwurfsstadium.) Wie diese Warner scheint er jedoch das Phänomen isoliert zu haben und nun zu vergessen, daß es meist ganz konkrete Gründe für klandestine Organisation gibt, die mit dem Erfolg des jeweiligen Vorhabens noch nicht unbedingt in Zusammenhang stehen. Eine Verschwörung findet immer in einem sozialen Rahmen statt, der sie bemerken kann, der auf sie reagiert und sie entsprechend ermutigen oder entmutigen wird.

Ich werde mir das Buch besorgen und versuchen, daran meine Trennung von offener und ideologischer Form des Verschwörungsdenkens nachzuvollziehen. Möglicherweise lassen sich einige meiner Bestimmungen durch die Aktualität des Themas und die Vielzahl an bekannten Meinungen und Gerüchten dazu noch besser fassen.

56 Responses to “Die islamische Weltverschwörung”

  1. AntiMusel Says:

    Eurabien steht unmittelbar bevor! Nicht so blauäugig sein! Die Türkei muss draußen bleiben! Hassprediger muss man des Landes verweisen! Die Werte des jüdisch-christlichen Abendlands müssen bedingungslos verteidigt werden!

  2. qwerty Says:

    Du magst bei dem strukturellen Vergleich früher antijüdischer und heutiger antimuslimischer Ideologien nicht ganz Unrecht haben (da haben sich auch schon viele Religionswissenschaftler zu ausgelassen.)

    Es gibt jedoch einen großen Unterschied zwischen Brunnenvergifter und Selbstmordattentäter am 11. September: Der zwischen einer imaginierten Verschwörung gegen die Gemeinschaft und einer tatsächlichen “Verschwörung” gegen all das, was gut am Westen ist.

  3. classless Says:

    @qwerty
    Deshalb traf ich die Unterscheidung zwischen einerseits der allgemeinen antiislamischen Stimmungsmache, wie sie der erste Kommentator betreibt und die mehr Gemeinsamkeiten mit der antijüdischen von damals hat, und andererseits dem Verschwörungsvorwurf, der sich an die antifreumaurerischen und antiilluminatischen Verschwörungstheorien anzulehnen scheint und der bei den damaligen Vorläufern z.B. auf die “Drahtzieher” hinter der Französischen Revolution abhob.

    Aber ich habe das Buch von Ulfkotte wie gesagt noch nicht gelesen und will nicht voreilig Parallelen ziehen – das sind alles eher Vorüberlegungen.

  4. AntiMusel Says:

    Hab ich mir immer schon gedacht, dass ihr sogenannten Antideutschen unsichere Kantonisten seid, wenn es um den Islam geht! Das christliche Abendland ist euch Vaterlandsverrätern scheißegal! Und jeden, der über Ausländerkriminalität nicht schweigt und denn Steinzeitgeist der Moslems bennent, diffammiert ihr gleich als Verschwörungstheoretiker!

  5. capitalism Says:

    “so sehr ist doch offenkundig, wie stark gegen die Moslems jene Ideologien gerichtet werden, die im 19. Jahrhundert – vor allem in dessen erster Hälfte – gegen die Juden als “Staat im Staate” (Fichte), als mittelalterlicher Religionsgemeinschaft, als Profiteure vom krisenhaften Gesellschaftszustand vorgebracht wurden.”

    Das ist doch Bullshit. Nichts als Gleichsetzung, auch wenn du das zu Beginn relativierst.

  6. nonono Says:

    Na, wenn der Kapitalismus selber das sagt… Aber auch dir auf einer Realabstraktion allgemeiner Äquivalenz beruhender Gesellschaftsordnung müsste doch der Unterschied zwischen old school und new school Antisemitismus bekannt sein? Oder lassen die sich in dir ohnehin gegeneinander tauschen, so dass sie zur selben Soße werden?

  7. Serdar Says:

    @capitalism
    Fragt sich nur was daran so schlimm sein soll an Gleichsetzung.

  8. classless Says:

    @Serdar
    Na, was an der Gleichsetzung von Holocaust und antiislamischem Rassismus schlimm ist, liegt schon auf der Hand. In bezug aufs 19. Jahrhundert gibt’s allerdings in der Tat zahlreiche Parallelen.

  9. Serdar Says:

    Aha und wer hat hier den Holocaust und antiislamischen Rassismus gleichgesetzt?

  10. classless Says:

    Das waren konditionale Gedanken zuletzt: Wenn “capitalism” den Unterschied zwischen dem Vernichtungsantisemitismus und den Formen des Judenhasses im 19. Jahrhundert nicht akzeptiert, wenn also sein “Nichts als Gleichsetzung” sich darauf bezieht, daß diese beiden Formen letztlich zusammen gesehen werden müssen, dann habe ich den Antsemitismus als solchen mit antiislamischem Rassismus gelichgesetzt.

    Da ich aber auf der Unterscheidung bestehe und bei sozialen Phänomenen, die zweihundert Jahre auseinanderliegen, auch nicht davon sprechen würde, daß sie gleich bzw. identisch sind, sondern maximal strukturähnlich, sehe ich das selbst nicht so wie “capitalism”.

    Alles klar?

  11. Serdar Says:

    Das war mir schon klar, mein Frage bezügliche des Gleichsetzens ging ja auch an Capitalism, nicht an dich.
    Ich finde aber eine Gleichsetzung nicht “schlimm”, sondern einfach nur falsch.

  12. classless Says:

    Vielleicht könnte man es in die Formel “Singularitäten sind nicht identisch” fassen.

  13. mané Says:

    “so sehr ist doch offenkundig, wie stark gegen die Moslems jene Ideologien gerichtet werden, die im 19. Jahrhundert – vor allem in dessen erster Hälfte – gegen die Juden als “Staat im Staate” (Fichte), als mittelalterlicher Religionsgemeinschaft, als Profiteure vom krisenhaften Gesellschaftszustand vorgebracht wurden.”

    ich hätte gerne mehr belege für diese offenkundigkeit. mir wird nicht ganz klar, warum es sich bei diesen sachen nicht um ordinären rassismus handeln soll (die wortwahl von zb. antimusel weißt für mich doch ganz klar in diese richtung)?
    auf der anderen seite gab es im christilichen antijudaismus immer schon eine vorstellung von jüdischer übermacht (die macht gott zu töten) die später in weltverschwörungsphantasien übergangen ist, in hinblick auf den islam fehlt dies.

  14. qwerty Says:

    Da würde ich mich mané anschliessen. Die “islamische Weltverschwörung” gibt es so als Konstruktion analog zur jüdischen nicht. Die Rede von z.B. al-quaida als internationalem Terrornetzwerk ist ja dem Gegenstand adäquat. Auch klingt die Angst davor, dass 2020 „der Rest der Welt durch eineinhalb Milliarden Muslime niedergeworfen sein“ wird, eher nach dem typischen Das-Boot-ist-voll-Rassismus, weil es um die Masse der Muslime geht. Es klingt nicht, wie in der Überschrift angedeutet, nach einer “islamischen Weltverschwörung”, bei der Muslime die wichtigsten Schalter in der Welt besetzt haben und jetzt einen perfiden Plan umsetzen. (auch wenn es sich nicht vollkommen davon abgrenzen lässt.)

    Was schon stimmt, ist das die Juden das erste Objekt des Orientalismus waren und sich da einiges ähnelt. Ausser der Vorstellung als “Profiteure vom krisenhaften Gesellschaftszustand”, wo siehst du das?

  15. classless Says:

    Um das noch mal auseinanderzuhalten: auch wenn die Überschrift meines Postings mit dieser Assoziation spielt, spreche ich nicht von der “jüdischen Weltverschwörung” – es geht mir um zwei Gemeinsamkeiten: 1) um die zwischen antimoslemischer Stimmungsmache heute und antijüdischer Propaganda des frühen 19. Jahrhunderts, als von jüdischer Weltverschwörung niemand sprach, 2) um die zwischen antigeheimbündlerischer Verschwörungstheorie damals, als sie sich noch nicht gegen Juden richtete, und heute, wo sie sich in dieser einen speziellen Form gegen Islamfaschisten richtet, allerdings in Ulfkottes Version – das Buch muß ich mir wie gesagt erst mal genau anschauen – möglicherweise weit über die Realitäten tatsächlicher Strukturen und vor allem Machbarkeiten hinausgeht.

  16. bikepunk 089 Says:

    @qwerty
    Der Rassismus gegen als Muslim@ identifizierte Menschen hat schon die Qualität, dass denen zugetraut wird das “Abendland zu unterwerfen”, bzw. dass unterstellt wird das “Abendland” würde kapitulieren. Muslim@ werden so zum Teil einer mehr oder weniger organisierten Bedrohung stilisiert, Flüchtlinge die z.B. auf den Kanaren landen werden als Teil eienr “Flut” beschrieben,. Bei diesem “Das Boot ist voll” Rassismus ist es nur die Masse, die die “anderen” gefährlich macht. Bei als muslimisch identifizierten Menschen kommt dazu, dass sie nicht einfach nur “fremd” und exotisch” sein sollen, sondern gleichzeitig auch noch den bösen, harten, fanatischen, gefährlichen islamistischen Terror representen, ob sie wollen oder nicht.

  17. innsbronx Says:

    Der Islam an und für sich ist nicht der Angriffspunkt für rechte RassistInnen, sondern die angebliche Fremdartigkeit jener die sich dazu bekennen. Aber Nazis hatten und haben heute noch keine Probleme mit Islamofaschisten Bündnisse einzugehen. Man denke nur an Mohammed Amin al-Husseini und die muslimische 13. Waffen-Gebirgs-Division der SS Handschar. Auch heute gibt es Solidaritätsbekundungen von Neonazis mit Palästinensischen Terroristen oder Jubel über die 9/11 Attentate. Oder man denke an einen Jörg Haider, der in der arabischen Welt herumreist und von Muammar al-Gaddafi bis Sadam Hussein jedem die Hand schüttelt. Solange “die Moslems” ergo “die Ausländer” nur in “ihren Ländern” bleiben ist ja alles okay.

    Vergleichen wir nun den Antisemitismus im 19. Jahrhundert und den Antiislamismus heute (so er nicht einfach Xenophobie ist). Im 19. Jahrhundert war Antisemitismus durchaus schon völkisch, wie auch die Trennung in das was Antijudaismus und das was Antisemitismus ist, sehr problematisch ist. Tatsächlich fand das erste große Pogrom des 19. Jahrhunderts 1821 in Odessa statt. Soviel mal dazu. Tatsächlich verkündet heute der politische Islam sprich die verschiedensten Strömungen des Islamofaschismus einen Weltherrschaftsanspruch. Das lässt sich empirisch belegen. Zwischen dem Anspruch und der Fähigkeit diesen auch durchzusetzen, existiert natürlich ein gewaltiger Unterschied. Trotzdem besitzt der politische Islam ein großes Droh- und Einschüchterungspotential, man denke nur an iranische Atomwaffen, 9/11, 7/7 oder die täglichen Raketenangriffe auf das südliche Israel. Diese Tatsachen aufzuzeigen einfach als “Verschwörungstheorie” abzutun, das ist doch Realitätsverweigerung.

    Und nun zu den Vorwürfen gegenüber JüdInnen im 19. Jahrhundert: Vergleicht man einen Brunnenvergiftungsvorwurf mit 9/11, so muss einem doch augenscheinlich werden, dass ersteres keinerlei realen Hintergrund hatte und letzteres tatsächlich passiert ist. Wenn man die imaginäre Projektion von JudenhasserInnen und ein tatsächliches Ereignis mit tausenden Toten einfach gleichsetzt, dann ist sehr wohl was faul.

    Als Gegner des politischen Islams automatisch in die Schublade “Verschwörungstheoretiker” bzw. Rassist geschoben zu werden ist einfach nur infam.

  18. classless Says:

    Ich habe keine Lust, alles dreimal zu schreiben. Es geht _nicht_ um die “jüdische Weltverschwörung”, im ganzen Posting nicht. Und um Nazis, die sich mit Islamfaschisten zusammentun (möchten), auch nicht. Darüber habe ich und haben andere schon jede Menge geschrieben.

    Leute wie Ulfkotte, Kewil oder Herre würden sich aber niemals mit islamistischen Terrororgansationen gemein machen wollen, sie argumentieren gegen den Islam als steinzeitlich oder mittelalterlich sowie als abgeschottet, und darin sind die Parallelen zur typischen Propaganda gegen Juden im frühen 19. Jahrhundert zu sehen.

    Schön ist aber, daß im Zuge der Diskussion einige der Beteiligten überhaupt mal von Antiislamismus und antiislamischem Rassismus reden.

  19. Serdar Says:

    Genau kann man dazu nur was sagen, wenn man die Diskurse im 19.Jhr. auswertet. Also Zeitungen, Artikel usw.
    Das gleiche gilt für die jetzige Zeit, und da dürfte es in den Medien nicht sehr rosig aussehen.

  20. classless Says:

    Deshalb werde ich mich wie gesagt an dieses Buch machen, weil ich glaube, dort mal einige typische Motive zu fassen zu kriegen.

  21. bigmouth Says:

    wenn ich mich nich irre, so war bei der propaganda gegen die “ostjuden” ende des 19. jhdts der weltverschwörungsgedanke doch auch überhaupt nicht zentral, oder?

  22. classless Says:

    Naja, zentral ist eine schwierige Kategorie in diesem Zusammenhang. Für Deutschland läßt sich sagen, daß es ab den 1870ern zu einem populären antisemitischen Slogan wurde, von der “goldenen und roten Internationale” zu sprechen, wobei vorwiegend das jüdische Bürgertum und die deutsche Arbeiterklasse gemeint waren, gerade im alldeutschen und noch mehr im österreichischen Kontext gehörten die “Ostjuden” aber mit zum Teil des großen Unterminierungsplans gegen die Deutschen.

  23. Serdar Says:

    Im Mittelalter hat der Antijudaismus oft (also nicht immer) auch als Vorwand für antitürkische oder islamische Einstellungen gedient. Wenn man bedenkt, wie latent die Bedrohung hochgehalten wurde. Es war also durchaus so das der Antijudaismus auch für andere Zwecke gedient hat.

  24. maloXP Says:

    So infam weiterhin jede Gleichsetzung der antimoslemischen Stimmungsmache mit dem Antisemitismus der Nazis ist,

    Da möchte ich nachhaken. Arne Hoffmann setzt in dem verlinkten Artikel ja nicht Antisemitismus mit dem Moslemhass heutiger Zeit gleich – er rückt nur eine Bewertung des Komplexes Antisemitismus (die ja auch von Broder in seinen besseren Tagen getragen wurde) in die Nähe seiner eigenen Bewertung eines – in der Tat abartig abfälligen und von deutlicher Islamophopie getragenen – Bewertung des Kurnaz-Buches durch Welt-Chef Posener. Hoffmann vergleicht nicht Guantanamo mit Auschwitz sondern die eigenen Bewältigungs- und Verdrängungsmechanismen der “schuldigen Parteien” miteinander. Es ist quasi ein doppelt reflexiver Vergleich und somit kompliziert genug. 😉 In meinen Augen geht das rhetorisch aber in Ordnung, weil sich beide Komplexe, also der Antisemitismus der Nazis und die Moslemhetze heute, mal abgesehen von den Konsequenzen, in einigen Aspekten durchaus ähneln.

    Es gibt jedoch einen großen Unterschied zwischen Brunnenvergifter und Selbstmordattentäter am 11. September: Der zwischen einer imaginierten Verschwörung gegen die Gemeinschaft und einer tatsächlichen “Verschwörung” gegen all das, was gut am Westen ist. (qwerty im 2. Kommentar)

    “all das was gut am Westen ist” – ein Allgemeinplatz, den ich gerne in dem Zusammenhang näher erläutert wüsste. Ferner glaube ich nicht, dass sich Ulfkottes politische Kampagne gegen die Al-Qaida richtet, sonst würde er die notwendigen sprachlichen Differenzierung machen.

  25. classless Says:

    Die sprachliche Gleichsetzung sah ich in der Verwendung des wirklich nur auf Auschwitz beziehbaren Titels des Postings.

  26. godforgivesbigots Says:

    In einem bestimmten Aspekt hat Ulfkotte recht.

    Es gibt eine tatsächliche Nachfrage nach dem Sturz der nominell prowestlichen Diktaturen in islamischen Ländern (z. B. Ägypten, Pakistan, Arabien).

    Der Ikhwan (Muslimbruderschaft) vertritt die Auffassung dass dies am besten durch den Sturz der westlichen Regierungen zu erreichen sei. Wer eine andere Auffassung hierzu vertritt, muß auch einen Weg anbieten der o.g. Nachfrage auf andere Weise entgegenzukommen. Solange dies nicht geschieht befindet sich der Ikhwan in einer Situation des strategischen Vorteils, und jedes seiner programmatischen Dokumente erscheint als “Masterplan.”

    Wenn sich welche heimlich zusammentun um zu versuchen Musharraf mit Waffen und Sprengstoff aus dem Weg zu räumen, muß man das eine Verschwörung nennen wie bei Stauffenberg?

  27. classless Says:

    Aber die reale Bedrohung durch die Muslimbruderschaft ist nicht Ulfkottes Punkt, die haben ja auch jede Menge andere schlauere Leute auf dem Schirm. Ihm geht es um die Assoziation dieser Struktur mit einer großen Menge an Moslems und er versucht damit mehr oder weniger absichtlich und bewußt, das Problem Rassismus ausblenden zu können. Es taucht in seinem jüngsten Buch überhaupt nicht mehr auf.

  28. ghost Says:

    Guantanamo ist nicht das Pendant zu Auschwitz, da das Prinzip ein anderes ist, aber antijüdischer Rassismus (der Begriff wird offenbar bei uns an der Uni in der Geschichtsabteilung verwendet) und antimuslimischer Rassismus, auch im frühen bis mittleren 20. jahrhundert, sind sich schon ganz ähnlich. Nicht unbedingt der “der Nazis” aber es gab ja auch sowas wie einen antisemitischen Mainstream in dieser Zeit, den ich wesensmäßig nicht trennen würde vom eliminatorischen Antisemitismus, ein gradueller, kein kategorialer Unterschied. In der Verwissenschaftlichung des Rassismus Anfang des 19. Jahrhunderts sehe ich den Grundstein für eine Einstellung, in der das eliminatorische Element vorkommen konnte oder nicht. manche berühmten Antisemiten wie Gertrude Stein waren eigentlich immer ganz ‘normal’ antisemitisch, aber wenn es um die Problemlösung im armen deutschland geht, taucht auch bei der Frau Stein das eliminatorische Element auf. Die Tatsache, daß ich es ‘rational’ erfassen kann, ist der entscheidende Baustein dafür, daß ich es auch in rationale Lösungsstrategien einbauen kann. Daß das Eliminatorische auch Teil so einer Lösungsstrategie sein kann wurde früher entwickelt (wann? Historiker anwesend?) und schon vom guten Herrn Trotta durchgeführt.
    Sag ich jetzt mal so. Könnte natürlich gut sein, daß ich falsch liege aber es gibt ja zum Glück selbst in den Geschichtswissenschaften keine eindeutige Lehrmeinung zum Thema also ist da auch Raum für mich.
    🙂

  29. classless Says:

    Du solltest vielleicht mal “Antisemitismus von links” von Thomas Haury lesen.

  30. ghost Says:

    wieso?

    Meine ‘These’ (papperlapapp) ist ja nicht auf rechten antijüdischen Rassismus bezogen, wenn ich sie auch aus einigermaßen (für nen Fachfremden) intensiver Beschäftigung mit Texten und Autoren der Konservatioven Revolution des 20,. Jahrhunderts einerseits und aus wissenschaftlichen antijüdischen und antinegriden Texten des 19. Jahrhunderts gewonnen habe.

  31. ghost Says:

    Erzählen Sie mir von dem Buch.
    Ein zwei Sätze, Herr Kulla.

  32. ghost Says:

    Die Beschreibung hier
    http://www.amazon.de/Antisemitismus-von-Links-Thomas-Haury/dp/3930908794/ref=sr_1_2/028-0271690-6092569?ie=UTF8&s=books&qid=1192145528&sr=8-2
    klingt jedenfalls wenig aufregend, erzählt sie mir doch von dingen, die ich weiß. Das sind doch nun recht alte Hüte.

    “trotz des Fehlens unmittelbar antijüdischer Einstellungen”
    weist er das schlüssig nach? Ich bin ja nun ganz anständig belesen in russischer Literatur des 19. Jahrhunderts und des frühen 20. und ich sehe da eine deutliche kukturelle Anspannung, was dieses Thema betrifft. Da mäöchte ich bitte einen sauberen Nachweis haben, daß der Wladimir Illitsch kein Stück von diesem kulturellen Kuchen genommen hat. Und die Interessantheit (?) seiner These steht und fällt schließlich mit diesem Anfangsnachweis. Alles andere ist Pipifax.

  33. ghost Says:

    ich habe ja den Verdacht, daß das “unmittelbar” in diesem Satz ein cop-out ist, ähnlich der Eva Hermann- Taktik.

    Oder daß die KPD in der weimarer republik erstmal wesenhaft ANDERS war als der Rest der Deutschen. Diese Nähe von Kapitalismus/Imperialismuskritik mit dem ganzen in der Beschreibung angetroffenen Anhängseln zum Antisemitismus ist doch schon so bekannt, das stand doch in jedem zweiten Buch über Ezra Pound, dessen Antimemitismus in den cantos schließlich auch nicht primär aus Angriffen gegen Juden bsteht sondern aus seinen Invektiven gegen “ursury”, in jedem Zweiten Buch also über Pound aus den 1960er Jahren ohne irgendjemand aufzuregen.

  34. ghost Says:

    apropos antisemitismus.

    ann coulter ist wirklich lustig, intelelktuell ist sie der broder der amerikanischen fernsehkommentatoren und das hier, wirklich wirklich gut

    http://thecaucus.blogs.nytimes.com/2007/10/11/coulter-christians-as-perfected-jews/index.html?hp

  35. godforgivesbigots Says:

    @classless: Ulfkottes Zielgruppe ist die westdeutsche Kleinstadt- und Landbevölkerung wo es kaum Muslime gibt. Dort herrscht traditionell ein verkürztes Demographieverständnis vor. Da gibt es bei den deutschen Konservativen einiges zu entschwören, äh zu entwirren.

    Demographie in Deutschland ist wirklich seltsam: Jeder Kindesadoption stehen zehn Adoptionswünsche gegenüber. Und jedem Adoptionswunsch stehen zehn Abtreibungen gegenüber. An solchen Konfusionen erkennt man eine Population, deren Idee von Zukunft auf den Zeithorizont der gegenwärtigen Generation eingeengt ist.

    @ghost: Die Frage stellt sich für Frau Coulter wahrscheinlich so in der Form nicht direkt, aber wenn Du Jude werden wollen würdest müßtest Du Dich von Deiner Vorhaut verabschieden, als Christ dagegen brauchst Du das nicht. Aber wissen sollte sie eigentlich schon dass was einmal abgeschnitten ist nicht mehr perfekt nachwächst. Der Mensch ist ein schlechter Regenerator, anders z.B. als der in der Hinsicht eher intelligent designte Frosch.

  36. classless Says:

    Zum Buch: Haury leitet den modernen Antisemitismus im ersten Teil des Buches her, um ihn von vormodernen Formen begrifflich zu trennen. Dabei geht er auch auf die Entstehung von eliminatorischen Vorstellungen ein, die sich zunächst in Frankreich auf den Adel und erst dann auf die Juden richteten. Der Hinweis war als Antwort auf deine Frage nach dem Enstehen des Eliminatorischen gemeint.

  37. ghost Says:

    @godforgivesbigots: *lach* Unter dem Aspekt hab ich das nch gar nicht betrachtet…

    @classless: setzt er sich dabei von klassischen antisemitismustheorien ab?

  38. classless Says:

    Ich weiß nicht, was du schon gelesen hast – in jedem Fall fand ich seine Begriffsbildung präziser und den Zusammenhang mit Nationwerdung und Adelsfeindschaft besser her- und dargestellt als anderswo.

    Wenn für dich die Frage offen ist, wann das Eliminatorische historisch anzusetzen ist, wirst du bei Haury fündig.

  39. ghost Says:

    ok. Ich bestell es mal per interlibrary loan.
    obwohl diese beschreibung des buchs echt nach grobem unfug klingt aber davon ist hoffentlich dieser bereich nicht betroffen, hat ja zunächst nicht direkt mit der kernthese zu tun.

    danke. 🙂

    Was die GEB Sache betrifft, manchmal (finde ich) sollte es eine Altersbeschränkung (nach oben) für manche Bücher geben. Ich lese gerade u.a. Zen and the Art of Motorcycle Maintenance, ein derartig stupides dummes Gewäsch daß ich es schon zweimal gegen die Wand geworfen habe und doch wurde es mir als “Philosophie” empfohlen.

    Gott.

  40. ghost Says:

    den Zusammenhang zwischen nationwerdung und modernem totalotarismus und rassismus findest du übrigens hübsch bei Paul gilroy (guckst du: http://shigekuni.blogspot.com/2007/09/on-paul-gilroys-black-atlantic-as.html) und vor allem bei den autoren der konservativen revolution (nur positiv bewertet und eher implizit), besonders in den geschichtsbetrachtungen von hofmannsthal und borchardt.

  41. oona Says:

    @Ghost: Ich fand Zen and the Art of Motorcycle Maintenance im großen und ganzen esoterischen Schmarrn, ein paar Reflexionen über Wissenschaft aber doch nett. Nicht mehr, und er hätte das Buch deshalb auch nicht unbedingt schreiben müssen.

  42. ghost Says:

    Zur Problematik des Begriffs “Holocaust”

    http://shigekuni.blogspot.com/2007/10/das-falsche-wort.html

    @Oona: Ist ja nicht nur die Esokiste, das klingt ja z.T. nur wie Eso ist aber die literarische Verbrämung eines erzkonservativen Wahrheitsbegriffs.

  43. difficultiseasy Says:

    der begriff holocaust hat aber griechische wurzeln. heisst übersetzt “vollständig verbrannt”. mag sein dass er mit dem begriff “olah” irgendwie etymologisch verwandt ist. die haben aber erstmal nix miteinander zu tun, begrifflich.

  44. ghost Says:

    Agamben sagt das auch, aber führt aus “Die Bedeutungsgeschichte des Wortes ist im Wesentlichen christlich, denn die Kirchenväter benutzten es […] um die komplexe Opferlehre der Bibel zu übersetzen. Im Leviticus werden alle Opfer auf vier Grundtypen zurückgeführt, olah, hattat, shalamin, minha. Die Vulgata übersetzt im allgemeinen olah mit Holocaustum […].
    Dann zeihnet er nich ein bißchen die wanderung des Begriffs nach.

  45. ghost Says:

    nach der auslassung nach holocaustum ist das zitat zuende.

  46. difficultiseasy Says:

    aber das is für den begriff des holocaust doch unbedeutend, da die christliche opferlehre
    1. den allermeisten menschen glücklicherweise nicht vertraut ist (da tl;dr und stuff nobody cares about)
    2. er im normalen sprchgebrauch der feststehende begriff für die shoah ist.
    3. etymologen mir da widersprechen würden, aber die etymologen entscheiden glücklicherweise auch nicht darüber wie und was gesprochen wird.

  47. ghost Says:

    was hätte denn dann dein etymologisches Argument in deinem letzten Posting für einen Sinn?

    Mit Recht schreibt Agamben in der erstenzitierten passage “…beweist Unwissen” und ja, “die allermeisten Menschen” sind dann wohl unwissend.

    Wo du jetzt den Quatsch von Punkt 3 herausgekramt hast ist mir vollends unverständlich. Von Sprachentscheidungen redet doch hier wirklich keiner. Ich nicht. Agamben nicht.

  48. difficultiseasy Says:

    dann is ja gut.
    aber wen meint agamben dann? wer zieht eine verbindung zwischen holocaust und olah?
    und wie lässt sich daraus die überschrift des artikels “das falsche wort” herleiten?
    ich geb mir ja auch mühe statt holocaust den begriff shoah zu verwenden, aber das liegt daran, dass es in den köpfen zu vieler menschen zB den Bomben-, Atomaren Holocaust etc gibt. Worin besteht die Problematik des Begriffs Holocaust, wenn sich alle klar sind worum es geht (also keine Babycaust Spinner an einer Diskussion teilnehmen)?

  49. ghost Says:

    Problem ist nicht die Verbindung des Begriffs mit der olah, sondern die Tatsache, daß sich der Begriff am Anfang sowohl in antijüdischen als auch in regulären christlichen Kontexten erschien und später in dezidiert antijüdischen Texten.

    Außerdem schreibt Agamben im zitierten Zitat “eine auch nur entfernte Verbindung” und wenn sein Nachweis stimmt, dann gibt es eine Verbindung, keine direkte und auch heute keine wirkmächtige Verbindung zwar aber das ändert ja nichts an dem Satz.

    Aber ich ändere den Titel des blogposts. Der wirkt zu aggressiv. Und irgendwann zitiere ich extensiver aus der Passage.

  50. ghost Says:

    Und ja, Absatz 1 und 2 meines letzten posts widersprechen sich.

  51. UnCthulhu Says:

    Widersprechen gibt es nicht, sag doch einfach, das war eine dialektische Erörterung der Argumente. Ok, ok, ich hör ja schon auf mit meinen pseudohumorigen Bemerkungen.

  52. godforgivesbigots Says:

    Nicht vergessen, Pirsig fällt in die Rubrik Memoirenliteratur. Und ich finde er hat recht, Ersatzschnürsenkel sollte man immer dabeihaben, die sind nützlich für alles mögliche woran man beim Packen noch nicht denkt.

    Das Buch trifft durchaus einen Nerv Amerikas, auch wenn sich das nicht immer gleich erschließt. Der politische Ziehvater des berüchtigten Karl Rove hat einmal seinen Gegenkandidaten damit besiegt daß er outete dass dieser einige Jahre zuvor derselben Behandlung unterzogen worden war wie Pirsig, und sich dann ein Jahrzehnt später in aller Form dafür entschuldigt. Wie man so sagt, die Zeit heilt alle Wunden, aber Narben bleiben.

  53. ghost Says:

    “Nicht vergessen, Pirsig fällt in die Rubrik Memoirenliteratur.”

    Auf meinem taschenbuch steht “philosophy”. so. und als philosophie ist es mist.

    *bockigist*

  54. classless Says:

    Ach ja, der böse Umschlagtext…

  55. ghost Says:

    Sorry ich hab gestern eine Arbeit abgegeben und 37+ Stunden nicht geschlafen. Offensichtlich bekommt mir das nicht…

    Nein, also. Es ist natürlich nicht textinhärent, ob etwas philosophie oder autobiographie (memoiren) ist, zumindest über ersteres hab ich auch was geschrieben, ich meine auch in meinem blog, travelingtheory? oder so.

    aber es ist eigentlich egal. als philosophie ist es müll, als roman ist es deutlich zu preachy und als memoiren auch.

  56. godforgivesbigots Says:

    Den macht der Verlag. Aber apropos Philosophie. Der Leiter des Lehrstuhls bei dem Pirsig versucht sein “unerhörtes” Opus Magnum einzureichen ist der mittlerweile sagenumwobene Leo Strauss. Pirsig nennt eine Reihe von Namen bis hinauf zum Stellvertreter.

    Eine interessante Stelle:

    I have one tiny fragment of Phædrus standing in the stone corridor of a building, evidently within the University of Chicago, addressing the assistant chairman of the committee, like a detective at the end of a movie, saying: “In your description of the committee, you have omitted one important name.”

    “Yes?” says the assistant chairman.

    “Yes,” says Phædrus omnisciently, ” — Aristotle — ”

    The assistant chairman is shocked for a moment, then, almost like a culprit who has been discovered but feels no guilt, laughs loud and long.

    “Oh, I see,” he says. “You didn’t know — anything about. — ” Then he thinks better of what he is going to say and decides not to say anything more.

    Was wußte der Neocon-Übervater was Otto Normalamerikaner nicht bewußt ist?

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