Achten Sie nicht auf das Volk hinter dem Vorhang!

September 6th, 2007

Wer sich in Deutschland für das Recht auf Privatsphäre einsetzt, vertritt eine Minderheitenposition und kann sich auf keine Civil Liberties Union stützen, nicht auf libertäre Fraktionen in den Regierungsparteien oder auf eine starke Bürgerbewegung, die wie in Irland Biometrie in den Ausweisen verhindern könnte. Es kann nicht von Lobbyarbeit gesprochen werden, wenn ein Datenschutzbeauftragter und ein engagierter Hacker vom Bundestag zu neuen Gesetzen angehört werden. Eine Lobby übt Druck aus, droht mit Sanktionen und zwingt diejenigen, die die Entscheidungen treffen, zwischen Interessen abzuwägen.

Mein Jungle-World-Kommentar zur dortigen Überwachungsdebatte, in der allerlei Wir-gegen-die-Konstruktionen (“Unsere grundlegenden Werte sind ihnen fremd“) und Regierungshandeln im luftleeren Raum (“Zur Überwachung der Bürgerinnen und Bürger ist ihnen inzwischen jedes Mittel recht“) zu besichtigen sind.

(siehe auch hier, hier, hier und hier)

10 Responses to “Achten Sie nicht auf das Volk hinter dem Vorhang!”

  1. classless Says:

    (Der Kommentar ist beim Kürzen ganz schön verändert worden. Wo ich von der “gegenseitigen Überwachung der Marktsubjekte” geschrieben hatte, steht jetzt “Überwachung der Bürger”…)

  2. signalpirat Says:

    Wie wäre es möglich, hier im blog die Originalversion zu veröffentlichen?

  3. classless Says:

    Ist zwar die völlig unredigierte Fassung, aber ich poste sie einfach hierhin:

    Achten Sie nicht auf das Volk hinter dem Vorhang!

    Stasi 2.0 reloaded schlägt zurück und is watching you? So ein Unfug. Selbstredend ist Überwachung gefährlich, nicht aber, weil sie den freiheitsliebenden Deutschen Kontrolle aufzwingt, sondern weil eine ohnehin konforme Gesellschaft ohne viel zu murren noch konformer werden könnte.

    Das MfS unterhielt 200 000 Zuträger, um die eigenen Staatsbürger davon abzuhalten, die Gesellschaftsordnung der DDR in eine der BRD ähnliche zu verwandeln. Abhörtechnik, willkürliche Verhaftungen und auch die Verwendung von Geruchsproben gehörten zur Routine. Der Innenminister, sein Ministerium und die anderen Sicherheitsfachleute der Gegenwart wollen hingegen die gegenseitige Überwachung der Marktsubjekte um einzelne, wenig zielführende Maßnahmen ergänzen.

    Wenn Schäuble seine Zwangsvorstellungen über Staat und Ordnung so weit ausleben kann, stellt sich eher eine Frage, die von den vernehmbarsten Anti-Schäublisten gern übergangen wird: Warum steht keine gesellschaftliche Bewegung gegen ihn? Warum gibt es zu Schäubles Schutz des Staates vor der Gesellschaft kein Pendant, die Gesellschaft vor dem Staat zu schützen?

    Sich Schäuble und die Stasi aufs Emblem zu heben, greift scheinbar taktisch das breite Bedürfnis nach Schuldigen und Skandal auf, um dann die komplexeren Zusammenhänge nachschieben zu können. Praktisch werden die Bedürfnisse damit affirmiert, und in den Pressemitteilungen fehlen sie auch schon wieder: Statt darauf einzugehen, dass die Bevölkerung nach hartem Durchgreifen verlangt, werden steile Thesen darüber aufgestellt, dass das Innenministerium Anschlagsrisiken übertreiben würde, um seine Pläne durchzubekommen. Dabei wurden die Verschärfungen der Inneren Sicherheit immer besonders geräuschlos durchgewunken, wenn es nicht um Terror ging, etwa beim Ausbau des kleinen BGS zur riesigen Bundespolizei oder bei der Ausweis-Biometrie.

    Wer sich in Deutschland für das Recht auf Privatsphäre, für Persönlichkeitsrechte allgemein einsetzt, vertritt eine Minderheitenposition und kann sich auf keine Civil Liberties Union stützen, nicht auf libertäre Fraktionen in den Regierungsparteien oder auf eine starke Bürgerbewegung, die wie in Irland Biometrie in den Ausweisen verhindern könnte.

    Es kann nicht von Lobbyarbeit gesprochen werden, wenn ein Datenschutzbeauftragter und ein engagierter Hacker vom Bundestag zu neuen Gesetzen angehört werden. Eine Lobby könnte Druck ausüben, mit Sanktionen drohen, die Entscheider zwingen, zwischen Interessen abzuwägen.

    Stasi 2.0? Nein, ganz einfach Volk 1.0, Standardausgabe. In einem tiefsinnigen Versprecher sagte meine Deutschlehrerin einmal: “Die Regierung macht mit dem Volk, was es will.” Wer in der Zeitung über seine Nachbarn lesen will, was sie für sexuelle Gepflogenheiten haben oder wie gemeinschaftsfeindlich sie sich der unkorrekten Mülltrennung schuldig machen, der hat wenig Skrupel, was einen starken, schützenden Staat angeht.

    Vielleicht würde eine Kampagne funktionieren, die genau diesem Schlag von Blockwarten klarmacht, dass die Grundlage für ihre Häme darin besteht, dass niemand etwas über sie selbst herausfindet.

  4. unkultur Says:

    Steile These von der Minderheitenpostition, wenn man sich aktuelle Umfragen zur Überwachung ansieht: http://www.daten-speicherung.de/index.php/forsa-meinungsumfrage-zur-sicherheitspolitik/

    Bei deiner Argumentation ziehst du fragwürdige Schlüsse: du schließt aus dem Nicht-Vorhandensein einer Bewegung, dass ein Konsens der Überwachung zwischen Volk und Regierung vorherrschen würde. Hier liegt aber nicht notgedrungen der kausaler Zusammenhang vor (wenn keine Bewegung, dann Zustimmung), den du unterstellst, schließlich muss in einer repräsentativen Demokratie nicht automatisch bei relevanten gesellschaftlichen Themen eine soziale Bewegung entstehen. Es gibt schließlich auch keine Bewegung für Steuersenkung (die BILD-Zeitung zählt nicht) etc.
    Dito für den Schluss, dass es keine libertären Fraktionen in den Regierungsparteien gäbe – da sich in der aktuellen Konstellation alle Parteien, die sich klassischerweise für Bürgerrechte einsetzen, in der Opposition befinden.

    Nur – und da hast du Recht – weist das auf das Elend der generellen Obrigkeitshörigkeit hin. Interessen werden in Deutschland eher nicht in außerparlamentarischen Bewegungen oder Organisationen organisiert, man lässt lieber mal die Parteien machen, irgendeine davon wird sich schon um die Bürgerrechte kümmern. Wenn ich mir´s so recht überlege ist der “Datenschutzbeauftragte” als staatlicher Überwacher des Staates eine vermutlich typisch deutsche Einrichtung. Andererseits wird es in Deutschland sowas http://www.ipcc.gov.uk/ niemals geben.
    Das sagt einiges über den Zustand der deutschen Bourgeoise und ihr Verhältnis zu ihrem Staat im internationalen Vergleich aus.

  5. neuronal Says:

    Der Datenschutzbeauftragte fällt unter checks and balances, da ist nichts “typisch Deutsches” dran. Dass er eher belächelt wird, ist schon eher ein Problem.

    Und ich glaub auch, dass da etwas mehr libertäres Bewusstsein vorhanden ist (z.B. auch in der SPD), als classless zugesteht – jedenfalls bis mal ein ernster Anschlag kommt. Aber die Fragestellung von Forsa Marke “Finden Sie es nicht auch unzulässig, wenn…” ist schon reichlich suggestiv.

  6. A Says:

    Und sogar bei dieser suggestiven Frage erreichen gerade mal drei der Überwachungsmaßnahmen eine mehrheitliche Ablehnung, wovon zwei aus der aktuellen Debatte stammen und nicht mal von 60 % der Befragten abgelehnt werden.

    Wie von den übergangenen Datenschützern immer wieder betont wird, ist die Ablehnung konkreter Maßnahmen, die einen selbst betreffen, immer etwas höher als die allgemeine Ablehnung von Eingriffen in die Privatsphäre. Von einer gesellschaftlichen Mehrheit für prinzipielle Unschuldsvermutung und Schutz der Persönlichkeitsrechte kann ich auch nichts erkennen.

  7. unkultur Says:

    Wo sollen denn die Fragen des Fragebogens abgedruckt gewesen sein? Ich kann auf dem Link von mir nur die Ergebnisse entdecken. Methodenkritik, ohne die Instrumente zu kennen, kann ich jedenfalls nicht üben und von der Präsentation der Ergebnisse auf Suggestivfragen schließen.
    Wie auch immer – den Schutz der Privatssphäre als klassische Minderheitenposition – ich bin mir da nicht so sicher.

  8. godforgivesbigots Says:

    Das Standardargument ist beim Überwachtwerden wäre ja jeder mal dran.

    “Gleiches Unrecht für alle” ist immer noch eine Mehrheitenposition.

  9. Frank Says:

    Und, was ist Deine Folgerung aus einem angeblich überwachungshungrigen Volk 1.0? Aufgeben, vielleicht noch bischen herumphilosophieren und die Zustände beklagen an denen man ja wegen dem blöden Volk sowieso nichts ändern kann? Oder noch eine Runde hochtrabend über die herziehen, die etwas verändern wollen und noch nicht aufgegeben haben? Und wenn sich doch mal was regt, die kleinen Erfolge noch kleiner reden, weil sonst könnte man ja am Ende Unrecht haben? Irgendwie armseelig…

  10. Hagbard Jesus Celine Says:

    Haha, da ist einer beleidigt, dass ihm an den Baum gepinkelt wurde! Nein, Frank, die Alternative dazu, es so zu machen, wie es gemacht wurde, besteht nicht notwendigerweise darin, es ganz zu lassen. Sie kann darin bestehen, es anders zu machen, die liebe Bevölkerung in der Kampagne zum Beispiel mitdenken. Dazu wäre es vielleicht hilfreich, sich auch mal was sagen zu lassen.

    Denn ob es jetzt der einzelne Kulla ist, der euch ein bisschen triezt oder ob ihr ihn für diese Kritik als Defätist hinstellt, ist schon ein gewisser Unterschied, oder?

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