Aus der Arbeitswochen-Zeitungslektüre

October 20th, 2008

BDI-Präsident Thumann kritisiert “diese Gier“, Matthias Platzeck den “entfesselten Kapitalismus“. Da muß der Staat her, das vermeintlich andere, aber auch nicht zu sehr. Die “Welt” gibt “kaltblütig” die richtigen Parolen zu Staat und Markt aus: “Krisen hat es immer gegeben, und es wird sie immer geben. Sie sind untrennbar mit dem Kapitalismus verbunden. Krisen lassen sich nicht verhindern – nicht durch Gesetze und auch nicht durch die Politik. Krisen gehören zu Märkten.” Ein paar Seiten später wiegelt Hans-Werner Sinn bezüglich der Weltwirtschaftskrise ab: “Damals hatten wir 30 Prozent Arbeitslose, davon kann nun wirklich nicht die Rede sein.” Und ergänzt die übliche Psychologisierung “Gier” um ihr Gegenstück “Neid”.

Die taz weiß: “Wie aus den Banken zu hören ist, spekulieren betuchtere [!] Anleger jetzt mit [!] fallenden DAX-Werten. (…) Vermutlich wird es am Ende also nicht mehr, sondern weniger Gerechtigkeit geben.” Haben sie wirklich gedacht, jetzt bräche der gute deutsche Sozialismus aus?

Wenigstens ein bißchen instruktiver hinsichtlich des Innenlebens der Krise fand ich Dirk Baeckers systemtheoretische Ausführungen: Zweimal null ist eins:

>>Wenn die Information im System verteilt ist, liegt sie für jeden Akteur nur unvollständig vor, da für seine Entscheidungen wesentliche Informationen nur bei anderen Akteuren zu finden sind, die jedoch erst reagieren werden und können, wenn der erste Akteur seine Entscheidung bereits getroffen hat. In dieser Situation ist Nullintelligenz, das heißt radikaler Opportunismus, die klügste Option, da jede andere Option bedeuten würde, dass man mehr zu wissen glaubt, als man wissen kann.

Diese Voraussetzung der Nullintelligenz ist jedoch in den vergangenen Monaten der Entwicklung der Subprime-Blase massiv verletzt worden. An die Stelle der Einsicht in die eigene Nullintelligenz war die greater fool theory getreten, in deren Rahmen jeder einzelne Akteur glaubte, es mit einem Markt zu tun zu haben, in dem andere noch leichter hinter das Licht zu führen sind als man selbst – mit dem wunderbaren Ergebnis, dass dem Markt noch Liquidität zugeführt wurde, als man nicht mehr an seinen Bestand glauben konnte. Jeder Akteur rechnete sich eine Größer-als-null-Intelligenz zu, die ihn sicherer als jede “Gier” dazu verführte zu glauben, dem System ein Schnippchen schlagen zu können.<< Warum der liebe "Akteur" das tat, wird nicht weiter vertieft, dafür geht's nun in die Glaubenswelt des Kapitalismus: >>Wenn man nicht mehr daran glaubt, dass Kredite einem Produzenten lediglich Kapital zum Herstellen von Produkten zur Verfügung stellen, für die Konsumenten Geld auszugeben bereit sind, bricht die Nullsummenkonstanzprämisse zusammen. Dann bewegt man sich in einer Wirtschaft, in der jedes Geschäft dazu führt, dass alle Beteiligten anschließend mehr Geld zur Verfügung haben als zuvor.<< Damit das nicht passiert, braucht's - na klar - den Staat. Wen denn sonst. Auch wenn's nur ungern zugegeben wird. Oder so: >>Dieser Punkt wird in der Diskussion über den Kapitalismus der freien Marktwirtschaft oft vernachlässigt, da er deutlich zeigt, von welchen politischen Interventionen das freie Spiel der Marktkräfte abhängig ist. (…) Die Wirtschaft der Gesellschaft kann nur funktionieren, wenn klug-opportunistische Händler von einer Politik nicht mehr und nicht weniger Kapital zur Verfügung gestellt bekommen, als sie brauchen, um konträre Positionen einnehmen und so ihren Übermut dämpfen zu müssen.<< Abseits der Krise noch zwei Fundstücke. Eins aus Karin Wielands “a.”:

>>Das war das unerhört Neue an der RAF und macht ihre ästhetische Wirkung bis heute aus, dass sie sich äußerlich nicht vom Bürger unterschieden, sondern sich als Bürger tarnten. Ästhetisch bedeutet das Auftreten der RAF das Ende von 1968. Ihnen geht es nicht um Gegenkultur und provokative Abweichung, sondern um Luxus und Gewalt.<< Und eins aus der jungen Welt (was ich mir diese Woche alles reingefahren habe…):

>>Im sächsischen Landtag konnte ein Neofaschist am Freitag erneut für einen Eklat sorgen. Der mehrfach vorbestrafte Ex-NPD-Abgeordnete Klaus-Jürgen Menzel erklärte: »Gegen Zionisten, Freimaurer, Kriegstreiber und andere Psychopathen« würden keine langen Reden, sondern »nur noch Handgranaten« helfen. Obwohl ihm der Landtagspräsident Erich Iltgen (CDU) das Wort in der von der NPD beantragten Debatte entzog, setzte der Abgeordnete noch einmal nach: »Wo aber Rotfront und Antifa haust, da helfen keine Sprüche, sondern nur noch die Panzerfaust«, rief er aus.<<

3 Responses to “Aus der Arbeitswochen-Zeitungslektüre”

  1. Cannabis Kommando Says:

    Die Geschichte ist eben kein Nullsummenspiel, und der Markt ist nicht das Ende der Geschichte. Die Akteure die Dirck Baecker kritisiert haben wenigstens die erste Hälfte hiervon kapiert.

  2. noodle Says:

    >>Im sächsischen Landtag konnte ein Neofaschist am Freitag erneut für einen Eklat sorgen. Der mehrfach vorbestrafte Ex-NPD-Abgeordnete Klaus-Jürgen Menzel erklärte: »Gegen Zionisten, Freimaurer, Kriegstreiber und andere Psychopathen« würden keine langen Reden, sondern »nur noch Handgranaten« helfen. Obwohl ihm der Landtagspräsident Erich Iltgen (CDU) das Wort in der von der NPD beantragten Debatte entzog, setzte der Abgeordnete noch einmal nach: »Wo aber Rotfront und Antifa haust, da helfen keine Sprüche, sondern nur noch die Panzerfaust«, rief er aus.<<

    Priceless!

  3. classless Says:

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