Daniel Kahn
February 14th, 2009“Nakam” heißt die markerschütternde Hymne von Daniel Kahns “Verfremdungs-Klezmer-Bunds”, der gestern im Grünen Salon auftrat. Darin geht es um den Fluchthelfer, Dichter und Partisanen Abba Kovner, dessen Organisation sich ab 1945 der “Rache für den Holocaust” widmete:
>>Das aufsehenerregendste Attentat der Nakam war der Anschlag vom 14. April 1946 auf das Internierungslager Langwasser bei Nürnberg. Dabei wurden die Brote für 12.000 bis 15.000 Internierte (zumeist SS-Angehörige) mit Arsen vergiftet. Nach heutigen Erkenntnissen wurde dadurch niemand getötet, allerdings rund 200 Personen so schwer vergiftet, dass sie nur durch intensive medizinische Behandlung gerettet werden konnten.<<
Die Tour ist vorüber, “Nakam” ist aber auf der MySpace-Seite zu hören.
Gestern abend erzählte Daniel Kahn Witze (Arzt: “Sie haben noch drei Monate zu leben.” – Künstler: “Wovon denn?”), stimmte das II. Finale der Dreigroschenoper an, schenkte sich gut was ein, duettierte mit Psoy Korolenko, erzählte noch mehr Witze (Engel zum Wehrmachtssoldaten: “Erschieß diesen polnischen Priester nicht, er wird einmal der Papst!” – Wehrmachtssoldat: “Was springt für mich dabei heraus?” – Engel: “Du kannst der Papst nach ihm sein!”) und meinte dann leider “Nakam” in etwas verpacken zu müssen, das er “Faschismus-Dialektik” nannte und das aus “Küßt die Faschisten” von Tucholsky sowie verschiedenen Hinweisen auf die Gegenwart und die Versöhnung bestand. Ohne Not fügte er ans Ende von “Nakam” einige Zeilen darüber, daß die Rache irgendwann auch ganz andere treffen könnte, d.h. die Palästinenser. Nach dem Song und dem stürmischen Beifall sagte Kahn: “This song never gets me into trouble in Germany.”
Man möchte ihm zurufen: Diejenigen, denen dieser Song nicht gefällt, kommen nicht auf deine Konzerte und wenn sie kämen, würde Küssen nichts helfen. Herrje, er muß doch die Deutschen nicht plötzlich mögen, nur weil einige von ihnen Klezmer hören.
February 14th, 2009 at 20:52
das buch ist eigentlich ziemlich empfehlenswert, die autoren waren damals bei ihrer lesereise ziemlich lustig, und falls du mal in israel bist empfehle ich einen ausflug nach lochamei ha gettaot. da wohnen bzw. wohnten die meisten der nakam leute naemlich, seit 1997 duerfen auch deutsche passinhaber dahin, und sich das museum der ghettokaempfer anschauen.
darueberhinaus bin ich mir nicht so sicher, ob er in seinem song nicht einige relevante sachen auslassen muss, die im buch eben verhandelt werden, wie eben auch die erfahrungen der ueberlebenden in der stadt der parteitage, und die sind dann nochmal um einiges deutlicher als padovers luegendetektor, weil die volksgenossen gegenueber vermeintlichen gleichen, noch weniger ein blatt vor den mund nahmen. dass die haganah das arsen verduennt hat, damit weiter displaced persons durch den amerik. sektor nach palaestina (damals noch) geschleust werden koennen, geschenkt.
p.s.: im uebrigen hoert hoffentlich niemand aus der carter-cash-family diesen song, oder wer auch immer die rechte an jener grossartigen songschreiberleistung june carters haelt, und ich weiss nicht ob es neben den obigen sachen nicht das meiste ist, was mich an dem song stoert, dass es eine schlechte coverversion von ring of fire ist.
February 14th, 2009 at 20:54
p.p.s.: na is schon dunkel aber trotzdem shabbath shalom, mf
February 14th, 2009 at 22:03
hab’s mir gerade nochmal angehoert, weil mir unter der dusche beim ring of fire singen(danke, selbst geohrwurmt) noch ein gedanke kam. ich finde es noch ein bisschen perfider ehrlich gesagt, dass die motivation so runtergebrochen wird. es ist ja eben nicht so, dass die nakam-leute mal eben auf rache auswaren, sondern dass dies ihre erklaerung fuer ihr ueberleben war, das ihnen genauso sinnlos und zufaellig erschien, wie der massenhafte mord vorher (sinnlos und zufaellig deshalb liebe gsp-fans, andere interessenfahnder und sonstige wahnsinnige deutsche weil es eben keine konkrete handlung gab fuer die man ermordet wurde oder ueberlebte) und das ihnen noch mehr schuldgefuehle verursachte, weil es eben keinen grund gab, das sie ueberlebten waehrend der rest ermordet wurde. why me auf eine sehr spezielle post-shoah-art. das das buch mit seinen beschreibungen der nachkriegsnazis ganz nebenbei noch hervorragende argumente gegen den wahnsinn eines israels auf deutschem boden liefert sei dann nur noch am rande erwaehnt.
nu is aber auch gut. 🙂
February 15th, 2009 at 00:25
Im Interview mit der Jungle World hat noch gesagt, er habe keine Antwort auf die Frage nach dem Sinn von Rache. Hat er denn jetzt doch eine gegeben, oder ist diese “Dialektik” keine?
Ansonsten gefallen ihm wohl Israel-Fahnen auf deutschen Antifa-Demos und auch Friedensbewegte, die ihm und anderen israelkritischen Juden auf der gruseligen Gaza-Demo applaudiert haben.
… aber das habt ihr wahrscheinlich eh schon alle gelesen, was? 😉
February 17th, 2009 at 22:50
Nein, ich kannte das Interview in der Jungle World noch nicht [hätte es mir nicht erspart bleiben können?]; ich kannte bislang nur dieses:
http://blogs.myspace.com/index.cfm?fuseaction=blog.ListAll&friendID=83093214
Es ist stellenweise ganz interessant (“The idea of authenticity in music is extremely reactionary”), aber oft finde ich bei Daniel Kahn einen Satz vernünftig, der dann vom nächsten leider wieder aufgehoben, abgeschwächt oder ins Gegenteil verkehrt wird (“I am offended by Nazis. My attitude towards Nazis is pretty non-constructive. Whenever I am riding on a train and I see two NPD kids, all of my ideas of pacifism go out the window and I just want to smash their teeth in, but I don’t because it would only make them feel better about what they are doing. I have often thought that if I was ever attacked by a group of neo-Nazi thugs and they beat me to death, if I could say one thing to them, it would probably have something to do with them havingchosen to live their lives in a grossly unimaginative way. But it is not just lack of imagination. I guess Hitler was pretty imaginative, wasn’t he?”). Das ging mir beim Konzert auch so. Vor allem bei “Six Million Germans”. Der Umstand, dass die von den Deutschen durchgeführte planmäßige, industrielle Ermordung von sechs Millionen Juden [oder wen immer sie dafür hielten], keine direkt darauf bezogenen Konsequenzen hatte – abgesehen von ein paar erzwungenen Prozessen gegen einzelne und “besonders schlimme” Täter und der im Sande verlaufene Ansatz von Reeducation – ist durchaus wichtig für die Nachkriegsgeschichte und den weiteren Verlauf deutscher Ideologie und deutschen “Selbst”bewusstseins. Und auch für die Frage, die ja manche stellen [ich nicht]: Was wäre gerecht gewesen, wie hätten die so genannten Siegermächte reagieren sollen? Als Antwort darauf ist “Six Million Germans” ideal.
Passt nicht ganz zum Thema, aber ein bisschen: ein israelischer Cartoon (auf youtube gibt’s zwei Folgen zu sehen), der sich auf makabre Art über die Leute lustig macht, die damit befasst sind, die nächsten sechs Millionen Juden – in Israel – zu ermorden:
http://www.youtube.com/watch?v=rXMIQDVOs98
Es geht um Ahmed und Salim, Söhne eines Terroristen, die wichtigeres im Kopf haben, als Shahids zu werden…
March 6th, 2009 at 22:28
genau so verstaendnisbefreit hatte ich mir die – im weitesten sinne – antideutsche reaktion auf daniel kahn und “six million germans” vorgestellt.
nebenbei, die “ohne not” angefuegten zeilen sind teil der vollstaendigen, “authentischen” version.
dumai, moechte man da glatt sagen.
January 3rd, 2012 at 12:02
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