Magnus Klaue in der Bibliothek der Freien

April 26th, 2009

Der kleine Raum ist voll, einer der Gastgeber stellt angesichts der “überraschenden Gelegenheit” seinen Laden vor (wie Peter Nowak zuletzt), die Sammlung von anarchistischer Literatur, zwischen der die etwa 30 Leute im Publikum sitzen und mit der sich vermutlich eine nettet Cut-up-Session veranstalten ließe. Die Einleitung endet etwas umständlich damit, daß dem “Referenten das Wort erteilt” wird: “Er kann mit seinem Amt beginnen.”

Magnus Klaue macht erstaunlicherweise das, was ich erhofft, aber nicht unbedingt erwartet hatte: er formuliert vor einem anarchistischen Publikum eine kommunistische Kritik am Anarchismus. Sein erster Satz ist: “Ich bin kein Anarchist.” Dann erklärt er mit seiner leisen, sanften Stimme, daß er bei der Arbeit an seiner Dissertation sich zunächst mit der Fragestellung beschäftigt hatte, ob es eine anarchistische Poetik gäbe, daß sich diese Fragestellung nun aber eher in Richtung anarchistische Theoriebildung verschoben habe. Er kündigt an, über Mühsam und Landauer, schließlich über ihr Fortleben im Poststrukturalismus sprechen zu wollen.

Doch er liest vor – als er anfängt, wird klar, was er damit meinte, daß er am Schluß noch etwas “mündlich sagen” werde – und ich muß gestehen, daß ich seiner Lautstärke und der inhaltlichen Dichte wegen hier viel weniger wiedergeben kann, als ich gern würde.

Klaue setzt mit der aktuellen Lage ein: Angesichts von Staatssozialismus in fast allen politischen Lagern müßte die große Stunde des Anarchismus gerade gekommen sein, davon sei aber nichts zu sehen. Die “unappetitlichen Strandbars” und die digitale Boheme würden eher die Frage aufwerfen, ob “wir nicht alle ohnmächtige Anarchisten” seien.

Gegenüber dem Kommunismus sei das Besondere die spezifische Art, in der sich die Staatskritik artikuliert. Es gäbe die Vorstellung, daß die Vorbedingungen für die Freiheit unterhalb der bürgerlichen Gesellschaft herstellbar wären; die bürgerliche Gesellschaft solle untergraben, nicht aufgehoben werden. Statt aufs Proletariat würden sich anarchistische Ansätze, besonders die poststrukturalistisch beeinflußten, eher aufs “Lumpenproletariat”, auf Minoritäten und Nomaden beziehen. Statt einer Weltgesellschaft und dem Marxschen “Weltverkehr” würde eine disperse Vielheit, ein lebendiges Gewimmel angestrebt werden.

Klaue zitiert Marx aus “Zur Judenfrage“:

Erst wenn der wirkliche individuelle Mensch den abstrakten Staatsbürger in sich zurücknimmt und als individueller Mensch in seinem empirischen Leben, in seiner individuellen Arbeit, in seinen individuellen Verhältnissen, Gattungswesen geworden ist, erst wenn der Mensch seine »forces propres« |»eigene Kräfte«| als gesellschaftliche Kräfte erkannt und organisiert hat und daher die gesellschaftliche Kraft nicht mehr in der Gestalt der politischen Kraft von sich trennt, erst dann ist die menschliche Emanzipation vollbracht.

Hier würde sich die Frage stellen, ob die Menschen, um die Freiheit zu schaffen, erst andere Menschen werden müßten oder ob, wie die Anarchisten – “die mit dialektischer Philosophie noch nie auf besonders gutem Fuß standen” – sagen, die Menschen, so wie sie sind, die Freiheit bereits erwirklichen könnten, wenn man sie nur ließe. Anarchisten seien Liberale mit schlechtem Gewissen.

Über den “philanthropisch umgedeuteten Sozialdarwinismus” und den “Bienenstock-Kommunitarismus” Kropotkins landete Klaue dann bei Erich Mühsam, dessen Zielvorstellung er zusammenfaßte mit: “veredelte Gemeinschaft, Kameradschaft, Dammwild statt freie Assozaition und Weltgesellschaft”. Bei Mühsam ginge es um die “Erfüllung eines Kameradschaftsdienstes auf Gegenseitigkeit” – das “könnte so auch im Programm der ÖDP stehen” – und um Netzwerke von Kameraden statt um Freunde. Der mechanische Staat würde der organischen Gemeinschaft gegenübergestellt. All dies würde allerdings nicht etwa Mühsams “grandiose Polemik gegen Veganismus und Verzicht” schmälern.

Positiver bezog sich Klaue nun auf Gustav Landauer, der Anarchismus und Individualismus im Widerspruch sah und schrieb, daß Anarchismus von Seiten des Individuums das bezeichne, was Sozialismus von Seiten der Gesellschaft bezeichnet. Landauer sei es um eine “gemeinschaftslose” Assoziation gegangen, er habe seine Gedanken “nur in der Sprache der Mystik” auszudrücken vermocht, sei aber weit darüber hinausgegangen, darin Walter Benjamin ganz ähnlich, dem er auch sonst recht nahestand. Landauer habe in der größtmöglichen individuellen Versenkung den Kontakt zur Universalität gesucht.

Nun folgten die angekündigten “mündlichen” Überlegungen zum Poststrukturalismus. Foucault sei noch konkreter und historisch genauer gewesen, bei Deleuze & Guatarri wäre aber bereits ein “begriffsloser Wahn” zu beobachten, der sich exklusiv auf partikulare Gruppen bezog, die nie universell werden dürfen. Diese Minderheiten würden nun dafür abgefeiert und dazu angehalten, den Staat zu unterwandern. Wäre es bei Mühsam ja zumindest ein sympathischer Gedanke geesen, daß die Menschen für Freiheit ansprechbar seien, würde es im Poststrukturalismus in einer Frontstellung gegen das Territorium um “desintegrierte Subjekte” wie Schizophrene und Nomaden gehen.

Kampf den Staat

Beim Anarchismus hätte es sich am Anfang um “die Ohnmacht in der Defensive” gedreht, die Ohnmacht sei im Poststrukturalismus “in die Offensive gegangen”, es ginge nunmehr um nicht mehr um Subjekte, sondern Subjektivitäten und Minoritäten, nichtmehr um Widersprüche, sondern um Differenzen. Es müsse sich die Frage gestellt werden, warum der “gemeinschaftslose” Ansatz Landauers fast vergessen sei, während der Anarchismus der Gemeinschaften über den Poststrukturalismus so stark in die Gegenwart weitergewirkt hätte. Diese Frage sei angesichts des “Zerfalls der bürgerlichen Sozialität in Banden” besonders dringlich.

Hier schließt der Vortrag und die erste Wortmeldung aus dem Publikum klingt zunächst, als würde Klaues Kritik hier nichts weiter als eine krasse Ansage bleiben. Es sei eine Schande, ereifert sich der Zuhörer, so jemanden hier reden zu lassen, Klaue hätte vom Anarchismus nichts begriffen usw. usf. Doch nach diesem Auftakt ändern sich Klang und Inhalt der Diskussion augenblicklich. Nun wird betont, daß die Kritik wertvoll sei, daß hier ein breiter Horizont eröffnet worden sei, daß viele anarchistische Texte sich in diesem Licht anders lesen würden. Klaue schüttet weiter Verweise auf Expressionsimus und Kritische Theorie aus, das Publikum ist offensichtlich von vielem überrascht, aber auch überfordert.

Nur in einem besteht breites Einvernehmen: in der Ablehnung des Poststrukturalismus. Es genügen wiederholt einzelne poststrukturalistische Begriffe, um im Publikum eine schenkelklopfende Erheiterung auszulösen. Das funktioniert wohl so. Nu ja.

13 Responses to “Magnus Klaue in der Bibliothek der Freien”

  1. posiputt Says:

    moeglicherweise eine naive frage: ist der unterschied zwischen anarchisten und kommunisten jetzt der, dass die ausgangssituation verschieden betrachtet wird? also anarchisten halten die menschen fuer grundsaetzlich schon irgendwie emanzipiert und nur unter aeuszerem zwang gebeugt, waehrend kommunisten den menschen erstmal emanzipation beibringen wollen?

    huh?

    bisher dachte ich immer, die zielvorstellungen waeren die gleichen, nur die methoden auf dem weg dahin (potenziell) verschieden

  2. shigekuni Says:

    *kopfschüttelt* aber sowas muß sich der Poststrukturalismus jetzt ja schon seit Jahren gefallen lassen. Gut, ist auszuhalten, newahr.

  3. pixel utopia Says:

    Langweilig. Zumindest von dem, was hier so von dem Vortrag durchschimmert. Schon für Bakunin war klar, dass sich keine echte Freiheit auf der Basis der bürgerlichen Gesellschaft verwirklichen lässt, und dass die die Freiheit Aller die Voraussetzung für die Verwirklichung der individuellen Emanzipation ist. Von dem Diskurs in der anarchistischen Arbeiterbewegung will ich hier garnicht anfangen.

    Unabhängig davon, ob das hier der Fall ist oder nicht, drängt sich mir immer mal wieder der Eindruck auf, dass oftmals Personen, die ihre Identität als “kommunistisch” konstruieren, ganz gerne “anarchistische” Strohmänner aufstellen um ihre eigenen Identitäten aufzuwerten. Besonders natürlich im akademischen Kontext, in dem es ja immer noch einige kleine Reservate für Marxisten zu geben scheint, wo es natürlich besonders wichtig ist distinguiert aufzutreten. Dass diese Personen oftmals ansonsten Aspekte betonen, die vormals als Kennzeichen des anarchistischen Spektrums fingierten, wie etwa die Ablehnung von Parteien, Staatsfixierung, Geschichtsteleologie oder der Unterordnung unter kollektive Identitäten, ist fast schon ein Treppenwitz der Geschichte.

    Aber eigentlich könnte das Mensch auch egal sein.

  4. Pent C. Klarke Says:

    Magnus Klaue argumentiert in der Mai – Ausgabe der Konkret gegen den anti-“lookism” und stellt dagegen seinen widerstandsästhetischen, aber leider, wie ich finde, doch etwas romantisierenden Schönheitsbegriff auf. Ich wollte vielleicht mal eine Antwort darauf formulieren, denn seine Argumentation gegen die Theorie des “lookism” ging mir dann doch etwas daneben.

  5. Cannabis Kommando Says:

    Auf jeden Fall, die diskordische Position zur Frage des Gewaltmonopols könnte sich transparenter machen.

    Wenn es um Anarchie geht hätte ich gerne mal dieses Zitat besprochen:

    Wir alle sind Bestandteile dieser Maschine, wir sind die Maschine. (Die techriischen Mittel der Maschine- Anlagen, Bauten, Motoren, Maschinen usw. – sind unsere geronnene Vergangenheit ) Wir stellen die Maschine gegenseitig für uns dar Ob wir nun über-, unter- oder gar nicht entwickelt sind, ob wir entlöhnt sind oder nicht, ob wir auf eigene Rechnung wirtschaften oder angestellt sind – wir funktionieren für die Maschine. Wo es keine Industrie gibt, werden Arbeiter zum Export in Industrie­zonen hergestellt und «billig» verkauft. So produzierte Afrika Sklaven für Amerika, exportiert die Türkei Arbeiter nach Deutschland, Pakistan nach Kuweit, Ghana nach Nigeria, Marokko nach Frankreich. Die Menschen noch unberührter Gebiete werden als pittoreske Dekoration für das Touristen-Geschäft genutzt: so etwa die Indianer in gewissen Reservaten, die Balinesen, Polynesier, Bergbauern. Die PAM [planetare Arbeitsmaschine] setzt sich über alle «Abkopplungs»-Versuche hinweg, holt alle «nationalen Wege» wieder ein. Und wer gerade glaubt, der Maschine entkommen zu sein, erfüllt eine Funktion als «Aussenseiter» (Clochard, Hippie, Yogi, Original usw.). Solange es die PAM gibt, sind wir alle in ihr drin. Sie hat inzwischen alle traditionellen Gesellschaften zerstört oder sie in der Defensive verkümmern lassen. Selbst weit hinten in einem «verlassenen» Gebirgstal bist Du nie sicher vor der Steuerbehörde, den Rekrutierungsorganen, der Polizei. Die Maschine kann mit ihren Fangarmen jeden Ort auf diesem Planeten innert weniger Stunden erreichen. Wir sind «besetzt». Nicht einmal in der entferntesten Ecke der Wüste Gobi kannst Du absolut sicher sein, unbeobachtet in aller Ruhe unter freiem Himmel scheissen zu können.

    Gibt es andere Möglichkeiten damit umzugehen als eine Gegenmacht aufzubauen?

  6. eisprinzessin Says:

    >>Mühsams “grandiose Polemik gegen Veganismus und Verzicht”<<

    wo? quellen, gerne. danke.

  7. classless Says:

    Nee, keine Quellen – hab ich beim Klaue mitgeschrieben, abgetippt und zum Posting zurechtgeschrieben – kann jetzt gern mal wer anders suchen!

  8. honkeytonk Says:

    clueless klaue stammelt mal wieder wirres zeug.
    unredlich, aber nicht weiter schlimm.

  9. Wenn Wessis Ossis beschimpfen « Analyse, Kritik & Aktion Says:

    […] Beschimpfungen gerne. Auch wenn sie nie an die eloquenten Analysen und subtilen Verbalinjurien von Magnus Klaue heranreichen, lesen sie sich nicht selten, leider in letzter Zeit seltener, erfrischend […]

  10. Monsieur Says:

    Artikel von Magnus Klaue in der Jungle World:

    “Wie sich Völker bilden. Das Individuum und die Gemeinschaft in der anarchistischen Theorie des 20. Jahrhunderts.”

    “Bei dem Text handelt es sich um die erweiterte und ausgearbeitete Fassung eines Vortrags, den der Autor am 24. April in der »Bibliothek der Freien« im Berliner Haus der Demokratie hielt.”

    http://jungle-world.com/artikel/2009/21/34900.html

  11. Obradek Says:

    Geil sowas fast 10 Jahre später zu lesen. Pixel utopia hat das schon damals gut erkannt. Viele selbsternannte Kommunisten (grenzt damals wie heute schon an eine Persönlichkeitsstörung) haben ab den 90er Jahren sämtliche Aspekte von den Anarchisten übernommen. Dazu haben sie noch den (Klassen-)kampf aus Theorie und Praxis getilgt. Seinerzeit wichtigste Gemeinsamkeit zwischen Anarchisten und Kommunisten.

  12. classless Says:

    @Obradek

    “Selbsternannte Kommunisten” im Unterschied zu vom Weltgeist oder der Partei ernannten?

    Und was für eine Persönlichkeitsstörung würde das sein?

  13. Obradek2 Says:

    “Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt” Weltgeist wär wohl etwas zu idealistisch gedacht für Marx. Der zweite Vorschlag erscheint mir zu ML-mäßig.

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