Der Spiegel: Verharmlosung des Nationalsozialismus [Update]
July 6th, 2009Den Deutschen blieb dieser Titelgeschichte zufolge nichts übrig, als in Scharen zu Nazis zu werden und den Zweiten Weltkrieg vom Zaun zu brechen. Der “Schandfrieden von Versailles” ließ ihnen demnach gar keine andere Wahl. Die Auslösung des größten und verheerendsten Krieges der Menschheitsgeschichte war in dieser Lesart kein willentlich begangenes Verbrechen, bedurfte keiner grundlegenden Entscheidungen und war unvermeidlich.
Geschichte ist immer das, womit man durchkommt.
Im zugehörigen Artikel führt Klaus Wiegrefe (“Laut neuen Papieren, deren Echtheit nicht erwiesen ist, wurde der SS-Chef von den Engländern umgebracht.”) aus, daß die Bestimmungen von Versailles “zu hart” waren, “um die Deutschen und ihre Nachbarn dauerhaft zu versöhnen”, und “zu weich, um die Rückkehr Deutschlands als Großmacht und einen Revanchekrieg für immer auszuschließen.” Die zugrundeliegende Erpressungslogik, daß die anderen schon sehen, was sie davon haben, wenn sie mit den Deutschen nicht richtig umspringen, wird auch in den über den ganzen Text verstreuten Projektionen der BRD-Geschichte und der Bismarck-Ära (“Sollte man lieber auf ein Gleichgewicht der Kräfte setzen oder auf ein System kollektiver Sicherheit?”) deutlich.
Außerdem: Der Nahost-Konflikt und der Vietnamkrieg werden von Wiegrefe auf Versailles zurückgeführt, die Isolationismus der USA bis zum Zweiten Weltkrieg praktisch allein Woodrow Wilsons mangelndem politischen Geschick angelastet und die geplante militärische Durchsetzung des Versailler Vertrags mittels einer Nord-Süd-Spaltung Deutschlands mit dem Satz kommentiert: “Die Einheit stand auf dem Spiel.” Und wo war nur Helmut Kohl?
July 5th, 2009 at 22:48
wenn das der fuehrer wuesste…
den spiegel ernstzunehmen ist mir mittlerweile eine unangemessen scheinende anstrengung. zu bloed, dass das millionen(?) nicht so geht.
July 6th, 2009 at 07:14
Geschichte wird eben von den Besiegten geschrieben, wenn man sie lässt…
July 6th, 2009 at 13:13
Warum dem Zweiten Morgenthau-Plan kein erster vorausgehen mußte
July 6th, 2009 at 14:12
Diese Interpretation findet man leider viel zu oft. Es ist die typische deutsche Entlastungsstrategie, jedoch wirklich dreist und unverhohlen formuliert. Ob der VV glücklich oder unglücklich war, kann man ja noch diskutieren; daraus aber den Alliierten den Zweiten Weltkrieg und damit auch die Shoah in die Schuhe zu schieben, ist wirklich ein starkes Stück.
July 6th, 2009 at 14:27
[…] Geschichtsrevisionismus: Geschichte ist immer das, womit man durchkommt. (classless […]
July 6th, 2009 at 19:09
lahma hat etwas mehr dazu geschrieben: http://lahmacun.blogsport.de/2009/07/06/geschichte-wird-geschrieben/
July 6th, 2009 at 21:48
[…] wie ich gerade sehe, hat classless den ganzen artikel […]
July 7th, 2009 at 06:26
… bastelt eigentlich jemand an einem “Fluchttunnel” (oder einem “Exit Plan”)? Wie lange es wohl noch dauert, bis mir diese völkische Scheisse hier um die Ohren fliegt?
July 7th, 2009 at 10:19
ich sehe nicht, dass das völkisch ist
July 7th, 2009 at 13:52
Der nationale Hörfunk leistete sich eine vergleichbar abgründige halbstündige Sendung, diesem Backlash ist dabei durchaus nichts zu fremd
http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2009/07/05/drk_20090705_1230_c54fa9f0.mp3
und der einschlägige Jörg Friedrich auch prompt neuerlich dafür zu haben.
July 7th, 2009 at 15:25
das ist nicht völkisch, sondern nationalistisch – und zwar in der demokratischen fassung.
oder was soll daran völkisch sein?
July 7th, 2009 at 17:54
Ist es auch nicht explizit. Aber dreimal darfst Du raten, bei wem es auf besonders offene Ohren stoßen wird.
July 8th, 2009 at 20:55
@classless –
In Brest-Litowsk, im Diplomatengepäck von Leo Trotzki.
@Gehirnschnecke –
Darauf kommst Du jetzt? Der Spiegel betreibt da überhaupt nichts Neues, genau diesen Versaillesrevisionismus konnte man schon vor 7 Jahren von Martin Walser hören, welcher als Kronzeugen dafür die Geschäftsfreunde des arabischen Throns zitierte.
July 9th, 2009 at 10:17
Und angesichts der Finanzkrise trifft es sich dann auch noch ganz gut, dass der Spiegel den “großen Ökonomen” Keynes für seine revisionistische Strategie einspannen kann:
http://einestages.spiegel.de/page/SearchTopicAlbum.html
July 9th, 2009 at 12:57
schrecklicher verdacht: “der spiegel” etwa ein revisionistisches kampfblatt??! OMG!!!
die welt kann aufatmen, classless kulla klärt sie endlich auf!
July 9th, 2009 at 16:35
@ Cannabis Kommando
Ich bin eben etwas langsam – Hannah Arendts großen Klotz hab ich etwa erst letztes Jahr durchgelesen. Walser sollte man eigentlich (hier) nicht mehr kommentieren müssen – wer dessen “Bücher” freiwillig liest (oder seinen Reden lauscht) ist eh nicht mehr zu retten.
July 13th, 2009 at 21:20
@Gehirnschnecke – Wieso? Eine Walserrede erspart die Lektüre eines ganzen Jahrgangs Spiegel. Deinen “großen Klotz” gibt´s übrigens ebenfalls als Konzentrat – Hannelies Taschau: Erfinder des Glücks.
July 16th, 2009 at 19:20
@Gehirnschnecke:
ersparst du uns auch eine peinlichkeit? nicht nur, dasz (ups!) du die grundlegenden termini weder verstanden hast noch scheinbar verstehen willst (wozu auch? einfach den allround-stempel “völkisch” draufknallen, das tuts auf jeden fall auch!), sondern auch deine jämmerliche anbiederei, deine vorgetäuschte belesenheit (uhuhu! hannah arendt!!) zur identitätswahrung ist gleichermaßen bemitleidenswert wie offensichtlich. dass walsers prosa wenig bis gar nichts mit seinen deutschtümelnden stimmungsreden zu tun haben, passt dazu gut ins bild.