Berlin -> Berlin

July 20th, 2010

Eine Woche rumgetrampt, rumgelaufen und Musik gemacht.

Nach einem kurzen Besuch in Landshut besichtigte ich in Augsburg die Spuren einer der frühesten Formen von modernem Kapitalismus. Hier wuchsen Ende des 15./Anfang des 16. Jahrhunderts die Fugger zu einem gigantischen Konzern heran, der den damaligen europäischen Bergbau, die Textilindustrie, das Kreditwesen und mittels seines Nachrichtendienstes auch verschiedene Staatswesen kontrollierte. Hatte ich vorabendlichen Blättern in “Schindlerdeutsche” noch Joachim Bruhns Gedanken im Kopf, dem Kapital und dem Trieb sei alles eins, das bürgerliche Subjekt spalte aber beide in anständig und unanständig auf, lief ich nun in der Verherrlichung anständiger Wohltäter herum, die doch in den Worten Günter Oggers “von den Lastern der Fürsten ebenso wie von den Entdeckungen der Seefahrer” profitierten und “kaltblütig die Jenseitsangst der Gläubigen und die diesseitigen Erkenntnisse der Wissenschaftler” nutzten. Heute treibt man Schulklassen durch die Fuggerhäuser und fragt sie dann, was wohl die Stadt Augsburg davon hatte, daß einer so reich war. Und die Arme der Schüler fliegen hoch: “Stiftungen!” – “Bauwerke!” – “Wohltätigkeit!” Ist es nicht schön, wenn einer viel Geld hat? Dann haben alle was davon! Nicht auszudenken, wie es wäre, wenn alle reich wären…

Augsburg, Fürst Fugger Privatbank Augsburg, Fuggerhäuser Augsburg, Damenhof
Fuggerhäuser mit Privatbank und Damenhof

In der als “älteste bestehende Sozialsiedlung der Welt” beworbenen Fuggerei beten seit 500 Jahren sämtliche Bewohner täglich dreimal für Jakob Fuggers Seelenheil – was man sich alles kaufen kann! Ebendort kann auch der Luftschutzbunker aus der Nazizeit besichtigt werden – mit Fliegeralarm und Zeitzeugenstimmen kann der Besucher den Grusel nachempfinden, als die Bomber die Häuser armen Bedürftigen zerstörten. Eine große Tafel gibt mehrere Dutzend Kenndaten zum geschichtlichen Hintergrund – Zweiter Weltkrieg und Nationalsozialismus -, Wannsee-Konferenz und Vernichtungslager fehlen.

Von Augsburg nahm mich ein französisch-deutsches Pärchen mit, das unter einem kritischen Blick auf die Geschichte vor allem verstand, daß das mit dem Holocaust ja wohl so nicht gewesen sein kann und die Juden diesen Mythos bis heute benutzen würden, um vom viel schlimmeren Holocaust in Afghanistan, Irak und Palästina abzulenken.

Also fuhr ich doch nicht so weit, sondern stieg schon an der nächsten Raststätte wieder aus. Kurz überlegte ich, ob ich darauf hinweisen sollte, daß derlei Äußerungen in Deutschland strafbar seien, aber dann dachte ich mir, das können sie auch gern selbst rausfinden.

Rasthof Burgau
Der Rasthof Burgau liegt direkt an einem See

In dieser Situation traf es sich sehr gut, daß als nächstes ein Salzburger anhielt, der meinte, er würde auch eher ins Blaue fahren, vor allem aber hätte er den Eiffelturm noch nie gesehen. So kam’s, daß wir bei Einbruch der Dunkelheit schon in Frankreich waren, wo wir erst ein, dann zwei, dann viele Feuerwerke sahen und dann feststellten, daß ja der 14. Juli war. In Paris angekommen, ließ ich meinen Chauffeur weiter zum Eiffelturm fahren und sprang am Place de la Bastille raus, wo eine Menschenmenge feierte, grillte, kiffte und musizierte.

Danach wurde es privat, intim und unübersichtlich, weshalb ich mit meinem nächsten Reiseziel Freiburg fortfahre. Dort nahm ich mit Björn Peng drei Stücke auf, zu welchem Behufe er das teuerste Mikrofon auftrieb, in das ich je gesungen habe. (Ob es das rausreißt?) Der erste Track, den wir wohl bald einfach frei im Netz verberiten werden, basiert auf “Fire” von Scooter, wobei es textlich jetzt um eine 8.-Mai-Feier geht. Bei der zweiten Nummer, “No competition”, handelt es sich um ein Liebeslied, das sich zunächst an meine Liebste richtet, im weiteren Sinne aber benennt, was ich überhaupt im Zwischenmenschlichen mag. Kommt vermutlich auf die Kullaboration-Scheibe, für die ich wohl noch im Laufe des Sommers mit verschiedenen befreundeten Musikanten weitere Sachen aufnehmen werde. Als drittes schließlich machten wir “Alles muß raus!”, einen von der Stimmung her typischeren Björn-Peng-Track über die kapitalistische Dauerkrise, basierend auf diesem Diskussionsbeitrag des Drummers von Ton Steine Scherben und einem düsteren Star-Wars-Sample.

Feier! Aufnehmen mit Björn Peng Alles muß raus!
(zum Vergrößern Draufklicken)

Am Donnerstagabend sah ich in der KTS Comadre. Die mußten unbedingt im kleinen Raum und vor der Bühne spielen, damit sich alle möglichst dicht an sie herandrückten, was wohl die Trennung von Band und Publikum aufheben soll, aber zumindest hier nicht wirklich klappte. Obwohl allgemein ordentlich abgegangen, genickt und gewackelt wurde, wurde das ganze irgendwie nicht ein Ding. (Naja, letztlich macht ja auch nur die Band die Musik…) Um einiges besser fand ich die Vorband Punch, deren Sängerin auch weniger Pose und mehr Wums hatte. (Spielen diese beiden Bands morgen, also am Mittwoch, wirklich im ://about blank?)

Gekühltes Kapital
Immer gekühltes “Kapital” im Freiburger Kyosk

Schließlich machte ich mich mit kurzem Zwischenhalt bei Entropia in Karlsruhe wieder auf den Rückweg nach Berlin, was sich erst ewig hinzog, dann aber umso schneller ging. Am Rasthof Reinhardshain sagte einer, ja, er fährt nach Berlin, aber er fährt sehr schnell, weil er dort in fünf Stunden einen Zug nach Polen kriegen müßte und vorher noch bei Bekannten vorbei wollte.

8 Responses to “Berlin -> Berlin”

  1. Ingo Says:

    Gibt es denn auch Pfand auf ein ausgelesenes Kapital? 😉

  2. classless Says:

    Kapital-zurück-Garantie?

  3. lasterfahrerei Says:

    toller reisebericht.

    nur das mikro: bei einigen stücken der ersten platte haben wir ein altes neumann U87 verwendet. dass lässt sich kaum toppen vom preis.

  4. classless Says:

    Okay, das ist wohl eine ähnliche Liga…

  5. Der Aushilfs-DJ Says:

    Wer sind denn die “verschiedenen befreundeten Musikanten”? Da bin ich ja doch sehr gespannt drauf – wenn ich mir anschaue, mit wem du bisher was gemacht hast, trifft das meine Verleier- und Feier-Vorlieben doch recht genau 🙂

  6. classless Says:

    Erzähl ich alles, wenn’s soweit ist.

  7. Aktionskletterer Says:

    Vom wiki über Claudia Roth kommt man mit nur zwei Klicks zu den Fuggern – einfach auf den Ort klicken wo sie aufgewachsen ist und den Rest sieht man dann schon.

  8. BeLbO Says:

    marx is still fresh

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