Frage zur Geschichte von Überwachungstechnologien

December 9th, 2010

Gastposting von Scrupeda

Ich könnte Hilfe vom hiesigen Blogpublikum gebrauchen! Bald werde ich auf dem 27C3 diesen Vortrag halten:

A short political history of acoustics
For whom, and to do what, the science of sound was developed in the 17th century

The birth of the modern science of acoustics was directly intertwined with the desires to surveill and communicate, either in secret or to everybody at once. Acoustics was not just about ‘learning more about nature,’ right from the start it was an applied science, driven by very clear notions of who has the right, and thus should have the possibility, of listening in on others, who needs to be able to converse in private, and who should be heard by everybody if he wishes to. How are these historical ideas related to those of today?

The talk teases out these juicy implications from mostly original source material, focusing on the strange figure of the Jesuit Athanasius Kircher, but also looking at better known characters of the Scientific Revolution like Francis Bacon, Marin Mersenne, and the early Royal Society. There are plenty of fantastic ‘scientific’ illustrations to look at as well as descriptions of devices (for the amplification of sound, for acoustical surveillance, entertainment, and the so called ‘cryptoacoustics’) that did or rather did not work to laugh about, but the key questions are those about power and its relationship to notions of privacy and communication, the history of privacy as a privilege and surveillance as a ‘right’ of government. Some of these ideas become especially clear in the fantasies they produced. How are these historical ideas related to our own about who gets to listen in, who gets to converse in private, and who get to be heard by everybody? And what has all that to do with the history of science, and even magic?

Bei den Recherchen bin ich auf ein überraschendes Problem gestoßen: den Mangel an guter, oder überhaupt Literatur zur Geschichte von Überwachung vor dem 18. Jahrhundert, also vor der Zeit, die Foucault in Überwachen und Strafen beschreibt.

Hat jemand Empfehlungen oder Links für mich?

11 Responses to “Frage zur Geschichte von Überwachungstechnologien”

  1. Bazzard Says:

    Bentham hat um den Dreh sein Panopticon entworfen, glaub ich.

  2. rp Says:

    Wenn ich mich an die Lektüre richtig erinnere, kannst du mit “Überwachen und Strafen” noch weiter in die Vergangenheit gehen: Foucault schreibt, die Machttechniken, die in der Disziplinargesellschaft die ganze Bevölkerung erfassten, seien lange zuvor in geschlossenen Institutionen wie dem Militär oder in Klöstern entwickelt worden. Interessant auch das Kapitel über die “verpestete Stadt” als Modell totaler Kontrolle im Ausnahmezustand – vielleicht gibt es ja Literatur zu Pest-Reglements seit dem späten Mittelalter, in der auf Überwachung eingegangen wird.

  3. seburb Says:

    Schwerpunkt liegt mehr auf Disziplinierung, Überwachung wird aber mit angeschnitten: Der Sammelband “Soziale Sicherheit und soziale Disziplinierung” herausgegeben von Christoph Sachße und Florian Tennstedt. Suhrkamp 1986.
    Darin z.B. : Robert Jütte – “Disziplinierungsmechanismen in der städtischen Armenfürsorge der Frühneuzeit”

  4. el Says:

    hier wird der bogen in antike und renaissance gespannt: http://books.google.de/books?id=FZHHkEUvWQcC&pg=PA103-IA7 bleibt aber andeutung, es wird ein peterson (2001) mit einem überblick zur geschichte der spionage angegeben (ungenaue angabe, ich finde das buch jedenfalls nicht).

  5. tightescheisse Says:

    vielleicht interessieren dich auch koloniale raster http://www.perlentaucher.de/buch/26030.html // http://e-pub.uni-weimar.de/frontdoor.php?source_opus=1304 (bernhard siegert) und geschichte der intelligence http://www.lettre.de/archiv/53_horn.html (eva horn)…

  6. lasterfahrerei Says:

    ich hab das buch »geschichte der übermittlungswege« hattest du da bei mir reingeschaut?

    da kommt Kirchers »Musurgia Universalis« (frühes 17. Jahrhunder) vor. horchsysteme und übertragungssysteme mit abbildungen, dabei ein horchsystem das dionysios I von syrakus (404 – 367 v. Chr) angeblich zum bespitzeln seiner untertanen angelegt haben soll.
    bis auf die abbildungen ist da glaub ich aber nix in dem buch weiter von erwähnt.

    dann fallen mir filmszenen wo leute durch luftschächte mitlauschen ein, im weiteren sinne, so. oder filmausschnitte wo leute durch die augen in gemälden den raum überwachen. geheimgänge in burgen usw.

    spielte vor dem 18 jahrhundert überwachung überhaupt eine grosse rolle? oder lief da nicht eher alles über kontrolle, die sich eben in der gesellschaft wiederspiegelte.

  7. SM Says:

    Spannend.

    @lastafarai
    Würde ich auch so sehen, nach meinem Verständnis entsteht die “moderne” Überwachung mit dem modernen Staat. Das gezielte Sammeln von Informationen schafft das Subjekt der Bevölkerung – sagt Foucault sinngemäß, nach meiner Lesart. Nicht zufällig wird gleichzeitig die Statistik zunächst als Geheimwissenschaft entwickelt. Sie schafft die Voraussetzung durch Informationsvorsprung regieren zu können.

    Aber wie sieht es mit der Beichte aus? Ebenfalls eine Technik des Aushörens …

    Beim Surfen gefunden …

    Überwachung in der Antike
    http://www.surveillance-studies.org/blog/2006/12/07/uberwachung-in-der-antike/

    Der Lokus – Geschichte der Spionage
    http://www.focus.de/wissen/bildung/tid-5865/geschichte-der-spionage_aid_57738.html

  8. rhizom Says:

    Wenn es um eine Geschichte der Überwachung vor dem “klassischen Zeitalter” geht, liegt es in meinen Augen nahe, sich das Kloster vorzunehmen, „eine hervorragende Machtmaschine (…), die (bisher) systematischste institutionelle Apparatur, um die Persönlicheit zu töten und auf der Basis dieser Auslöschung eine neue, vollständige Definition des Menschen zu rekonstruieren”. http://www.irren-offensive.de/treusch_dieter_speech.htm

  9. Donauwelle Says:

    Akustische Verschränkung bietet auch jeder Wagenplatz. Solange sie selbstbestimmt und herrschaftsfrei praktiziert wird ist das kein Problem. Für akustische Isolation gibt es Häuser und Landschaft. Das Problem der akustischen Totalität tritt erst dann in den Vordergrund wenn die Entwicklung der Elektronik den passiven Schallschutz unwirksam macht. Wenn überall ein Mikrofon versteckt sein könnte, und es nicht möglich ist sich dem offen zu entziehen dann wird die akustische Verschränkung zur akustischen Vergewaltigung. Gegen ein System das nicht einmal mehr die Freiheit zum Selbstgespräch läßt ist alles erlaubt. Vorläufer einer totalen akustischen Verschränkung finden sich jedoch bereits vor der Elektronik. Die optische Verschränkung ist von Natur aus totaler als die akustische. Wenn von einer panoptischen Hegemonie die Rede ist schließt das daher akustische Lauschangriffe implizit schon mit ein, ebenso wie übrigens auch den kommunikativen Psychoterror. Wieviele seelische Wracks wohl in den Verwahranstalten vor sich hinsiechen, weil sie nicht mehr ausgehalten haben dass die scheinbaren Spaziergänger auf dem Weg im Vorübergehen in für Unbeteiligte nicht mehr als solche identifizierbaren niederträchtigen Anspielungen über Observationsergebnisse quatschen? Die akustische Vergewaltigung und ihre elektronischen Nachahmungstaten, bzw. die moralisch verkommene Herrschaftselite von der sie alltäglich ausgeht, sind der Grund warum panoptische Hegemonie niemals gutartig sein kann.

    http://www.spiegel.de/fotostrecke/fotostrecke-61572-7.html

  10. Scrupeda Says:

    Vielen Dank für die Hinweise! Ich arbeite mich da jetzt mal durch, auch wenn es mir eher um die Apparaturen der Überwachung, um die Technikgeschichte geht, und nicht so sehr um Disziplinierung oder Spionage.

    @Istari: Kircher ist ja mein Thema, was mir fehlt ist der Rest, von dem ich nicht weiß, ob es ihn nun eigentlich gibt oder nicht, der Kontext.

    @SM: Es geht eben um die Spurensuche, eher die Phantasien als die tatsächlich Umsetzung.

  11. Donauwelle Says:

    Bereits der Begriff ist irreführend, denn der Zweck des Überwachungsstaats ist nicht Informationsgewinnung sondern Persönlichkeitszerstörung. Wer die Weltpolitik durchschauen will findet sich mit öffentlich zugänglichen Quellen besser zurecht als mit Angriffen gegen die Privatsphäre von Dissidenten, und da wo dies nicht der Fall ist gibt es Nichtregierungsorganisationen welche die entsprechende Öffentlichkeit herstellen. Aus der Sicht des Historikers ist der interessanteste Aspekt sicherlich wie eine Gesellschaft mit der Tätergruppe umgehen kann ohne dass dies ein Bedürfnis nach Überwachung reproduziert wie es nach dem Ende der Stasi der Fall war. Ein geschichtlicher Prototyp für eine permanente Ausschaltung der Überwacher ohne derartige menschliche Kollateralschäden wäre gleichzeitig auch eine politische Zukunftsperspektive über die persönliche Schlacht gegen die jeweiligen Täter hinaus.

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