Gesine Lötzsch und der Kommunismus
January 5th, 2011Wer sich nicht vom Spiegel und ähnlich qualifizierten Instanzen sagen lassen möchte, was Gesine Lötzsch, eine der beiden Vorsitzenden der Linkspartei und Lichtenberger Direktkandidatin für den Bundestag, in ihrem Text “Wege zum Kommunismus” geschrieben haben soll, und wer dennoch – wie ich – dafür kein Onlineabo der jungen Welt annehmen möchte, kann selbst hier nachlesen. [Update: die junge Welt bietet den Artikel jetzt auch wieder kostenlos an!]
Vom Kommunismus als “Ende der Geschichte” ist dort nirgends die Rede – er soll ja laut Marx auch zusammen mit der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung die Vorgeschichte beenden: “Mit dieser Gesellschaftsformation schließt daher die Vorgeschichte der menschlichen Gesellschaft ab.” Das mit dem “Ende der Geschichte” war jemand ganz anderes und der meinte damit eben auch nicht den Kommunismus, im Gegenteil.
So erfreulich es ist, daß Lötzsch den Kommunismus als Ziel wieder auf den Tisch gepackt hat – der Text selbst schwankt vor allem zwischen Empfehlung der Linkspartei als besserer Krisenverwaltung, recht schmissiger Luxemburg-Verehrung und einer gründlichen Ausblendung der umfassenden und massengestützten Reaktion, zu der nicht zuletzt Luxemburgs und Liebknechts Ermordung den Startschuß bildeten. Von Luxemburg zitiert Lötzsch:
>>Das Negative, den Abbau, kann man dekretieren, den Aufbau, das Positive, nicht. Neuland. Tausend Probleme. Nur Erfahrung [ist] imstande, zu korrigieren und neue Wege zu eröffnen. Nur ungehemmtes, schäumendes Leben verfällt auf tausend neue Formen…<< Und das heißt bei Lötzsch wohl schlicht: mit der parlamentarischen Tagespolitik kommen wir auch noch irgendwann zum Kommunismus, die Krisen spielen uns in die Hände, wählt uns! Am Samstag sitzt Gesine Lötzsch dann passenderweise im Rahmen der Rosa-Luxemburg-Konferenz, deren internationalistischer Vortragsblock vom Klamaukkabarettisten und Antideutschenaufklärer Dr. Seltsam moderiert wird, in einer Podiumsdiskussion in der Urania zum Thema “Wo bitte geht’s zum Kommunismus? Linker Reformismus oder revolutionäre Strategie – Wege aus dem Kapitalismus”.
Update: Lötzsch hat ihre Teilnahme an der Diskussion abgesagt, dennoch kam es bei der Urania-Veranstaltung zu einer “Rangelei” (Polizeiticker) mit Gegendemonstranten von der Vereinigung der Opfer des Stalinismus. Der Welt am Sonntag sagte Lötzsch: “Ich bin keine Kommunistin, sondern eine demokratische Sozialistin.”
Vielleicht auch ein Weg zum Kommunismus: Lötzsch und Gysi kochen im Linden-Center in Hohenschönhausen
January 5th, 2011 at 17:11
http://ofenschlot.blogsport.de/2011/01/04/unterwegs-mit-gesine/
January 8th, 2011 at 10:33
Die Linke mag vielleicht an vergleichbaren Verstopfungen der politischen Willensbildung kranken, wenngleich in geringerem Maße, wie andere parlamentarische Parteien, aber dieser Aufruf scheint weniger durch derartige Effekte beeinflusst als durch ein hegemoniales Denkverbot hinsichtlich elementarer Menschheitsträume. Der Kommunismus ist die planetare Einigung in Freiheit die den Weltkrieg für immer beendet. Die teilweise Vorwegnahme solcher Menschheitsträume kann in allem möglichen resultieren, selbst im Absturz, wie beispielsweise der Versuch teilweise zu fliegen verdeutlicht. Im Kapitalismus etwa ist der Menschheitstraum vom Fliegen zwar irgendwie erfüllt, aber nur um den Preis sich mit Haut und Knochen den bizarren Launen der Kapitalisten unterwerfen zu müssen. Es ist eher wie ein Alptraum und nicht einmal die Energiebilanz wert. Dennoch berührt ein solcher Absturz in die organisierte Unverantwortlichkeit nicht den bleibenden Wert der Menschheitsträume. Die Pflicht des Gefangenen ist die Flucht.
Die Linke kann in einer politischen Kultur welche von notorischer geistig-moralischer Selbstverstümmelung geprägt ist ein historischer Helfer einer solchen kollektiven Flucht nach vorn sein. So geht es darum das Land als offene Gesellschaft in den Kommunismus zu überführen und dem im Wege stehende Denkverbote vorausschauend auszuräumen. Dass dies nicht allein abstrakter Natur sein kann zeigt etwa der Fall Joachim Gauck. Der Mann war angetreten um Geheimpolizei abzuwickeln und heute haben wir üblere als während seines größten Triumphs. Hinter jedem tatsächlichen Denkverbot steckt ein realexistierender Repressionsapparat. Wer heute die schweigende Mehrheit für sich gewinnen will muss sich das Interesse derjenigen zu eigen machen, die aufgrunddessen mit Demokratie keinerlei Idealismus mehr verbinden können, und daher erwarten dass die Repressionsapparate von denen abgewickelt werden die es können. Die offenste Gesellschaft ist diejenige welche die meiste Autonomie ermöglicht.
Dann fehlt zum Kommunismus nur noch der Kommunismus.
January 23rd, 2011 at 13:22
In dem Begriff “radikale Realpolitik” mag mehr revolutionäres Potential stecken als in so manchem sentimentalen Aufruf zur Weltrevolution, deren Versuch spätestens bei der Stürmung eines besetzten Hörsaals durch die Polizei scheitert und wellenartig an Universitäten ankommt. Es mag kein Zufall sein, dass jene, die mit 20 nach der Weltrevolution schreien, mit 40 den “Marsch durch die Institutionen” angetreten haben oder zu den Vorkämpfern einer neokonservativen und antikommunistischen Ideologie geworden sind. Die Verfasser des “Schwarzbuch Kommunismus” kannten sich aus maoististischen K-Gruppen. Die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche” lautet ein Erfahrungswert, der für Sturm-und-Drang-Enthusiasten zutrifft. Dass diese Leute dann auch die internationale gegen eine nationale Solidaritöt – man denke nur an Mahler, Rabehl etc. – eintauschen, liegt u.a. in dem manichäischen Weltbild begründet, den beide Extrempole vertreten. Und selbst Marx wusste nicht, – erst Engels hat es dann systemastisiert – wie denn ein Kommunismus aufzubauen sei. Zudem muss die Frage gestellt werden, warum das Proletariat bislang keinen Aufstand gewagt hat. Reich hatte darauf eine Antwort gegeben.
Der Vorrang der “radikalen Realpolitik” gegenüber dem Kommunismus liegt darin begründet, dass die derzeitige Linke in ideologischen Grabenkämpfen dermaßen gefangen bleibt, dass man nur 10 Kommunisten braucht, um zwei Kommunistische Parteien zu haben. (Berechtigte!) Marginalinteressen werden hingegen aufgrund eines wichtigtuerischen Geltunggsbedürfnisses zu zwangsneurotischen Befindlichkeiten überbewertet, so dass die in der Tat kritisierenswerte pejorative Bezeichnung für die farbige Bevölkerung eines Professors einer alten Schule, was man hätte in einer Stunde abklären können, zu einer Haupt- und Staatsaktion aufgeladen, deren Folge eine absolut empfindame “Nein-zum-N-Wort-” Kampagne war.
Nein; es gibt ganz konkrete Probleme in dem Land, die nur dadurch gelöst werden können, wenn man sie bei der Wurzel packt: Massenarmut, Bildung, Bereicherung durch eine Klasse von Kapitalisten aufgrund des strukturellen Gefüges des Kapitalismus, wirkträchtige und folgenschwere Konstruktionen von scheinbar naturgegebenen Identitäten wie Nationalität und Geschlecht, die in dem Land in einer seit den 1830er Jahren bestehenden “deutschen Ideologie” immer noch ihre Aktualität hat.
January 23rd, 2011 at 15:35
“Zudem muss die Frage gestellt werden, warum das Proletariat bislang keinen Aufstand gewagt hat. Reich hatte darauf eine Antwort gegeben.”
Das war weder Reichs Frage noch stimmt es überhaupt. Reichs Fragen betrafen die Angst vor der Freiheit und die autoritäre Verfaßtheit der Subjekte, was also die individuellen und kollektiven Aufstände behindert und entstellt, die deshalb aber dennoch stattfinden. Er gab darauf im Laufe seiner Forschungen verschiedene, sehr unterschiedlich triftige Antworten.
“nur 10 Kommunisten braucht, um zwei Kommunistische Parteien zu haben”
Das sind ja noch die reinsten Massenorganisationen! 😉
January 23rd, 2011 at 16:28
[…] standen etwa ein Dutzend Leute von der CDU dort, um dem zuletzt allenthalben skandalisierten Text “Wege zum Kommunismus” der Linkspartei-Direktkandidatin von Lichtenberg, Gesine Lötzsch, das unglücklich gewählte Motto […]
January 23rd, 2011 at 23:44
Reich bezieht sich doch im ersten Kapitel seiner “Massenpsychologie des Faschismus” bezieht er sich sowohl implizit als auch explizit auf die “Einleitung zur Hegelschen Rechtsphilosophie” von Karl Marx, um den Marxismus mit psychoanalytischen Methoden und Erkenntnisse n zu ergänzen. Für das ehemalige KPD-Mitglied mochte sich gleichfalls die Frage stellen, weshalb das Proletariat nicht revolution (Vgl. Reich, S. 40ff. – Ich habe so eine alte Antiquariatsausgabe.) Und eben diese Analyse warf die Frage nach der familiären autoritären Struktur des Individuums auf. Mit den weiteren Orgonmodellen habe ich mich nicht hinreichend auseinandergesetzt, um anwendbare Aussagen zu treffen, kann mich nur noch an den Blick meiner Ärztin erinnern, als ich sie fragte, ob sie mich zur Orgontherapie überweisen könnte. 😉
January 24th, 2011 at 03:49
Reich versuchte zu dieser Zeit zu erklären, warum sich die Mehrheit in Deutschland (und in bestimmten anderen Gesellschaften) so verhielt; er behauptete meines Wissens nicht, daß das alle taten. Die Fragestellung war für ihn Anfang der Dreißiger, wie mittels Sexualaufklärung und Änderungen der konkreten Lebensbedingungen (Familie, Jugend, Wohnraum usw.) erfolgte Revolutionen gesichert bzw. weitergetragen werden können und wie revolutionäre Bewegungen auf diese Weise vor einer autoritären Formierung zu bewahren wären.
Später wurde sein Ausblick pessimistischer und es gelang ihm, gerade unter dem Eindruck realer Verfolgung, immer schlechter, politisch zu differenzieren. Dennoch blieb auch beim späten Reich die prinzipielle Möglichkeit der sozialen Veränderung bestehen, er gründete sie nun allerdings auf einen essentialisierten natürlichen “Kern” des Menschen, dessen Idealtypus (der “genitale Charakter”) er mit verschiedenen Formen von Körper- und Psychotherapie herzustellen versuchte.
January 24th, 2011 at 16:30
Ich sehe darin keine Gegensätze. Wilhelm Reich kam ursprünglich aus einer marxistischen Schule. Seine Denkbewegungen beruhen insbesondere auf den Frühschriften des Begründer des “wissenschatflichen Sozialismus”, so dass er sich auch betont vom Vulgärmarxismus absetzt. Aber um zu erklären, warum auch einige Leute der Arbeiterschaft für Hitler stimmten, benötigte er die Charakteranlayse, die wie Du es schreibst, sich insbesondere körperlich manifestierte. So deutete er den Faschismus als Ausdruck der Sexualunterdrückung, so dass er in bestimmten Ritualen eine Art Ersatzbefriedigung sah. Aber es stimmt schon, dass Reich gewandelt hat. Und ob nun seine Orgonmedizin nun absolut die neue Erkenntnis sei, dürfte dahin gestellt sein. Immerhin berufen sich auch einige (unkritische) Esos – nichts gegen die Möglichkeit, sich mit alternativen Deutungen zum Materialismsu auseinanderzusetzen – auf ihn und sonstige komische Sektierer, die einige Punkte in der F-Skala sammeln würden. 😉