Friedrichshain ist weder Stuttgart noch Kairo

February 5th, 2011

Zugegeben, die Reaktion auf die Räumung der Liebigstraße 14 hat mich im Ausmaß überrascht, die Reichweite der Unterstützung war enorm (bis nach Peru!), die Solidemos am Samstag und Mittwoch waren ein gutes Stück größer als sonst und vor allem auch militanter, der erzeugte Sachschaden ist imposant. Wenn auf der anderen Seite Kosten eine Hauptrolle spielen, dann dürften sich die Kalkulationen stark verändert haben.

Doch so sehr die Proteste und Aktionen auch in Teilen des linksliberalen Mainstreams der Berliner Innenstadtbezirke auf Zuspruch stießen oder zumindest für grundsätzlich berechtigt gehalten wurden – die Akteure waren diesem Mainstream recht ferne, explizit autonome, anarchistische Gruppen, deren Parolen und Auffassungen sich fundamental gegen Staat und Kapital richten. In gewisser Weise waren die mal etwas größeren Demos eine Gelegenheit für sie, Aktionen zu starten, mit denen sie aber auch viele ihrer neuen Freunde auch sofort wieder verprellt haben dürften. (Infoladen Daneben: “Wenn die alternative Szene nicht mehr stramm als Tourimagnet und Vorfeldorganisation der JUSOS, SDS und Grüne Jugend mitspielt, wird das ganze nur noch sicherheitsrelevant.”)

Ich finde es begrüßenswert, wenn die Erhaltung oder Erkämpfung sogenannter “Freiräume”, also von Häusern und Orten, die in unterschiedlichem Maß der Staats- und Eigentumsordnung entzogen sind und die Möglichkeit zu Organisation und Rückzug bieten, nicht nur eine Angelegenheit der jeweiligen Besetzung oder der unmittelbar sich anschließenden Szene bleibt. So kritikwürdig viele dieser Freiräume in der Praxis sind, vielerorts stellen sie die wichtigste Infrastruktur für das meiste, was mir politisch wichtig ist.

Und treffen auch in Berlin entscheidende Realitäten: “Die Stadtumstrukturierung ist real, der Mietenanstieg ist real, die Lebenshaltungskosten steigen, die Arbeitsverhältnisse werden prekärer, die Gesetze und Justiz (z.B. das novellierte Berliner Polizeigesetz, die Verselbstständigung des Polizeiapparats, die Knastneubauten, die Sicherungsverwahrung, Kinderknast und verschärfte Strafzumessung) werden ohne viel Aufregung repressiver, während Einflusskampagnen für Neuregelungen und Gesetzesvorschläge verpuffen (z.B. der angebliche Erfolg bei der Residenzpflicht für Flüchtlinge). Gleichzeitig schwindet nach den misserablen Erfolgen mit Mediaspree/ Wassertisch/ Bildungsstreik/ Antirepressions-Kampagnen die Hoffnung durch Massenproteste irgendwas zu verändern.” (Infoladen Daneben)

Soundtrack: Abend in der Stadt – Inglorious Bassnerds remix by Björn Peng; es gibt bereits Pläne, die blöde Stelle durch die Zeile “Die Politiker vertreten die Mehrheitsbevölkerung” zu ersetzen…

Den jetzigen Auseinandersetzungen waren Jahre der Stagnation vorausgegangen. Noch vor zwei Jahren war es völlig üblich, daß Friedrichshain voller Cops war, und Hubschrauber hingen teilweise tagelang über dem Viertel. In der Zwischenzeit sind die Demos immer ritualisierter geworden und umfaßten dem Augenschein nach immer die gleichen Leute, die immer die gleichen Parolen riefen.

“Ganz Berlin haßt die Polizei!” und die nun eine Woche andauernden Aktionen könnten diesen Stillstand beenden, wenn es nicht nur bei symbolischen Erfolgen und etwas größeren Demos bleibt. Immerhin geht es nach wie vor um eine Räumung, die nicht verhindert werden konnte, also um eine Niederlage.

Soli-Demo Liebig 14 - 02.02.2011 - Berlin

Obskur ist allerdings, wie besonders in der Internet-Rezeption diese Aktions- und Reaktionswoche mit den gleichzeitigen Massendemonstrationen in Kairo, bei denen es um einen Regimewechsel geht und zahlreiche Menschen ums Leben kommen, in eins gesetzt wurden. Ebensolche Parallelisierungen gab es mit Stuttgart21.

Die Vermischung der Themen, die teilweise durch ihre Nähe auf den Nachrichtenseiten, durch den inflationären Gebrauch der jeweiligen Hashtags bei Twitter und durch simple Verwechslungen zustandekam, wurde bei einigen schnell ernstgemeint. Der seit Stuttgart überall am Werk gesehene “Wutbürger” schien überallhin projiziert zu werden und dabei wurden Akteure und politische Inhalte vermengt, bis nur noch ununterscheidbarer Brei übrigblieb. Solange die Gewalt sichtbar von der Polizei ausgeht, geraten den Demokratieidealisten offenbar die Begriffe durcheinander, haben sie doch gelernt, daß nur Unrechtstaaten zu solchen Mitteln greifen müssen. (Von der nichtstaatlichen Gewalt wird sich dann distanziert oder sie wird zum Nebenthema.)

Davon, die kapitalistische Eigentumsordnung und die Staatsgewalt im Sinne der Besetzerinnen abzulehnen, sind die meisten dieser Mutmaßungen über Rechtmäßigkeit und Angemessenheit, rechts- oder politikfreie Räume sehr weit entfernt. Insofern handelt es sich bei vielen demokratischen Sympathiebekundungen wohl einfach um interessierte Mißverständnisse; die Hausprojekte werden wie in den letzten Jahren auch abzüglich ihrer militanten Positionen und politischen Bedeutung einfach als “bunte Bereicherung” der Stadt behandelt.

***

Beunruhigender ist die Selbstverständlichkeit der Parallelisierung der Aufstände in den arabischen Ländern mit 1989ff. – abgesehen von der historischen Schieflage dieses Blicks ist es irritierend, daß dieser Verweis hinsichtlich möglicher Umschläge in reaktionäre Massenbewegungen beruhigen soll. Das ist von den frühen Neunzigern also im Gedächtnis geblieben…

8 Responses to “Friedrichshain ist weder Stuttgart noch Kairo”

  1. jan tölva Says:

    Nich nur die frühen Neunziger. Auch das, was sich gerade in Ungarn, Bulgarien und eigentlich in mindestens jedem zweiten anderen Ex-Ostblockstaat abspielt (d.h. der Rechtsruck eines Großteils der Bevölkerung inklusive pogromartiger Ausschreitungen), ist eine Folge von 1989ff. DAS finde ich noch weit beunruhigender…

  2. AH Says:

    Hallo Classless Kula,
    vielen Dank für die realistische Einschätzung der Protestaktionen in den letzten Tagen. Mich haben die #Kairo- und #S21-Vergleiche auch verwundert und ich denke es ist tatsächlich ein Ausdruck der Protest-2.0-Generation, die schnell mal dabei ist, verschiedenen Themen nicht inhaltlich, sondern per Mausklick zu verknüpfen.
    Trotzdem würde ich die teilweise erstaunlich sympathisierende Berichterstattung nicht einfach als “Mißverständnisse” verbuchen. Ich glaube auch nicht, dass die Tagesthemen oder die Berliner Zeitung ab jetzt den Kapitalismus abschaffen wolle – aber der wachsende Vertrauensverlust gegenüber den politischen Parteien ist mit der Räumung der Liebigstraße deutlich geworden. Etwas optimistisch könnten wir deutliche Risse im politischen System erkennen. Selbst diejenigen, die sich eine Alternativbiotop für die Tourismuswerbung erhalten wollten, haben doch die Hilflosigkeit der Berliner Stadtpolitik im Fall der Räumung mitbekommen. Im historischen Rückblick auf die Berliner Stadtpolitik waren es vergleichbare Tendenzen eines politischen Vakuums, die 1980 und 1990 die großen Hausbesetzerbewegungen ermöglichte/auf den Plan rief.
    Ob und wie die aktuelle Form des Staatsversagens von sozialen/progressiven Bewegungen genutzt werden kann, finde ich schwer einzuschätzen und wir sind sicher alle gut beraten, nicht jeden beliebigen Aktivismus in den Himmel zu loben. Wachsende Spielräume – sei es im Stadtteil, wie du es beschreibst, sei es bei der Formation von neuen, bewegungsnäheren und parteiunabhängigen (stadt)politischen Akteuren – nicht zu nutzten, wäre genau so falsch.
    AH

  3. nada Says:

    classless:
    …der erzeugte Sachschaden ist imposant. Wenn auf der anderen Seite Kosten eine Hauptrolle spielen, dann dürften sich die Kalkulationen stark verändert haben.

    salty:
    Glaubt den Luegen der Moerder nicht!
    ‘Eine Million Sachschaden fuer jede Raeumung’ – oft verkuendet, nie erreicht.
    Unerwartete Hilfe zur Erfuellung das Planziels gibt es allerdings dieses Mal vom Polizeipraesidenten Dieter Glietsch, welcher bereits am Tag nach der Raeumung der Liebig14 von mehr als einer Million Sachschaden zu berichten weiss. Rechenkuenstler Glietsch zaehlt auf, welche Schaeden es gegeben hat. Eine Strassenlaterne, eine Telefonzelle, ein Bushaeuschen sind dabei. Die O2-Arena natuerlich auch. Die ist allerdings nicht abgefackelt, sondern die Eingangstuer ist leicht beschaedigt.

  4. classless Says:

    Ja, es waren ja auch bei den verletzten Cops ganz viele Knalltraumata und sowas. Trotzdem ging ordentlich was kaputt, und es ist auch noch nicht vorbei…

  5. schokolade Says:

    bester spruch bei einer l14-demo in neukölln “tunesien, ägypten,.. friedrichshain!” … ???!

  6. mischka Says:

    Mich hat es auch verwundert, dass z.B. bei Twitter die Proteste in der arabischen Welt, Stuttgart21 und Liebig14 in Zusammenhang gebracht wurden. Allerdings zeigt dies die Rezeption der (oder dieser) Internet-Nutzer der Proteste. Schön, dass sich diese Netzbürger mit dem Liebig14-Protest solidarisieren. Der holprige Zusammenhang in den die Häuserräumung mit anderen Protestbewegungen gebracht wird, zeigt den Wunsch nach einer größeren und umfassenderen Kritik an den Verhältnissen. Das muss nicht schlecht sein, wenn auch nicht sauber analysiert, drückt sich in den kurzen Twittermeldungen die Sehnsucht nach Veränderung aus. Auch und vor allem vielleicht, dass aus einem Häuserkampf eine Kraftprobe mit den Herrschenden entstehen könnte. Diese Sehnsucht teilen die Netzbürger von Twitter mit der autonomen Szene und der radikalen Linken.

  7. nada Says:

    @mischka
    die “sehnsucht nach veränderung”, welche übrigens unabhängig von den gegenwärtigen geschehnissen omnipräsent ist, ist gerade in deutschland ja wohl eher etwas, dass man fürchten muss, als etwas über das man sich freuen könnte. auch den optimismus, dass sich im bemühten zusammenführen von häuserräumung und protesten in nordafrika ein wunsch nach umfassender kritik zeigt kann ich so gar nicht teilen. es handelt sich doch eher um einen wunsch danach kritik zu vermeiden und lieber gleich zur tat zu schreiten. (am end auch gegen “die herrschenden”, aber wer soll das denn nun wieder sein?)

  8. Donauwelle Says:

    http://www.youtube.com/watch?v=pEZrO0vmkGQ
    http://www.youtube.com/watch?v=k_G0Sc0bcPs
    http://www.youtube.com/watch?v=o2-u1m412cw

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