Nazis, Darmstadt, Deutschland, falsches Bewußtsein – Notizen unterwegs

December 2nd, 2011

Daß Nazis meist wenig zu befürchten haben, auf verschiedenen Ebenen und verschiedene Weisen gedeckt und begünstigt werden, ist kein Betriebsunfall. Die in der Tradition des Staatsantifa-Sommers 2000 stehenden realitätsverleugnend-trotzigen Behauptungen à la “Zwickau ist keine Heimat für rechtsextremen Terror” und die jetzt allerorten vorgetragenen Nonsense-Fragen à la “Könnte es sein, daß die staatliche Finanzierung von militanten Nazikadern deren Terror zugearbeitet hat?” funktionieren bereits als Teil des Verharmlosungs- und Begünstigungszusammenhangs (“Lichterkette, Stacheldraht – Normalität im deutschen Staat”). Vielleicht noch mal diesen Propaganda-Film des Thüringer Verfassungsschutzes anschauen:


Jugendlicher Extremismus mitten in Deutschland (2000)

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Der grüne Bürgermeister von Darmstadt sagt zu den Unibesetzern bei seinem Besuch nicht einfach: Ihr stinkt, ihr kriegt nichts. Sondern er heult ihnen was darüber vor, wie schwer er’s früher hatte und daß mit ihm früher niemand geredet hätte; es sei ja schon ein Fortschritt, daß er nun heute mit ihnen reden würde. Und dann räumen läßt, wie schon, als er noch Baudezernent war. (Zwischendrin rechtfertigt er noch ungefragt seine Zustimmung zum Kosovokrieg.)

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Die Grundlage der deutschen Machtposition bleibt der Umstand, daß die deutsche Lohnarbeit profitabler auszubeuten ist, weil hier gegen Ausbeutung stillgehalten wird und dafür gegen jeden anderen Quatsch protestiert. (Siehe auch: Deutschland arbeitet gegen Griechenland und Standortwaffe Niedriglohnsektor.)

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Das falsche Bewußtsein funktioniert auf der individuellen Ebene wie eine Psychose, nämlich als inadäquate Wirklichkeitskonstruktion – und wie bei der Psychose ist es stets eine Frage der Konsensrealität, was für inadäquat gehalten wird. (Weshalb der Begriff Psychose auch so problematisch ist und so pathologisierend funktioniert.) Ware-Geld-Beziehung, Geschlechterrollen, Nationalismus, Antisemitismus, Demokratieidealismus, religiöse Überzeugungen und Rassismus sind vom Standpunkt einer zu schaffenden klassenlosen, herrschaftsfreien Weltgesellschaft falsch – als Anpassung an die Realität einer Klassengesellschaft sind sie aber funktionell richtig und liegen deshalb – wie Psychosen – die meiste Zeit über auch nur latent vor, werden zwar ständig eingeübt, äußern sich aber nur bei Infragestellung oder Brüchen in der Weltwahrnehmung aggressiv, was dann – analog zum psychotischen Schub – zur aufgebrachten Menge und zum Pogrom werden kann.

25 Responses to “Nazis, Darmstadt, Deutschland, falsches Bewußtsein – Notizen unterwegs”

  1. Qaumaneq Says:

    Das ist ein Kollateralschaden von Fukushima dass daraufhin in der Nähe von Biblis derartige Figuren sich ihre Mehrheiten organisieren konnten. Da haben die Studenten sozusagen Gelegenheit am amtierenden Objekt zu studieren wie das gemacht wird, Kommunikation vorzutäuschen ohne was dazuzulernen – dieses scheint ja offensichtlich die Auffassung zu vertreten genau das sei die Fähigkeit welche sie unbedingt benötigten.

    https://linksunten.indymedia.org/de/node/48497

  2. Simone Says:

    Gibt es schon etwas weiter ausgeführteres zum Verhältnis ‘falsches Bewußtsein’ – ‘Psychose’ von dir? Ich bin mir nicht sicher, aber meine mich zu erinnern, dass du in deinem ‘Leben im Rausch’ Vortrag zwar Psychosen ansprichst, den Begriff aber leider etwas isoliert im Raum stehen lässt!?

  3. classless Says:

    “Leben im Rausch” wird ja gerade noch zu einem Buch, dessen Fertigstellung sich aber leider ganz schön hinzieht. Darin werde ich diesen Zusammenhang noch weiter entwickeln – ich wollte hier nur mal einen Grundgedanken dazu kurz festhalten und schauen, ob und wie er eventuell diskutiert wird.

  4. Andi Says:

    Kannst du deine Kritik am Demokratieidealismus evtl. bei Gelegenheit mal etwas ausführen? Fände ich sehr interessant!

  5. classless Says:

    Kann ich schon mal machen, vor allem im Zusammenhang mit dem Rausch, ist aber grundsätzlich nicht besonders weit vom Gegenstandpunkt entfernt und schließlich auch von dort bezogen.

    (Ein bißchen ist’s hier ausgeführt: http://www.classless.org/2010/04/26/videomitschnitt-entschworung-spezial-republica/)

  6. Xenu's Pasta Says:

    Ähm naja. Ich sehe da noch einen gewissen “leap of faith”, um von der Individualbetrachtung (Psychose) auf das (gruppendynamische) (Mengen-|Massen-)phänomen “Pogrom” zu kommen. Das Problem haben alle, die Theorien über die Gesellschaft und über’s Individuum zusammenbringen wollen. Ein Ansatz um die Brücke zu schlagen ist natürlich, dass es sich um die “Konsensrealität” handelt. Wenn der auftretende Widerspruch groß genug wird, dass die Mühe, die individuelle Wahrnehmung der Realität mit der individuellen Einschätzung, was Konsens über diese ist, in Deckung zu bringen (so ne Art kognitive Dissonanz) um bei genügend vielen Leuten nicht dauerhaft zu funktionieren, passiert dann (ausgelöst wodurch?) die Beseitigung des Widerspruch bei Aufrechterhaltung des Konsens, also das Pogrom? Wenn das so ist, gibts da vielleicht noch andere, weniger gewalttätige Formen, die vom Mechanismus her auch mit dazugerechnet werden müssen?

    das ist jetzt ziemlich spekulativ…

  7. classless Says:

    Mir ging’s ja zunächst mal um diese Parallele zwischen latenter und manifester Form, zwischen Potential und Schub. Also dann auch eher um die individuelle Beteiligung am Lnychmob als um diesen als Ganzes…

  8. Qaumaneq Says:

    Die Rolle der Behörden in der Reichspogromnacht ist historisch unanfechtbar dokumentiert. Ohne Gleichschaltung durch hierarchische Organisation gibt es auch keine organisierte Kurzschlußhandlung. Die übelsten Pathologien der Gesellschaft resultieren immer aus ihren staatlichen Organen. Dabei geht es nicht nur um Ermächtigung und Kontinuität. Auf der Ebene des Individuums entspricht dem autoaggressiven Apparat der größte gemeinsame Konsens dessen Personals. Welcherlei Geisteshaltung ist aufzubringen, um sich bei Staatschutzdezernaten, Verfassungsschutzämtern, Geheimdienstbehörden u. dgl. als Arbeitnehmer zu betätigen? Das ist mehr als eine lediglich ärztliche Frage sondern als historische Frage nach dem Rohmaterial der Pogromstimmung auch eine richterliche. Der Amokläufer von Oslo, der als blinder Passagier im Narrativ der transnationalen Gestapo unterwegs war und dessen Schub zum Pogrom als einzelner akut realisiert hat, wird nur deswegen von den Gerichten an die Psychiatrie abgeschoben um ebendieser Fragestellung auszuweichen. Gleichermaßen ließe sich die gesamte “intelligence community” als latente Amokläufer diagnostizieren, und dennoch ändert das nichts daran dass Unzurechnungsfähigkeit eine historisch ungültige Ausrede bleibt.

  9. Xenu's Pasta Says:

    @Qaumaneq

    mag sein, dass zur Reichpogromnacht die Behörden ne aktive Rolle gespielt haben. Mag auch sein, dass in den Anfangs-Neunzigern (im Osten?) das Pogrom-Setting durch den Staat geschaffen wurde und teilweise durch aktive Passivität der Polizei begleitet wurde. Den Rest aber haben die Leue ganz alleine gemacht, ich habs gesehen.

  10. classless Says:

    Xenu’s Pasta, word!

  11. Qaumaneq Says:

    @Xenu´s Pasta – Keiner hat behauptet Anders Behring Breivik hätte einen ähnlichen Lebenslauf wie Philipp Rösler, aber ohne Drohnenkrieg und Dissidentenverfolgung und die dazugehörigen Ideologien hätte er wohl nicht die Überzeugung erlangt mit seinen Taten einen Nerv zu treffen. Und ohne den Binnenexport der Gladio-Strukturen unter dem Deckmäntelchen des 2-Plus-4-Vertrags hätten die Einheitspogrome, deren erste Tote übrigen im Westen von den Bullen ermordet wurde, vermutlich nicht gezündet.

    http://www.goest.de/conny.htm

  12. lasterfahrerei Says:

    sozusagen: »faschismus ist keine meinung sondern eine krankheit«

    ?

  13. classless Says:

    @ lasti

    Wenn alle “krank” zu sein scheinen, macht das diese Zuschreibung eben so hohl und willkürlich, wie sie ja auch ist.

  14. lasterfahrerei Says:

    das »krank« will ich bei dem spruch jetzt garnicht behandelt wissen, wenn alle »krank« erscheinen, dann heisst das letztendlich ja wiederum das alle auch »nicht krank« sind. mir kamm die abwandlung dieses spruches in den sinn als ich von dem ergebniss der gutachter von breviks zustand gehört hab. eigentlich müsste er auch heissen »faschismus ist kein verbrechen sondern eine krankheit«. allerdings weiss ich auch nicht ob ich eventuell wirklich bei brevik von faschismus sprechen will/kann. der alte spruch »faschismus ist keine meinung sonder …« ist ja auch hohl. klar kann es eine meinung sein UND ein verbrechen zugleich, das schliesst ja nicht aus, genausowenig wie sich ein verbrechen (planvoll) und die krankheit (irgendwie unplanvoll) ausschliessen. die krankheit ist ja nur da, weil sie von einer norm abweicht. ist die krankheit das norm so ist es verdreht usw.

  15. lasterfahrerei Says:

    anmerkung: so in etwa wie besoffensein nicht vor der schande und der strafe schützen sollte.

  16. Xenu's Pasta Says:

    @Qaumaneq

    Bis das jemand sinnvoll begründet, ist der Tod von Conny Wessman sehr wohl Resultat von einer faschistischen Bullenstruktur, aber kein Pogrom. Insofern sehe ich den Zusammenhang nicht. Der Unterschied ist ja gerade, dass Pogrome _nicht_ offensichtlich von den Strukturen der Autorität verübt werden sonden vom – zumindest anscheinend – mehr oder minder spontan zusammengefundenen Mob. Spontan ist da relativ (ich behaupte, dass z.B. die Pogrome in Hoyerwerda einige Tage Anlaufzeit hatten).

    Dass faschistisch motivierte Gewalttäter (zu denen ich Breivik zählen würde) sich als Ausführende eines signifikanten Teil der Bevölkerung sehen, der schweigend zustimmt, ist glaub schon von einigen gezeigt worden. Und obwohl alle Pogrome faschistisch sind, sind nicht alle faschistischen Gewalttaten Pogrome.

    @lasterfahrerei

    Das Problem liegt in der Gleichsetzung von Abweichung (körperlich wie geistig) von der definierten Norm mit “Krankheit”. Pathologisierung bedeutet eben auch Entmündigung.

  17. Nison Says:

    @lasterfahrerei
    Faschismus ist keine Meinung, sondern eine Ideologie der Vernichtung ?!1

  18. lasterfahrerei Says:

    Xenu’s Pasta:
    Nö, nicht zwingendermassen ist das immer _das problem_, wäre die gleichsetzung nicht könnte der begriff krankheit ja auch ganz gekippt werden. norm wird ja auch nicht einfach so mal eben definiert, die bildet sich ja etwas komplexer.

  19. lasterfahrerei Says:

    ps. das problem liegt im gleichsetzen von norm und normal!

  20. lasterfahrerei Says:

    @Nison:
    Faschismus ist eine Meinung auf die es nur eine Antwort gibt.

  21. Qaumaneq Says:

    @Xenu´s Pasta – Unter der Demokratie erhebt jede Staatsgewalt den Anspruch von der Bevölkerung ausgegangen zu sein, und im schlimmsten Fall geht die totalitäre Lenkung so weit dass selbst der Wutbürger sich scheinbar wie von alleine zum nützlichen Idioten der Staatsgewalt zurichtet. Insofern ist Deine Aussage tautologisch, und das Pogrom ist als organisierte Ersatzhandlung immer der gewollte Kollateralschaden der autoritären Täuschung auf welcher das totalitärdemokratische System basiert. Ein Lynchmob der antifaschistische Demonstranten “plattmachen” will ist auch dann ein Lynchmob wenn er Beamtengehälter bezieht.

  22. Vita activa Says:

    Qaumaneq: Pogrome sind kein staatliches, sondern ein gesellschaftliches Phänomen. Sie treten auch dort in Erscheinung, wo es keine staatlichen Strukturen in Erscheinung, wo es keinen etatistischen Durchdringungsanspruch gibt. Man denke nur an das Massaker von Hebron (1929) oder – noch weiter hergeholt – die Ausschreitungen während der Kreuzzüge. Selbst die “Reichspogromnacht” bedurfte immer noch das Moment des spontanen “Volkszorns”. Autoritäre Charakterstrukturen sind kein Abbild einer staatlichen Struktur, sondern ein vielschichtiges Ergebnis aus ökonomischen, durchaus auch staatlichen, religiösen, familiären und psychologischen Faktoren. Für einen Staat als Vermittler von Lohnarbeit und Kapital haben Pogrome sogar eine kontraproduktive Funktion, weil Pogrome letztendlich zur wirtschaftlichen Autarkie führen. Die Überbetonung der staatlichen Autorität, wie sie in den Beiträgen ersichtlich werden, stellen eine Facette der deutschen Ideologie dar, die den Staat nicht als Abbild sozialer Wirklichkeiten, sondern als einen menschenfressenden “Leviathan” ansieht. Diese Staatsfixierung erinnert an die Facebook-Fraktion, die jedes Detail aus dem eigenen Leben preisgibt, aber gleichzeitig den “gläsernen Menschen” beklagt oder ein neues “1984” herbeibeschwört.

  23. Quamaneq Says:

    Die Kreuzzüge sind doch gerade ein Beispiel einer Aggression welche aus einem Versuch der Stärkung der Zentralmacht entsteht, und als sie sich nur begrenzt nach außen ableiten kann sich im Inneren austobt. Ich meine Deine Sichtweise ist eine idealistische welche den Staat als aussergesellschaftliches Phänomen hinstellt. Tatsächlich ist aber der Staat nichts weiter als ein Pogrom von lebenslänglicher Dauer, so wie Sklaverei ein Raubüberfall von lebenslänglicher Dauer ist, oder ein Todesmarsch ein Mord in Zeitdilatation. Die Täter haben nur deswegen keinen Anlass zur Eile weil sie ohnehin schon alles kontrollieren und davon ausgehen dass ihnen nichts dazwischenkommen kann. In einer solchen Situation kommt es zu einer Trennung von Zwecken und Mitteln, weil jegliches zweckrationale Handeln ausgeschlossen ist verlagern sich Konflikte jenseits davon, und die Verlängerung der staatlichen Politik kann als Plagiat der Revolte irritieren.

  24. Vita activa Says:

    Deine Position lässt sich eher als “idealistisch” bewerten, wenn man den Kampfbegriff überhaupt anwenden kann, wenn Du die Bedeutung des Staats überbewertest. Die Formulierung, dass der Staat ein “Pogrom von lebenslänglicher Dauer” sei, spricht hierbei Bände. Wenn ich ihm eine (komplexe) Vermittlerrolle zwischen Lohnarbeit und Kapital zugestehe, dann stellt dies eine materialistische Induktion dar.

    Der Staat in der heutigen Form ist erstmal ein Gebilde der Frühen Neuzeit. Die Kreuzzüge fanden in einer Zeit statt, als es vorstaatliche, sakral legitimierte Herrschaftsstrukturen gab, bei denen es um den Absolutheitsanspruch des Klerus ging. Übrigens besaß der Bischof von Rom zu der Zeit noch nicht die selbe Gewichtung wie der heutige Papst nach dem I. Vatikanischen Konzilium. Die Pogrome waren kein außenpolitisches Ventil, sondern fanden auf dem Weg gen Jerusalem statt.

  25. Qaumaneq Says:

    Umgekehrt, der Griff nach Jerusalem fand statt um die “Northern Plains” zu kolonisieren und sich der Opposition zu entledigen. Auf die mörderische Natur des Staates hat die Verbindung oder Trennung von Staat und Kirche allerdings keinen Einfluß, nur auf das Ausmaß von deren Komplizenschaft. Kampfbegriff hin oder her, die derzeitige Lage ist dadurch charakterisiert dass auch Probleme welche nicht vom Staat verursacht sind erst gelöst werden können wenn der Staat aus der Welt geschafft ist.

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