Luther vs. Revolution 1918: das zweite Mal als Farce

October 30th, 2018

Am 29. Oktober 1918 begann mit den ersten “Ausschreitungen” in Wilhelmshaven die Meuterei der Matrosen gegen die Befehlsverweigerung der Seekriegsführung, die entgegen der Friedensbemühungen der Reichsregierung nochmals zur Schlacht blies, genauer zum Flottenangriff auf die englische Kanalküste. Während sich die Meutereien zur Revolte ausweiteten, aus denen die Revolution hervorgehen sollte, wurde im ganzen Reich am 31. Oktober, als in Ungarn die Asternrevolution bereits siegreich war, das Reformationsjubiläum begangen.

Freilich nicht so üppig wie im Jahr zuvor, als zum 400. Jahrestag des “Thesenanschlags” eine trotz des Krieges (und nicht zuletzt seinetwegen) gigantische Massenhuldigung den “deutschesten Mann, den es je gegeben”, feierte. Kirchgemeinden mussten ihre Glocken abliefern, die zu Kriegsgerät verarbeitet wurden. Wie schon zuvor, als der Stifter der deutschen Nationalkirche das in unzähligen Bauten und Kunstwerken verherrlichte Trotzmaskottchen gegen Rom, Paris und Habsburg draußen, gegen Katholiken und Sozialisten im Reich abgab, war er nun am Ende des Krieges vielleicht das wichtigste Sinnbild des Durchhaltens gegen die Welt der Feinde, die man doch selbst heraufbeschworen hatte. Für den deutschen Nationalismus gab es bis dahin wohl keine auch nur ansatzweise vergleichbar wichtige Figur, Luther war schlicht der Ahnheilige der Nation, die Familie Luther mit ihrer Rollenverteilung buchstäblich die Heilige Familie.

Im Moment der Revolution fiel Luther seine andere, die offen konterrevolutionäre Rolle zu. Hatte er selbst die Niederschlagung der Bauernrevolution gesegnet und die möglichst mörderische Beteiligung daran als Ticket in den Himmel angepriesen, ließen die ersten lutheranischen Herrscher schließlich 1525 Müntzer und seine Leute zusammenschießen. Während des Ersten Weltkrieges war die lutheranische Konfession immer zahlreicher ins Lager der Deutschen Vaterlandspartei übergegangen, dem völkisch-nationalistischen Sammlungskern derjenigen, die schon bald Krieg gegen die Revolution führen und den Gründungsstock des Nationalsozialismus bilden sollten.

Und als Friedrich Ebert, den Wikipedia als einen der lediglich drei konfessionslosen deutschen Regierungschefs aufführt (die DDR zählt hier selbstverständlich nicht mit), unmittelbar vorm 9. November von der Panik vor der Revolution voll erfasst wird, ruft er gegenüber Max von Baden, der ihm das Kanzleramt übertragen will, doch die ur-Luthersche Sünde der Auflehnung gegen die Obrigkeit auf: “Wenn der Kaiser nicht abdankt, dann ist die soziale Revolution unvermeidlich. Ich aber will sie nicht, ja ich hasse sie wie die Sünde.”

Am 31. Oktober, am Tag des Reformationsjubiläums, ängstigte Ebert sich vor dem “Augenblick, da die Masse, die Straße, unter dem Einfluss der Unabhängigen die Durchführung unsres Parteiprogramms von uns verlangt und eine Republik fordert.” Denn “Deutschland ist nicht reif für eine Republik”.

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