classless Jahresrückblick 2018
December 30th, 2018Ich selber so
Nicht mal in Sachsen-Anhalt zähle ich noch zur Jugend, treibe mich dafür aber ganz schön rum – dieses Jahr wieder 47 Vorträge gehalten (davon 24 zur Revolution vor hundert Jahren, in Köln umrahmt vom fabulösen nö theater), sieben mal aufgelegt (erstmals auf einem CSD-Paradewagen und bei der Panzerschokolade in Wien), bin zweimal bei der “Ideolotterie” zu Gast gewesen (Echt Jetz?), hab bei Björn Peng auf dem “Action Mond & Sterne” die Tanzmaus gemacht, hab aber leider nur ein CLASTAH-Konzert mit dem Lasterfahrer gegeben. Einige neue Publikationskanäle haben prima funktioniert (iz3w, Lateinamerika Nachrichten, Der Goldene Schuss, Interviews in der Mitteldeutschen Zeitung und der Graswurzelrevolution), anderes nicht so (das Videoblog Kullas Ausschnitt). “Kulla war zwar nicht geeignet, einer Belagerung durch ein Heer standzuhalten, konnte aber kleinen Gruppen von Angreifern mehrere Tage Widerstand leisten.”
v.l.n.r RosaLuxx Eisenach (Foto: Kati Engel), Panzerschokolade @ EKH Wien (Zeichung: Lulu Weidl), CSD Magdeburg (Foto: Chris Scheunchen)
Insgesamt so
Was ich im Jahresrückblick 2017 beschrieb, hat sich weiter verschärft (Staatenkonkurrenz und die dazugehörige nationalistische Begleitmusik). Einige der besonders intensiven Klassenkampf-Schauplätze der letzten Jahre sind weiter entflammt und neue sind hinzugekommen, doch sind sie hier auch in der Nähe ganz schön weit weg (die Gilets Jaunes in Frankreich und die riesige Demo gegen 12-Stunden-Tag in Wien) bzw. in der Entfernung nahezu unsichtbar (Indiens Marsch der Hunderttausenden), hauptsächlich weil hierzulande zwar definitiv wieder mehr über Klassenkampf geredet wurde, das aber bisher weitgehend ohne erkennbare praktische Konsequenzen blieb. Arbeitskämpfe von Augsburg (Gersthofer Backbetriebe) über Aachen (Toys’R’Us), Leipzig/Saarbrücken (Halberg Guss wochenlang mit Streik-Besuch, Übernahmeforderungen und lehrreichen Entwicklungen bezüglich Solidarität und Rassismus, in Leipzig aber auch Siemens, Kirow Ardelt und Schaudt Mikrosa), Hannover (Doppelkorn Linden), Wernigerode (Hasseröder, genau das) bis sogar nach Thale (Elring Klinger) fanden außerhalb der zuständigen Gewerkschaftsbasis kaum Unterstützung und insgesamt benutzen sich weiterhin zu viele Leute gegenseitig als Ausrede. (Der dieses Jahr so viel verbogene Marx mal in seinen eigenen Worten zu Migration und Spaltung der Klasse).
Und so blieb auch Argentinien weit weg – trotz der fünf Gelegenheiten, bei denen seit letztem Dezember mehr als eine Million Menschen vor dem dortigen Kongress protestierten, trotz des mittlerweile vierten Generalstreiks seit Macris Regierungsantritt (erinnert sich noch jemand an die anderen drei?), trotz der mächtigen neuen Frauenbewegung und ihres Beinahe-Erfolgs in Sachen Abtreibungs-Legalisierung (Interview zum schließlichen Scheitern am Senat), trotz des G20-Gipfels in Buenos Aires Ende des Jahres. Da wussten auch die deutschen Fernsehnachrichten nicht mal, dass das an der Spitze der großen Protestdemo die aufrufende Parlamentsfraktion der Linksfront FIT war, und die Inszenierung der dort Herrschenden bekam außer den hier Herrschenden hierzulande gleich so gut wie niemand mit. (In Argentinien wiederum ist Paraguay weit weg – meine liebste Magui war dazu in Argentinien und Paraguay im Fernsehen und veröffentlichte ihr erstes Buch.)
“Kullas in towns are usually built as standalone structures, while in villages they are more commonly found as a part of a larger ensemble of kullas…“
Das soll aber nicht heißen, dass politisch nichts Erfreuliches passiert wäre. Hier nur mal einige Sachen, an denen ich teilgenommen habe bzw. die mir nahe waren: Der Thüringer Landeshaushalt verteilte ordentlich nach unten, es gab Massendemos für Klimaschutz und Flüchtlingshilfe, die Linksjugend formulierte auf ihrem Bundeskongress im April einen Leitantrag mit diesem Einstieg: »Zu lange gingen in Europa nur rechte Monster und neoliberale Untote umher. Es wird Zeit, dass endlich wieder ein Gespenst nach Europa zurückkehrt: Das Gespenst des Kommunismus.« Götz Kubitschek und seinem IfS wurde in Schnellroda charmant Besuch abgestattet, am 1. Mai der AfD ihre große Show in Querfurt vermiest. Es gab in Quedlinburg (kleinen) Protest gegen die Innenministerkonferenz im Juni und eine (erfolgreiche) Kundgebung für das Kulturzentrum Reichenstraße im August. In Berlin wurde sich mit der Gewerkschaftsbewegung bei Jasic und anderswo in China solidarisiert. Nach dem NSU-Urteil gab es eine erschütternd-bewegende Kundgebung vor der JG Stadtmitte Jena.
Auch in der medialen Vermittlung war einiges los. Die Abrafaxe verließen Luther, als er sich mit Müntzer überwirft, bei den “mosaik”-Frauen gab’s gleich viel unmittelbarer Klassenkampf für Kinder. In South Park findet ein Streik bei amazon statt, der schließlich auf die ganze Stadt ausgreift. Zum Lieblingsformat wurde neben den für meine Recherchen sehr hilfreichen YouTube-Kanälen um “The Great War” (“Between 2 Wars”) dieses Jahr aber endgültig “Drunk History”, das nach früheren großartigen Würdigungen wie der von Sklavenbefreierin Harriet Tubman sich nun u.a. auch Nichelle Nichols widmete, die als Uhura in Star Trek die erste Schwarze im All spielte und dann ganz praktisch die erste schwarze Astronautin anwarb. (Gespielt hier übrigens von Raven Symoné, einst die Jüngste mit einem Plattenvertrag und Interpretin des ersten Radiohits, den Missy Elliot schrieb, die aber wiederum ihre eigenen Zeilen im Videoclip wegen ihrer “Figur” nicht darbieten durfte.)
Zur Revolution in Deutschland 1918 durchaus DEFA schauen – Screenshot aus: “Trotz alledem!” (1971)
Aber die gerade zum Jahresende noch mal vielfach herumgereichten guten Global-Nachrichten, die durchaus klar machen, wieviel wir zu verlieren haben und welches Potential die Menschheit hat, lesen sich angesichts der immer offeneren Konflikte zwischen den Großmächten und der immer deutlicheren Folgen der Klimaveränderung (Red hot planet, Noternte auf stinkenden Feldern, Wie nah 50°C sind und wie es dann aussieht, Dürre und Hitze in Europa) wie die Nachrichten von 1913: der unaufhaltsame technische Fortschritt, die allgemeine Hebung des Lebensstandards, die Überwindung der Ungerechtigkeit, die längste Friedensphase…
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