Terror der SPD-Regierungstruppen vorläufig siegreich
April 29th, 2019Ende April/Anfang Mai 1919 muss die Räte- und Sozialisierungsbewegung unter dem Terror der Regierungstruppen im Ruhrgebiet und in Bayern vorläufig aufgeben.
Obwohl die Zerschlagung der formalen Organisationsstrukturen den Generalstreik im Ruhrgebiet nicht zu beenden vermochte, bricht er ab 25. April unter brutaler Besatzung und vor allem durch Aushungerung der Streikenden zusammen. In Hamborn und an anderen Orten gibt es jedoch noch bis zum 30. April Auseinandersetzungen um die Sechs-Stunden-Schicht, wie der Nationalversammlung berichtet wird: “Die Belegschaft versucht mit Gewalt die Ausfahrt nach sechsstündiger Arbeitszeit zu erzwingen, es gelingt aber der Werksleitung mit Hilfe der Regierungstruppen die frühere Ausfahrt zu verhindern und die Belegschaft auf die vereinbarte 7 Stundenschicht zu bringen”.
In Bayern ziehen die konterrevolutionären Regierungstruppen in der zweiten Hälfte des April den Ring um München zu, auch hier wird versucht, die Hochburgen der Räterepublik von der Versorgung abzuschneiden und auszuhungern. In Augsburg kommen bei Kämpfen um die Arbeiterviertel Oberhausen, Lechhausen und Pfersee zwischen dem 20. und 23. April 10 Weiße und 34 Augsburger ums Leben. In Vilsbiburg werden am 26. April die Regierungstruppen zunächst von Arbeitern entwaffnet, erst Verstärkung kann in einem Feuergefecht die Stadt unter Kontrolle der Konterrevolution bringen. Dachau wird zunächst am 15./16. April erfolgreich durch die neu aufgestellte Rote Armee verteidigt und noch bis zum Rückzug am 30. April gehalten. In Starnberg kommt es am 29. April beim Einmarsch von Württemberger Truppen zum Massaker. Auf die Nachrichten von diesen und anderen Gräueltaten hin wird – bis heute ist ungeklärt von wem – die einzige Erschießung auf Seiten der Räterepublik angeordnet. Im Luitpold-Gymnasium werden sieben gefangene Mitglieder der völkisch-rassistischen Thule-Gesellschaft und drei weitere Personen exekutiert, was von Räteführern wie Toller und Mühsam verurteilt wird, von der Konterrevolution jedoch sofort intensiv propagandistisch ausgemalt und ausgeschlachtet. U.a. das führt zur vorzeitigen Stürmung Münchens am 1. Mai durch Freikorps (GKSD, Görlitz), was wiederum zusammen mit den sich verschärfenden Differenzen vor allem zwischen USPD und KPD auf Seiten der Räterepublik insgesamt sehr unkoordinierte Kämpfe ausbrechen lässt.
Ein Panzerzug kann am Hauptbahnhof manövrierunfähig geschossen werden, ein anderer an der Donnersbergerbrücke von bewaffneten Arbeitern aufgehalten, noch ein weiterer ist an der Hackerbrücke umkämpft – alle drei Panzerzüge müssen sich halb drei nachts nach Schleißheim zurückziehen. Die Kämpfe gehen bis zum Abend des 2. Mai weiter, vor allem in den Arbeitervierteln Giesing und Haidhausen, wo noch wochenlang eine Art Partisanenkrieg geführt wird. Reste der Roten Armee kämpfen noch kurzzeitig um Rosenheim und Kolbermoor.
Wie zuvor an anderen Schauplätzen sind die meisten Toten erst nach Ende der Kampfhandlungen zu beklagen. Auf Verhaftungen folgen teilweise öffentliche Misshandlungen und Einzelerschießungen, u.a. im Gefängnis Stadelheim (erst auf die Beine und den Unterleib schießen, gerade bei Frauen), wo auch später während der Herrschaft des Nationalsozialismus mindestens 1000 weitere Exekutionen stattfinden. (Die dortige Ermordung Gustav Landauers hat Heribert Prantl gerade für die Süddeutsche Zeitung in Erinnerung gerufen, erwähnt aber die auftraggebende SPD-Regierung mit keinem Wort und ist sich nicht zu schade, den Anarchisten Landauer am Ende des Artikels für die Formel “Eigentum verpflichtet” vereinnahmen zu müssen.)
Dann finden tagelang immer mehr und umfangreichere Erschießungen nach “spontanen Standgerichten” statt und es kommt zu regelrechten Massakern (auch an katholischen Handwerksgesellen und russischen Kriegsgefangenen), immer angefeuert durch die Presse (SPD-nahes Bamberger Volksblatt: “Der gewöhnliche Tod des Erschießens ist für die Münchner Bestien viel zu wenig…”). Bis 6. Mai gibt es mindestens 650 Tote, als besonders brutal tut sich das Bayerische Schützenkorps unter Franz Ritter von Epp hervor und schießt “alles, was nach Arbeiter aussieht und sich auf die Straßen wagt, nieder” (Schaupp). Unter den Verantwortlichen des Korps finden sich Ernst Röhm, Rudolf Heß und viele andere später wichtige Nazis. Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) dankt Oberbefehlshaber General von Oven “für die umsichtige und erfolgreiche Leitung der Operation in München”.
Im Resultat dieses ganzen Terrors ist die “zweite Revolution”, die nach dem immer offeneren Rechtsschwenk der SPD-Führung Anfang 1919 doch noch die im SPD-Parteiprogramm verheißene Sozialisierung der Großbetriebe und dazu die Rätemacht durchsetzen wollte, zunächst größtenteils niedergeschlagen. Tausende sind tot, weitere Tausende sind inhaftiert, oft unter schweren Misshandlungen. Das zusammenhängende revolutionäre Gebiet von Deutschland über Österreich und Ungarn bis nach Sowjetrussland kommt, mit all seinen möglichen positiven wie negativen Auswirkungen, nicht zustande. Die SPD verliert massenweise Mitglieder, in KPD und USPD brechen scharfe Richtungskämpfe aus, weitere linke Organisationen wie die KAPD und die syndikalistische FAUD bereiten neue Kämpfe vor.
Weite Teile des Reiches stehen unter militärischer Besatzung und Ausnahmezustand, überall sind Drahtverhaue und MGs postiert. In Berlin herrscht de facto das Militär, bis es im März 1920 selbst die Macht im Reich zu übernehmen versucht. Auch in Bayern bildet sich eine militärische Parallelregierung, die sogenannte “Ordnungszelle”, die dafür sorgen wird, dass der Versailler Vertrag nicht ratifiziert wird und sich im Schutz der weiter bestehenden paramilitärischen Verbände der Grundstock des Nationalsozialismus formieren kann, als dessen Geburtsstunde schon Zeitgenossen wie Erich Mühsam den Einmarsch der Hakenkreuz-geschmückten Truppen in München wahrnehmen. Mühsam ahnt das kommende “Blutregiment”, das sich auch gegen diejenigen Sozialdemokraten wenden wird, die diese ersten Nazis angeworben, bewaffnet, zur Reichswehr gemacht und gegen all die Kämpfer fürs SPD-Parteiprogramm losgeschickt haben.
Ging die Revolution nun noch weiter? In den meisten Darstellungen endet sie spätestens hier, auch im auf dieser Seite hier viel referenzierten Buch von Klaus Gietinger. (Bis noch vor wenigen Jahren war sie oft nur auf den November 1918 beschränkt und ging bei Linken allenfalls bis zum Januar 1919 weiter.) Der revolutionäre Charakter der Ereignisse von 1920 (Generalstreik, Sozialisierungskämpfe, Rote Ruhrarmee), 1921 (Mitteldeutscher Aufstand), 1923 (revolutionäre Situation im Sommer und Herbst) wird ausgelassen oder heruntergespielt, die Zusammenhänge werden nicht hergestellt und häufig wird die Geschichte auch auf die Rolle der je eigenen politischen Fraktion heruntergebrochen. Karl-Heinz Roth, dessen Buch “Die andere Arbeiterbewegung” von 1973 so viel von der neueren Forschung inspiriert hat, dehnte dort die revolutionären Ereignisse zumindest bis 1921 aus.
Hier soll das Geschehen bis 1923 weiter verfolgt werden; das Publikum möge sich selbst daraus ein Urteil bilden. In den nächsten Postings wird es u.a. um den Fall der vorläufig letzten Rätehochburg Leipzig, um die frühe Formierung des Nationalsozialismus in Bayern, um die Personalie Hitler und um die Sülzeunruhen in Hamburg gehen. Hinweise auf Materialien zum revolutionären bzw. konterrevolutionären Geschehen im weiteren Verlauf des Jahres 1919 sind jederzeit sehr willkommen!
Zum Ende des Generalstreiks im Ruhrgebiet findet heute (29.4.) eine Diskussionsveranstaltung in Dortmund statt, bei der es vor allem um die Selbstorganisation der Streikenden gehen soll.
Zum Verlauf der revolutionären Auseinandersetzungen um die bayerische Räterepublik hat Plenum R in Zusammenarbeit mit dem Kurt-Eisner-Verein je eine Übersichtskarte erstellt: Bayern und München.
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