Hitler, Teil I: Säuberung von der Revolution

May 9th, 2019

Am 9. Mai 1919 wurde der Gefreite der bayerischen Armee Adolf Hitler in den Untersuchungsausschuss seines Regiments zur Säuberung von Anhängern der soeben niedergeschlagenen Räterepublik Baiern berufen.

Während die Kämpfe in und um München in Kleinkrieg und Terror übergegangen waren und insgesamt etwa 1000 Menschen ums Leben kamen, anfänglich wohlwollend auf die einmarschierenden Truppen blickendes Bürgertum und Prominenz wie Thomas Mann und Rainer Maria Rilke nach ersten offensichtlich unbeteiligten Opfern zur Mäßigung riefen, ließ die Militärführung nun mehrere Tausend Verdächtige verhaften und überprüfen – Ende Mai waren ca. 1500 unter katastrophalen Bedingungen und oft unter Misshandlungen in “Schutzhaft”.

Obwohl die mit der Ausräucherung der Revolution befasste Polizeidirektion München in ihrem Bericht selbst zu der Einschätzung kam, dass (abgesehen von der bereits erwähnten Erschießung zehn wegen konterrevolutionärer Tätigkeit und völkisch-antisemitischer Gesinnung Gefangener am 30.4. im Luitpold-Gymnasium) der “rote Terror” sowohl in Form von Morden als auch durch Plünderungen oder Vergewaltigungen ausgeblieben war bzw. vor allem in Drohungen (Geiselerschießung) bestanden hatte (“schlimmere Gewalttaten gegen Leib und Leben ereigneten sich unter der Kommunistenherrschaft zunächst nicht”), hagelt es drastische Urteile.

Zu Hitlers eigenen politischen Auffassungen in dieser Zeit gibt es keine direkten Belege, seine bis heute erstaunlich häufig zugrundegelegte Selbstdarstellung bis zur Räterepublik ist in in vielem falsch bis zurechtgemacht (sein “Eisernes Kreuz” war Teil einer größeren Ordensverteilung in der Schlussphase des Kriegs; seine Kriegsverletzung nicht allzu schwer, aber hinreichend, um die Revolution zu verpassen und im Glauben zu verweilen, sein Regiment wäre nicht zusammengebrochen, die Front hätte sich nicht aufgelöst), seine vorher gesammelten ideologischen Fragmente (völkisch-antisemitische und christlich-soziale aus seiner Zeit in Wien, wie Brigitte Hamann dargelegt hat, preußisch-nationalistische und sozialdemokratische während seiner Militärzeit) lassen verschiedene Möglichkeiten offen. Die Spuren aus der Zeit der Räterepublik könnten später getilgt worden sein, weil sie eine zu große reale Nähe zur (Unabhängigen) Sozialdemokratie zeigten oder auch nur wegen der formalen Nähe zur Räterepublik, in deren kommunistischer Phase Hitler zum Vertrauensmann in seinem Regiment gewählt wurde – das wiederum konnte Zeichen für ein (rechts-)sozialdemokratisches Engagement sein oder auch nur die Wahl eines halbwegs soliden und dekorierten Frontsoldaten in eine Verlegenheitsposition bei für die Räterepublik letztlich unzuverlässigen Truppen. Schließlich kann auch einfach nichts zu tilgen gewesen sein, da sich Hitler aus Opportunismus größtenteils zurückhielt.

Im Nachhinein waren seine konkreten politischen Auffassungen unwichtiger als seine Stellung, und so betritt er, nachdem er für den Verlauf der Revolution letztlich unbedeutend war, nun Anfang Mai erstmals die Bühne als gelehriger Schüler bei einer gigantischen Säuberungsaktion. Bayern steht (wie auch andere Teile des Reiches) nach dem vorläufigen Triumph der Konterrevolution unter Militärherrschaft, die SPD-Regierung Hoffmann bleibt noch bis 17. August in Bamberg, der Ausnahmezustand gilt bis 4. November, der Kriegszustand bis 1. Dezember. Das “alte Heer”, die als “revolutionär verseucht” geltende bayerische Armee, soll überprüft und aufgelöst, der “zuverlässige” Teil in die Reichswehr überführt werden. Das für Bayern zuständige Gruppenkommando 4 betreibt begleitend eine “Entbolschewisierung” der Truppe mit allen propagandistischen Mitteln, greift dabei den nach der vorläufigen Niederschlagung der Revolution in fast allen Bevölkerungsteilen (außer den revolutionär-sozialistischen Organisationen selbst) drastisch aufflammenden Antisemitismus auf, der nicht zuletzt im Offizierskorps der deutschen Armee zuvor am intensivsten ausgeprägt war.

Hitler ist dabei zunächst nur ein eifriger Teil des Säuberungsapparats, tritt aber auch übereifrig selbst als zum Teil einziger Belastungszeuge auf und zeigt sich beeindruckt vom propagandistischen Geschick eines von ihm Beschuldigten, des radikalen Soldatenrats Georg Dufter, der noch Anfang Mai die Stimmung im Regiment erneut zugunsten der Revolution zu kippen vermochte. Hitler verbleibt zunächst in seiner Funktion, da es einen Aufnahmestopp gegen Österreicher in die Reichswehr gibt und sich die Abwicklung des “alten Heeres” noch über Monate hinzieht. Erst ab Juli wird er allmählich zum Propagandisten fortgebildet – dazu im nächsten Posting mehr, siehe Links unten.


Bildmontage aus dem einzigen gesicherten Foto Hitlers aus der fraglichen Zeit (im Kriegsgefangenenlager in Traunstein um den Jahreswechsel 1918/19) und der Regimentsanordnung, die Hitler in den Untersuchungsausschuss beruft – beides entnommen Othmar Plöckinger “Unter Soldaten und Agitatoren”, Paderborn 2013, dessen Darstellung dieses Posting auch weitgehend folgt.

***

Hitler, Teil II: Umschulung auf Konterrevolution – beim Reichswehr-Weiterbildungskurs für Agitation und Propaganda
Hitler, Teil III: Propaganda-Feldversuch für die Reichswehr (Juli 1919)
Hitler Begins, Teil IV: als Aufbauhelfer zur D.A.P. (September 1919)
Hitler Teil V: “Lesestoff” und geförderter Aktivismus (November 1919)
Hitler Begins, Teil VI: Partei-Relaunch (24.2.1920)

Leave a Reply

2MWW4N64EB9P