Sind sie da, sind sie weg

May 27th, 2019

Vorwort für die nicht erschienene Neuauflage eines Bandes radikaler Dichtung.

Ein Teil dessen, was im Rausch passiert – also immer – , besteht darin, dass das Nervensystem an die Stellen, an die nichts anderes aus den Sinneskanälen, den Signalkaskaden oder dem Gedächtnis zu passen scheint, sich selbst abbildet, das heißt in puncto Optik den Sehnerv. Nicht wissend oder ahnend, dass das passiert, halten die meisten Menschen das dann für bloßen Quatsch, für übersinnliche Hinweise aufs Transzendente oder für eine Erweiterung ihrer Wahrnehmung in “andere Dimensionen” oder – noch barer jeder physikalischen Konzeptionen – von “anderen Energien”.

Zu früh abgebogen!, könnte da gerufen werden, wie an so vielen anderen Stellen auch. Also bleiben wir zunächst dazu verdammt, die verschiedenen Ebenen und Erscheinungsformen dieses ebengleichen Vorgangs, wo auch immer wir über sie stolpern, in unser eigenes Bewusstsein hineinzuhämmern, immer und immer wieder uns selbst klarzumachen, dass wir das alles selber machen, dass wir das alles selber sind – bis uns dereinst endlich unser Gehirn in den Kopf geht, und wir mutmaßlich im selben geschichtlichen Moment uns als Menschheit verstehen, die eben all das, was sie macht, selbst macht.

In den Momenten der Selbsterkenntnis müssen wir also Wollknäuel ausrollen, Stolpersteine auslegen, Knoten in Taschentücher machen, unserem Bewusstsein Fallen stellen, um es hoffentlich allmählich aus dem Wahn zu befreien, es wäre einfach so da, seine Formen, seine Muster, seine Position, seine Voraussetzungen, seine Logik, seine Grammatik, nervlichen Grundlagen wären halt einfach so, und das müßte eben so sein, und fertig.

Viele der Formen, in denen meist zu früh abgebogen wird, sehen aus, als wären sie konsequente Versuche, diese Selbsterkenntnis zur Geltung zu bringen: der Konstruktivismus, die Psychoanalyse, das Schrifttum der psycholytischen Therapie, ja selbst die Kritische Theorie. Doch irgendwo schleicht sich der Wahn immer wieder ein, und wir haben dann den allmächtigen Diskurs, die Ohnmacht gegenüber der Macht, die bestimmenden Ideen, den totalen Verblendungszusammenhang, den essentialisierten “Kritiker”, die “menschliche Natur” und diverse andere Wesenheiten und Erscheinungen, die den Durchbruch der Erkenntnis verhindern, dass alle Menschen alles, was sie machen, selbst machen, und damit sich selbst, ihr Bewusstsein, ihre soziale Realität und all die ganzen Dinge wie Waschpulver und Lenkraketen herstellen.

Hier nun also: das Wort vorm Wort. Die Sache, die über sich selbst stolpert, die in sich selbst steckt. Der Versuch, der Form etwas abzuringen, das dem Widerspruch im Kopf entspricht. Das Gehirn als das, was nirgendwo und überall ist, das sich überallhin abbildet, aber in jedem seiner Bilder fehlt; das Papier, Tinte, Druckwerk, Sprache, Zeichen auf einmal ist, sich aber nur vage im Text erkennt. Das Verhältnis des Gehirns zu sich selbst, des Ich zum übrigen Gehirn. Der Mülleimer des präfrontalen Cortex, der ein Bewusstsein entwickelt hat und nicht mal weiß, was das ist, geschweige denn, wo oder wie es funktioniert. Vielleicht auch schon: Sprache als Code – als Anweisung an sich selbst.

Aber das Werk muss sich bis hierhin den Vorwurf gefallen lassen: dass es sich nicht selbst als es selbst anspricht, die Klasse nicht als Klasse, das Gehirn nicht als Gehirn, die Spezies nicht als Spezies, die Materie nicht als Materie. (Noch?) kein Versuch einer Antwort, die Übersetzung der Form in sich selbst, der Sprache in sich selbst – die nicht-beantwortbare Frage als den bitterernsten Witz an der ganzen Sache (Universum) anerkennen und sogleich das Mobile in Bewegung schnipsen. (Noch?) kein Versuch einer Frage, was es denn nun mit der konkreten Arbeit, Ausbildung, Arbeitsumgebung zu tun hat (nicht nur mit dem als Alltag angespaltenen Nicht-Ausbeutungs-Zusammenhang). Don’t spread the word – cut-up & code!

Sehen wir hier dabei zu, wie die Klasse ihrer selbst gewahr wird, feststellt, dass sie das alles immer schon selbst macht und entsprechend niemandes Kommando bedarf? Wir wollen das doch immer sehr hoffen.

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