Revolution 1920, Teil VIII: Reichswehr-Massaker im Ruhrgebiet
April 2nd, 2020Am 2. April 1920 ist bei Ablauf des Regierungs-Ultimatums an die Rote Ruhr der brutale Einmarsch der Reichswehr, zu großen Teilen offen antisemitische und Hakenkreuz tragende Freikorps-Einheiten, bereits im vollen Gang. Seit zwei Tagen waren die Brigaden Faupel und Epp von Norden her auf Haltern und Hamm vorgerückt und hatten Massaker verübt, die Marinebrigade Loewenfeld hatte schon vor einer Woche in Raesfeld (nördlich von Dorsten) Rotgardisten gestellt, einzeln aus den Häusern geholt, “mitten im Dorf an die Wand gestellt und erschossen”, wie Brigadeoffizier Rieve zu Protokoll gibt.
In Pelkum bei Hamm setzen am 1. April (Gründonnerstag) 1.800 Reichswehrsoldaten mit Artillerie, einem Panzerzug, zwei Panzerwagen und vier Flugzeugen etwa 500 Rotgardisten und (größtenteils weibliche) Sanitätskräfte fest, ein Großteil wird beim Versuch zu entkommen “niedergemäht”, auch fast alle, die sich ergeben, werden erstochen, erschossen, erschlagen. Oberjäger Max Zeller schreibt in einem Brief: “Pardon gibt es überhaupt nicht. Selbst die Verwundeten erschießen wir. Die Begeisterung ist großartig, fast unglaublich. Unser Bataillon hat zwei Tote; die Roten haben 200 bis 300 Tote.” Über zehn von der Reichswehr gefangene Rot-Kreuz-Schwestern schreibt er: “Mit Freude schossen wir auf diese Schandbilder; und wie diese geweint und gebeten haben.” Und: “Gegen die Franzosen waren wir im Felde viel edler.”
Reichswehr- und Polizeitruppen unter General Ernst Kabisch bereiten am 1. April mit Artilleriefeuer den Angriff auf Dinslaken vor, der nun am 2. April (Karfreitag) bei Möllen beginnt: “Hunderte Arbeiter sterben im MG-Feuer. (…) Ein Sanitäter sah, wie 30 Mann auf einem Feld zusammengetrieben und erschossen wurden. Einige konnten mitten durchs Artilleriefeuer fliehen, zahlreiche blieben liegen. 73 wurden in einem Massengrab bei Voerde verscharrt.”
Gegen 10 Uhr, zwei Stunden vor Ablauf des Ultimatums, ist Dinslaken erobert. Gietinger schreibt weiter: “Alle roten Kämpfer, derer sie habhaft werden konnten, erschossen die Regierungssoldaten oder brachten sie mit dem Gewehrkolben um. Sechs oder sieben Frauen, die in Verdacht standen, als Krankenschwestern oder Kartoffelschälerinnen gearbeitet zu haben, wurden in ein Wäldchen geführt und umgebracht. (…) Nach Hausdurchsuchungen nahm man Männer ohne Begründung mit, auf 200 Meter Wegstrecke lagen am nächsten Tag 32 Leichen. (…) Am Nachmittag warf man auf dem Friedhof 113 Leichen in ein Massengrab und schüttete Brandkalk darauf.” Die Frauen unter den gefangenen Sanitätskräften wurden “als Huren beschimpft, alle geprügelt und gedemütigt, mehrfach drohte man ihnen die Exekution an, einige mussten, obwohl Sanitäter des Roten Kreuzes bzw. Arbeiter-Samariter-Bundes, Munition aufladen, dann wurden sie ausgeraubt und danach noch fünf Tage festgehalten.”
Allein in den drei Tagen bis 2. April gibt es mindestens 600 Tote, die meisten davon nach Ende der Kämpfe. Die Regierung führt einen Terror-Krieg mit 30.000 schwerbewaffneten Soldaten gegen die eigene Bevölkerung. Dennoch fordert der Zentralrat in Essen die Rote Armee auf, die Kampfhandlungen einzustellen – zu spät platzt die Hoffnung, ein erneuter reichsweiter Generalstreik würde zu Hilfe kommen. Massenmorde und Misshandlungen werden während der Rückeroberung des Ruhrgebiets noch tagelang weitergehen.
Übersichtsposting zum März/April 1920: Revolution 1920 Übersicht
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