Märzkämpfe 1921, Teil VI – 23. März: Tote bei Protesten in Hamburg, Aufstand in Mitteldeutschland

March 23rd, 2021

Am 23. März 1921 kommen in Hamburg bei Erwerbslosenprotesten mindestens 20 Menschen ums Leben. Die Proteste sind Teil der kommunistischen Märzaktion, die am Morgen die Besetzung der Werften Vulcan und Blohm&Voss, die Forderung nach Einstellung von Erwerbslosen und Umsetzung des “Offenen Briefs” (siehe Teil I) sowie am Nachmittag eine Kundgebung von 15-20.000 Menschen um das Heiligengeistfeld umfasst.

Die geplante Besetzung des Rathauses und Entwaffnungsaktionen gegen Polizeiwachen werden von der neuen VKPD-Parteiführung (siehe Teil II) im Sinne ihrer Provokationstaktik in letzter Minute gestoppt, obwohl gerade die Waffenfrage in Hamburg zum Kern der Mobilisierung “gegen die Rüstungen der Gegenrevolution” gehört, was nun aber zur Farce wird. Die kommunistische Abgeordnete Ketty Guttmann ruft auf der Belegschaftsversammlung bei Blohm&Voss aus: “Die ganze Welt sieht auf Hamburg! Wenn Hamburg brennt, brennt die Welt! Ihr seid die Herren der Welt, wenn ihr nur wollt… Wer die Waffen hat, hat die Macht, und wer hat die Waffen? Die Sicherheitsmannschaften! Wenn sie euch entgegentreten, nehmt ihnen die Waffen weg, dann habt ihr die Macht.”

Die Polizei errichtet Straßensperren und Stacheldrahtverhaue mit MG, patroulliert mit Panzerwagen. Ab 16 Uhr wird für Hamburg der Ausnahmezustand erklärt, es soll “rücksichtslos von der Waffe Gebrauch” gemacht werden. Sofort gibt es vier Tote am Elbtunnel, wo 2.000 Vulcan-Arbeiter durch eine Polizeisperre zur Kundgebung gelangen wollen. Die Polizei wird um die Werften zusammengezogen, diese werden mit wenig Widerstand verlassen.

Am Millerntor wird der Platz mit Maschinengewehrfeuer geräumt, es gibt 15 Tote. Aus der Menge wird vereinzelt zurückgeschossen, auch ein Polizist stirbt. Als um 17 Uhr eine Erwerbslosendemo am Heiligengeistfeld eintrifft, sich weigert zu gehen und sogar versucht, die Polizei zu entwaffnen, nimmt diese vorm Justizgebäude in zwei Schützenreihen Aufstellung und feuert in die Menge. Am Abend beginnen umfangreiche Verhaftungen, die Werftleitungen beantworten die Streiks und Besetzungen mit Aussperrung. Insgesamt sind etwa 2.000 Werftarbeiter im Ausstand, die Unruhen sind die heftigsten in Hamburg seit Ostern 1919. Obwohl es wegen der Kriminalisierung der Proteste und ihrer teils absurden Führung zu keiner Solidarisierungswelle kommt, im Gegenteil viele Arbeiter sich gegen die Kommunisten stellen, besteht die Zentrale auf “Steigerung” und will in Verkennung der Gesamtlage die Hamburger Ereignisse als zweiten Grund für den Aufruf zum reichsweiten Generalstreik nutzen.

Der wichtigste Grund bleibt jedoch die Lage in Mitteldeutschland. In der Nacht zum 23. März trieben bewaffnete Arbeiter in Eisleben die Schutzpolizei in ihre Unterkünfte zurück, nun greift die von Max Hoelz aufgestellte Kampftruppe an, stellt die Schupos am Otto-Schacht in einem Hinterhalt und kann vier von ihnen töten. Aktionsausschüsse in mehreren benachbarten Orten stellen Kampftrupps auf und schicken sie zu Hoelz, es gibt ein zeitweiliges lokales Übergewicht über die Schupo. Durch Sprengungen wird die Bergwerksbahn unterbrochen um den Einsatz von Streikbrechern zu verhindern, Schachtbesetzungen verleihen dem Streik Nachdruck. Arbeiter holen ihre versteckten Waffen und schließen sich den Kampfverbänden an. Der bewaffnete Aufstand hat begonnen.

Hoelz’ Truppe entwaffnet in Mansfeld Schupo und Landjäger, befreit Gefangene, beschlagnahmt im Landratsamt und in der Spar- und Kreditanstalt 20.000 Mark und Militärgewehre. Die eintreffende Polizeiverstärkung läuft ins Leere, trifft bei Rückkehr nach Hettstedt auf Widerstand Hunderter auf dem Marktplatz. Jetzt will Hoelz die Schupo in Eisleben aus ihren Unterkünften locken und dann vertreiben, greift zu Brandstiftung und Sachbeschädigungen. Die Schupo verschanzt sich, wird von Arbeitern eingekreist.

Die Polizei zieht nun ihre Truppen zusammen und holt zum großen Schlag aus. Der Hauptorganisator der Polizeioffensive, der Oberpräsident der preußischen Provinz Sachsen Otto Hörsing (SPD), lehnt die angebotene Vermittlung durch die Thüringer Landesregierung ab, der Belagerungszustand für den Regierungsbezirk Merseburg wird ausgerufen. Reichspräsident Ebert (auch SPD) bereitet Reichswehreinsatz vor, was Hörsing und der preußische Innenminister Severing (ebenfalls SPD) für falsch halten, weil dann ihr Kalkül, die Aufständischen zu kriminalisieren und zu isolieren (siehe Teil III), nicht mehr aufgehen würde und mit erheblich mehr Widerstand zu rechnen wäre. Am 24. März erklärt Ebert schließlich den zivilen und nicht den militärischen Ausnahmezustand für die preußische Provinz Sachsen und Groß-Hamburg, greift dazu einmal mehr auf Artikel 48 der Reichsverfassung zurück. Hörsing verbietet zudem Versammlungen und die kommunistische Presse.

Die VKPD ruft vor Ort in vergleichweise besonnenem Ton zum Generalstreik für den ganzen Bezirk auf, die Parteizentrale jedoch für ganz Deutschland, was unrealistisch ist, zumal das arbeitsfreie Ostern beginnt – sie will nun jedoch den ganz großen Aufstand lancieren. Der Streikaufruf im Bezirk ist relativ erfolgreich, erfasst ihn jedoch nicht vollständig.

Leuna stellt am 24. März bewaffnete Formationen auf. Sie bekommen Waffen aus Leipzig, sind aber insgesamt schlecht ausgerüstet, haben nur etwa 200 Gewehre und versuchen sich mit selbstgebauten Sprengkörpern zu behelfen. Sie heben Schützengräben aus, positionieren MG und stellen sogar einen eigenen Panzerzug aus einer Lokomotive und zwei Waggons her, mit Schießscharten und mehreren MGs, ummantelt mit 15 Millimeter dicken Stahlplatten. Von den 20.000 Arbeitskräften sind nur etwa 2.000 im Werk geblieben, 800 melden sich zum Kampf.

Bei Erdeborn und Stedten werden nach Eisleben marschierende Polizeitruppen gewaltsam aufgehalten. Fünf Schupo-Hundertschaften greifen das von Arbeitern besetzte Helfta an, das erst nach erbitterten Kämpfen erobert wird, 11 Arbeiter und 4 Schupos werden getötet.

Die Arbeiter müssen sich aus Eisleben in die Umgebung zurückziehen. In Hettstedt sind nun trotz Widerstand vier Polizei-Hundertschaften. Hoelz’ Truppe greift sie nachts an, sprengt Bahnhof, Bank und weitere Gebäude, zieht sich dann in ihr Hauptquartier nach Helbra zurück. Noch am 25. März behaupten sich die Arbeiter in den Kämpfen um Hettstedt, während in der Stadt 50 Verdächtige verhaftet werden.

Doch das Eintreffen weiterer Truppen mit Artillerie und Minenwerfern unter Polizeioberst Graf Poninski, der schon im Jahr zuvor an der Niederschlagung der Roten Ruhr beteiligt war, kippt das Kräfteverhältnis so deutlich, dass eine Abordnung von Arbeitern und einem Redakteur der Mansfelder Volkszeitung Polizeimajor Foltes Bedingungen akzeptiert, den Kampf einzustellen. Hörsing ist jedoch gegen die in Aussicht gestellte Straffreiheit und für “äußerste Strenge”, ebenso plädiert Severing gegen Verhandlungen und für Fortsetzung der Polizeiaktion. In zahlreichen Eingaben drängen zudem Arbeitgeberverbände, Konservative und Konterrevolutionäre auf Durchgreifen, die Presse ergeht sich in Hetze gegen “lichtscheues Gesindel” (Berliner Tageblatt) und “die unverkennbar slawischen Gesichter” der Aufständischen (Hallische Zeitung).

Hoelz’ mobile Kampfgruppe mit ihren Lastwagen und Pferdegespannen, durch einerseits Streik und andererseits beginnende Verhaftungen nunmehr auf etwa 1.500 Mann angewachsen, greift am 25. März abends erneut Hettstedt an, überrennt die Schupo, zieht dann aber nach Sangerhausen ab um sich zu sammeln und nach Halle durchzustoßen, wo schwere Waffen beschafft werden sollen. Auch in Sangerhausen und Umgebung haben sich Aktionsausschüsse gebildet und bewaffnete Trupps aufgestellt. Mit ihnen besetzt Hoelz’ Truppe am 26. März die Stadt, kann einem eintreffenden Panzerzug stundenlang Widerstand leisten, muss aber schließlich nach Schraplau abziehen.

Währenddessen trifft Poninski auf heftigen Widerstand und Folte ist zunächst außerstande zu helfen. Erst am 27. vereinigen sich die Polizeitruppen und gehen nun so vor, wie sie es im Weltkrieg und seither taten: “die Aufständischen werden eingekesselt, mit gezieltem Artilleriefeuer zusammengeschossen und dann aufgerollt” (Langer). Parallel beginnen im großen Stil Verhaftungen und Erschießungen. Doch ist der Aufstand nicht vorüber: In Querfurt ist ab 26. März Generalstreik, Arbeiterpatrouillen kontrollieren die Stadt bis 28. März. Nachdem Nebra am 23. März von der Schupo geräumt wird, ist die Umgebung bis 1. April Sammelgebiet. Das Geiseltal ist ab 24./25.März in Arbeiterhand, ein Schupovorstoß scheitert.

Am 25. März nehmen in Halle trotz Ausnahmezustand etwa 10.000 Menschen an einer Kundgebung für die Märzgefallenen teil, nach der ein großer Teil der kampfbereiten Arbeiter in Richtung Leuna abzieht und den Streik in Halle damit entscheidend schwächt. Am folgenden Tag werden Anschläge auf zwei Hallenser Zeitungen verübt, die besonders scharf gegen Streik und Aufstand Stimmung gemacht haben. Doch Terror und Bandenkampf verprellen viele, nicht zuletzt weil das SPD-Framing der “Verbrechensbekämpfung” und die Generalstabs-Anweisungen aus der VKPD-Parteizentrale zusammenwirken und die Aufständischen isolieren. In der Region teilen auch SPD, USPD und Gewerkschaften die “Befürchtungen der Arbeiterschaft gegenüber der Überschwemmung mit Polizei”, wie sie gegenüber Hörsing erklären, sanktionieren aber nach dessen Zusicherung, es werde sich auf die Verfolgung von Kriminalität beschränkt, schließlich den Polizeieinsatz.

Auch im kommunistischen Lager ist die Unterstützung mager. Guralskis Versuch auf einem überregionalen Treffen von VKPDlern und KAPDlern in Dresden den großen Aufstand zu beschließen findet wenig Widerhall. Dennoch kommt es am 26. März zum Generalstreik in Gotha, Suhl und Zella-Mehlis in Thüringen, wo auch Verhaftungen verhindert werden können. Am 25. März demonstrieren Zehntausende in Essen, es finden im Ruhrgebiet weitere Solidaritäts-Aktionen statt, und am Ostersamstag, dem 26. März, wird in zahlreichen Werken gestreikt, darunter den Metallbetrieben von Remscheid und den Zechen in Gelsenkirchen. Die blutige Eskalation steht im Ruhrgebiet, anders als in Hamburg und Mitteldeutschland, noch bevor.

Max Hoelz mit kämpfenden Arbeitern im Mansfelder Land; kommunistischer Aufruf zur Kundgebung auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg; Erklärung des Belagerungszustands in der Eisleber Zeitung.

Märzkämpfe 1921, Teil I – 20. Februar: Kommunistischer Wahlerfolg in Mitteldeutschland
Märzkämpfe 1921, Teil II – 24. Februar: VKPD-Führung legt Ämter nieder
Märzkämpfe 1921, Teil III – 1. März: Kriminalisierung von Armut und Widerstand
Märzkämpfe 1921, Teil IV – 13. März: Vereitelter Anschlag auf die Siegessäule
Märzkämpfe 1921, Teil V – 19. März: Polizei marschiert in Mitteldeutschland ein
Übersicht über die bisherigen Postings zur Revolution in Deutschland 1918-23

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  1. classless Kulla » Blog Archive » Märzkämpfe 1921, Teil VII – 29. März: Leuna gestürmt, Tote auch im Ruhrgebiet, in Mannheim und Karlsruhe Says:

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