Clickbait-Megakrise!

August 2nd, 2022

Unablässig knattert die Schlagzeilenmaschine: Niemand will mehr arbeiten, junge Leute sind zu gepampert und spinnen rum, überall “fehlen” mysteriöserweise Arbeitskräfte, öffentliche Infrastruktur ist eh rettungslos hinüber, Autos und private Versorgung sind viel aufregender, nur unser aktuelles Schnäppchen schützt sie vor Inflation und Bolschewismus, Pandemieschutz ist sinnlos oder gleich kontraproduktiv, Masken sind Freiheitsberaubung und alle sehen das so, vielleicht stimmt das mit dem Klima doch nicht und die Unwetter kommen von den Grünen, Atomkraftwerke sind vielleicht doch nicht so schlimm und Windkraftwerke die eigentliche Umweltzerstörung, veganes Essen und Kiffen zerfressen vielleicht Körper und Geist, die Nazis waren ein geheimnisvoller Schadenszauber gegen die deutsche Nation, die arme Polizei kriegt immer alles ab und überall lauern doch aber Bedrohungen, Arme sind faul und stellen Ansprüche, Reiche sind großzügig und visionär, Steuern und jegliche Beschränkung des Geschäfts sind DDR 2.0, aus anderen Ländern kommen die Probleme, Fremde sind kriminell und betrügen, echte Einheimische treudoof und tüchtig, Trans ist nur Einbildung und Gendern reine Schikane, die sollen sich alle nicht so haben und sexuelle Ausbeutung ist schon auch irgendwie geil, Männer und Frauen sind nun mal so und so und waren es auch schon immer, Minderheiten tragen mindestens Mitschuld an ihrer Diskriminierung – und immer wieder das vereinnahmende “Wir”, “wir” können uns dieses oder jenes nicht mehr leisten, “wir” sind eh viel wohlhabender als gedacht, sind alle gleichermaßen verantwortlich und müssen bei uns selbst anfangen, müssen uns fragen, was wir fürs Kapital tun können, we’ll never walk alone and we are the champions, einer trage des anderen Boot.

Social Media hat das sicherlich weiter eskaliert, die Strickmuster sind aber viel älter: Einzelfälle aufblasen, reale Mehrheiten verschleiern, Geschichte und Zeitgeschichte auf wenige Personen herunterbrechen, Wissenschaft über- oder gleich komplett fehlinterpretieren, die Interessen von Staat und Kapital naturalisieren, Arbeitskräfte zum Bekenntnis für diese oder jene Kapitalfraktion nötigen und sie entlang aller denkbaren Unterschiede gegeneinander aufhetzen, die Hetze verharmlosen – das alles gern als Frage, Zweifel, mutiger Tabubruch, scharfzüngiger kabarettistischer Heroismus der Meinungsfreiheit.

Und das ist gar nicht unbedingt manipulativ im Sinne von Entscheidungen, die getroffen werden, es ist schlicht profitabel im doppelten Sinne: einerseits direkt durch mehr Clicks und damit Werbeeinnahmen, andererseits aber auch vermittelt durch allgemeine Verstärkung der herrschaftlichen Diskurshegemonie und der Abhängigkeit von dieser Art öffentlicher Kommunikation. Es fördert die Konkurrenz der Arbeitskräfte und untergräbt ihren Zusammenschluss.

Das Erstaunliche ist, wie schlecht das trotz all der Mittel, trotz des ganzen Aufwands und trotz der Hegemonie verfängt, bei wie vielen Themen es weiterhin stabile Mehrheiten in die Gegenrichtung gibt, wie viele Leute auch in den scheinbar verlorensten Winkeln deutlich widersprechen. Und wiederum erstaunlich ist aber, dass sich diese realen Mehrheiten kaum organisiert bekommen, dass sie sich immer wieder von der politischen Repräsentationsebene verschaukeln lassen und sich bei allem, was sie an Hetze erkennbar durchschauen, dennoch einreden lassen, sie wären nicht die Mehrheit und könnten das, was sie für richtig halten, deshalb nicht durchsetzen.

Geben wir dem Quatsch doch den letzten Schubs: Widersprechen, die Widersprüche betonen, das Richtige trotzdem sagen und tun, die Konkurrenz überwinden, uns zusammentun und die Produktionsmittel übernehmen!

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