9. November

November 9th, 2024

Am 9. November 1918 siegt in Berlin mit der Besetzung der Innenstadt durch eine Million Streikende die Revolution, die wenige Tage zuvor nach reichsweit monatelanger Streikbewegung und wochenlang zunehmenden Kundgebungen und Versammlungen offen ausgebrochen war. Sie zerschlägt alle Pläne der kaiserlichen Regierung und des neuen Reichskanzlers Ebert für einen bloßen Waffenstillstand und eine Fortführung der Monarchie unter einem Thronfolger, beendet damit auf einen Schlag den Ersten Weltkrieg und das Kaiserreich.

Der neue Staat firmiert als Deutsche Sozialistische Republik, erstes Staatsoberhaupt ist bis Dezember der Vorsitzende des Vollzugsrats des Arbeiter- und Soldatenrates Groß-Berlin Richard Müller, als Kopf der Revolutionären Obleute wohl der wichtigste Organisator der Massenstreiks während des Krieges. Bis zur Reichstagswahl im Januar 1919 ist Deutschland formal eine Räterepublik, gestützt auf die Arbeiter- und Soldatenräte, die praktisch überall auf lokaler und regionaler Ebene die Macht übernommen haben. Es wird viel Täuschung und Selbsttäuschung, einen riesigen Wahlbetrug und fünf Jahre blutiger militärischer Konterrevolution mit Tausenden Toten brauchen um das wieder rückgängig zu machen. Aus dieser militärischen Konterrevolution entsteht personell und ideologisch direkt der Nationalsozialismus.

Am 9. November 1923 unternehmen Hitler und Ludendorff in München von Gewaltakten begleitet einen Putschversuch um die fünf Jahre der Revolution endgültig rückgängig zu machen und die Republik durch eine faschistische Autokratie zu ersetzen. Bayern ist jedoch schon seit 26. September eine völkisch-antisemitische Diktatur unter Generalstaatskommissar Gustav von Kahr, der die Nazis als seine Fußtruppen für einen “Marsch auf Berlin” einsetzen wollte. Nun da die Reichswehr in “Sowjetsachsen” und im roten Thüringen einmarschiert ist, zudem von Kahrs Bayerische Volkspartei an der neuen Reichsregierung beteiligt wird, wird das Vorpreschen der Hitlerleute von der Münchner Polizei gestoppt.

Während Hitler kurzzeitig ins Gefängnis muss und die NSDAP verboten wird, kann sie mithilfe der Vereinigten Völkischen Liste nach der Wahlfarce in Thüringen Anfang 1924 erstmals eine Landesregierung tolerieren und dort sofort wieder legal wirken. Wilhelm Frick, ab 1930 in Thüringen Staatsminister für Inneres und Volksbildung, bezeichnet die Revolution von 1918 als den “schändlichsten Volksverrat der Weltgeschichte”.

Am 9. November 1938 organisieren SA und SS reichsweite Angriffe auf jüdische Menschen, zwischen 7. und 13. November werden Tausende Geschäfte, Synagogen und Wohnungen zerstört und verwüstet, Tausende Juden werden deportiert, etwa 1300 kommen ums Leben. Der historische Verweis auf den “Novemberverrat” von 1918, der nun noch offensiver getilgt werden soll, ist ständiger Teil des ideologischen Repertoires der Nazis, mehr als alles andere werfen sie den Juden vor, hinter der Revolution und dem Klassenkampf zu stecken.

Aber auch der Rückbezug auf den Stifter der deutschen Nationalkirche wird angeführt. Der evangelische Landesbischof von Thüringen, Martin Sasse, schreibt: „Am 10. November 1938, an Luthers Geburtstag, brennen in Deutschland die Synagogen. Vom deutschen Volk wird zur Sühne für die Ermordung des Gesandtschaftsrates vom Rath durch Judenhand die Macht der Juden auf wirtschaftlichem Gebiet im neuen Deutschland endgültig gebrochen und damit der gottgesegnete Kampf des Führers zur völligen Befreiung unseres Volkes gekrönt. … In dieser Stunde muss die Stimme des Mannes gehört werden, der als der Deutschen Prophet im 16. Jahrhundert aus Unkenntnis einst als Freund der Juden begann, der, getrieben von seinem Gewissen, getrieben von den Erfahrungen und der Wirklichkeit, der größte Antisemit seiner Zeit geworden ist, der Warner seines Volkes wider die Juden.“

Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Mecklenburgs erklärt am 16. November: „Kein im christlichen Glauben stehender Deutscher kann, ohne der guten und sauberen Sache des Freiheitskampfes der deutschen Nation gegen den jüdischen antichristlichen Weltbolschewismus untreu zu werden, die staatlichen Maßnahmen gegen die Juden im Reich, insbesondere die Einziehung jüdischer Vermögenswerte bejammern. Und den maßgebenden Vertretern von Kirche und Christentum im Auslande müssen wir ernstlich zu bedenken geben, daß der Weg zur jüdischen Weltherrschaft stets über grauenvolle Leichenfelder führt.“

Am 9. November 1989 öffnet die SED die Berliner Mauer um die Revolution gegen ihre Parteiherrschaft abzuwürgen, die wenige Tage zuvor nach landesweit wochenlang wachsenden Demonstrationen offen ausgebrochen war, als sich 400000 Menschen, darunter zahlreiche Parteimitglieder, auf dem Alexanderplatz versammelten. Im Sog des vom Westen mit allen Mitteln angeheizten nationalistischen Taumels gewinnen schließlich weder die SED noch die Revolution, sondern vor allem das westdeutsche Kapital.

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