classless Jahresrückblick 2024: Auf uns besinnen!

December 30th, 2024

ICH SO

Ich war betroffen von Tod und Verlust, in extremem Maß auch vom Zerfall der öffentlichen Infrastruktur und von der Krise der Linken. Das alles hat meine Handlungsspielräume und Kapazitäten noch weiter eingeschränkt, als sie das ohnehin schon waren, und besonders mein öffentliches Wirken beeinträchtigt.

Es gab dennoch großartige Veranstaltungen (so in Jena auf dem Marktplatz, siehe Bild), aber insgesamt einfach viel zu wenige. Ich konnte weiter etwas an die deutsche Revolutionsgeschichte erinnern, sprach aber nicht ein Mal über Antisemitismus, die AfD, Burschis, den Rausch, die Polizei, die DDR, Betriebsbesetzungen. Auch den neuen Vortrag zur Wissenschaft hab ich nur einmal halten können, Musikalisches ist gar nicht passiert. Ich konnte für iz3w die Situation in Argentinien und Allgemeines zum Klassenkampf zusammenfassen, doch blieb das die einzige gedruckte Veröffentlichung dieses Jahr. Ich freue mich über die privaten Spenden, die mich über Wasser halten, freue mich aber viel, viel mehr über Auftritte, Aufträge, kurz: über Möglichkeiten, mich für die Sache nützlich zu machen.

INSGESAMT SO

Meine Genugtuung darüber, vieles an der Gesamtlage kommen gesehen zu haben, könnte kaum geringer sein – wie gern hätte ich mit dem, was ich in früheren Jahresrückblicken konstatierte, falsch gelegen! Diese Zeitdiagnosen waren aber auch keine Zauberei: Intensivere Staatenkonkurrenz begünstigt nun mal wachsende Rüstungsbudgets, und die sorgen wiederum für verstärkte Suche nach Anwendungsmöglichkeiten. Dahinter treten andere Erwägungen so weit zurück, wie sich das gegen die Bevölkerung durchsetzen lässt bzw. soweit die Ideologieproduktion die passende Begleitmusik zu erzeugen vermag.

Der Rest ist für die meisten Länder schnell erzählt: Bürgerliche Parteien lösen andere bürgerliche Parteien ab, alle reklamieren sie die Arbeitskräfte für sich, aber es sind nicht unsere Parteien, und diese käufliche ist nicht unsere Demokratie. Natürlich ist offener Faschismus schlimmer, nur ist einerseits der Übergang viel häufiger schleichend als abrupt, und gerade diese laufende Faschisierung des Normalbetriebs, in der ein sozialdemokratischer Kanzler für verschärfte Abschiebung wirbt, lebt davon, dass sich genügend Arbeitskräfte vom kleineren Übel zum Stillhalten überreden lassen statt auch diesem so viel wie möglich abzutrotzen. Wichtiger als von irgendeinem Feldherrenhügel oder der Seitenlinie aus gewichtige Analysen und Prognosen darüber abzusondern, welche Herrschaft vielleicht doch nicht ganz so schlimm sein wird, bleibt der Einsatz dafür, Herrschaft insgesamt zurückzudrängen und irgendwann loszuwerden.

TO DO

Mehr denn je gilt es also, die Realität der Klassen sichtbar zu machen, zu benennen, zum politischen Gegenstand zu machen. Einerseits heißt das, sich immer zu fragen, wo genau in den Konflikten und Krisen das Bürgertum steckt, speziell eben auch das deutsche, was seine Staatsgewalt macht und für Ziele verfolgt, welche seiner ideologischen Luftballons Ausreden wofür sind, welche Großerzählungen womit befeuert werden – Ideologie also als Ausdruck und nicht als Ursache der Verhältnisse zu behandeln. (VW etwa gehört mit 150 Milliarden Euro Schulden zu den am höchsten verschuldeten Unternehmen der Welt, der Dieselskandal wird VW ca. 32 Milliarden gekostet haben, trotzdem weist die VW-Bilanz 2023 einen Nettogewinn von fast 16 Milliarden Euro aus, wovon 4,5 Milliarden ausgeschüttet wurden, fast die Hälfte an den Porsche-Piëch-Clan – sie müssen keine “Verluste vermeiden“, sie wollen höhere Gewinne!)

Andererseits heißt es aber vor allem maximal zu verstärken, was die anderen Arbeitskräfte tun, wo sie sich wogegen genau wehren, wo sie sich woran erinnern, wo sie von wem und warum unterstützt werden (und zu welchem Preis), wie ihre Lage und ihre Kämpfe international verbunden sind und verbunden werden können, die ansteckende Selbstermächtigung von Streikkundgebungen und Picket Lines verbreiten. Also nicht einfach mehr über ‘Klassenpolitik’ reden, sondern uns gegenseitig bei der Organisation als Klasse helfen, die “Einheit der Klasse“ nicht intensiver beschwören sondern herstellen, das heißt, uns am Arbeitsplatz und im Wohnviertel zusammentun, Arbeitskämpfe von anderen unterstützen, bisher Ausgeschlossene einbeziehen, füreinander mitkämpfen, in den Parteien und Organisationen diejenigen wählen und unterstützen, die sich für diese Zusammenschlüsse einsetzen. (Mit großer Freude sehe ich die linken Gewerkschafts-Kandidaturen für die bevorstehende Bundestagswahl u.a. in Dresden, Eisenach, Salzgitter, Berlin, und ohne Zweifel war einer der besten politischen Reden des Jahres die erste von Nam Duy Nguyen im sächsischen Landtag, in der er die Realität von Abschiebungen und Rassismus der bürgerlichen Propaganda entgegenhielt.) Nicht irgendeine allgemeine gesellschaftliche Spaltung beklagen, sondern die forcierten thematischen Polarisierungen nicht mitmachen und die realen Konflikte zuspitzen, über unsere Kämpfe reden, unsere Forderungen, unsere Organisation, unsere Vorschläge, Perspektiven – die Verwicklung in ihre Scheiße zurückweisen, sich nicht ihren Kopf zerbrechen, ihre Vereinnahmung durchkreuzen.

Die Mehrheiten sichtbar machen, die in staatlichen und privatwirtschaftlichen Medien, in der Auswahl bürgerlicher Parteien und ‘engagement heavy topics‘ kaum zu erkennen sind, die nur manchmal aufblitzen, wenn Millionen gegen Rassismus und Faschismus auf die Straße gehen, wenn im Jahresverlauf Hunderttausende streiken, wenn Umfragen mal so gestellt werden, dass sie bestimmte Ergebnisse überhaupt abbilden, wenn sich Menschen helfen, öffnen, annähern.

Ja, Böllern ist ziemlich schrecklich, aber das Thema ist Teil des bürgerlichen Diskurses gegen rücksichtslose Arme, “denen es ja wohl doch zu gut geht“, und gegen ‘Ausländerkriminalität’, kaum jemals geht es dabei um Einzelhandelskonzerne und Sprengstofffabriken. Ja, es gibt lauter spezifische Betroffenheiten von Kürzungspolitik, aber Frauenhäuser sind nicht wegen Transpersonen so schlecht finanziert, und diese sind ebenso vom Mangel an Mitteln, von Gewalt und spezifischen Ausschlüssen betroffen. Es muss um kostenlose Gesundheitsversorgung für alle gehen, um Schutz und Prävention für alle, und es muss laut und deutlich der sich entlang der Themen Abtreibung, Migration, Gender und Erziehung faschisierenden Bevölkerungspolitik entgegengetreten werden.

Vor allem aber muss das ganze Bürgertum angegriffen werden, sie gehören alle enteignet und entmachtet.

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