Wen würde Luther denn nun wählen?

July 26th, 2017

Erstmal: würde er wählen? Wäre er nicht von der Rechtmäßigkeit jeder (rechtgläubigen) Obrigkeit überzeugt und vor allem den (rechtgläubigen) Landesherren nibelungentreu zugeneigt – und würde beten und missionieren statt zu wählen? Wer würde andersherum auf ihn im Wahlkampf verzichten wollen?

Wenn die NPD ihn nun für sich reklamiert (Luther-Konterfei mit “Ich würde NPD wählen – denn ich könnte nicht anders”) und viele Linke dieser Zuordnung zustimmen, geht das in bezug auf Luthers Frühnationalismus und viele seiner Feinderklärungen natürlich auf, auch in bezug auf die unter dem Nationalsozialismus freiwillig gleichgeschalteten Evangelischen Landeskirchen, aber: Luther war auf der Seite der Obrigkeit und vor allem der bürgerlichen Klasse – ihm wäre die NPD zu sehr Partei des Pöbels und der Ungebildeten gewesen.

Was er hauptsächlich vertrat – die gegen Fremdherrschaft, Geldwechsler, aufmüpfige Elemente über ein Bekenntnis zusammengerückte nationale Gemeinschaft – findet sich heute fast im ganzen Parteienspektrum. Fast alle vertreten sie ja die Nation, die zu nicht unwesentlichen Teilen auf Luther als einen der wichtigsten, wenn nicht den wichtigsten Ahnherren gegründet wurde.

Luther, als staatlich geförderter Theologieprofessor, Bestsellerautor und Sohn eines Bergbauunternehmers, würde heute wohl die Polizei anfeuern, deutsches Bürgertum gedanklich vom “Börsencasino” trennen und nur Letzteres für Krisen und Ausbeutung anprangern; er würde die Nation von Türken und Roma, von muslimischen Armeen und ihren Vorfeldorganisationen bedroht sehen und das als Glaubensprüfung verstehen, gegen welche die Gemeinschaft enger zusammenrücken müßte, sich von Teuflischem säubern, es aus ihrer Mitte vertreiben oder vernichten; er würde so wie damals schon seinen wohlhabenden Hintergrund verschleiern und sich als “Mann des Volkes” präsentieren.

Bezüglich der Juden würde er sich wohl nicht durchfinden, da im heutigen Deutschland Judenhaß überwiegend versteckt und verdreht auftritt, sich zwar niemand mehr die Mühe macht, die Konversion der Juden zum Christentum zu verlangen, aber gleichzeitig auch praktisch niemand mehr öffentlich die Maßnahmen vertritt, die andernfalls gegen sie laut Luther zu ergreifen sind und die unter aktiver Mitwirkung der von ihm inspirierten Kirchen schon ergriffen wurden: ihre Vertreibung, Ermordung, die Zerstörung ihrer Synagogen usw.

Das heißt, neben den erwartbaren allgemeinen Differenzen (Katholiken, Juden, “Ehe für alle”, überall dieser Pöbel, überhaupt: Wahlrecht für alle!) sähe die Positivliste wohl ungefähr so aus:

📜✍️✔️Für die Feier des bürgerlichen Eigentums, für Möllemann und für die Verachtung des faulen Pöbels – die FDP.
📜✍️✔️Fürs Schulzens Gepolter gegen das “Börsencasino”, für Olaf Scholz und “Heuschrecken”-Müntefering – die SPD.
📜✍️✔️Für die Wahlmonarchie – CDU.
📜✍️✔️Für die Herrschaft der besonders national gesinnten Unternehmer und Professoren, für die traditionelle Fortpflanzungsfamilie – die AfD.
📜✍️✔️Für Palmer, Kretschmann und den Kosovokrieg – die Grünen.
📜✍️✔️Für Lafontaines und Wagenknechts “Gastrecht” sowie für Gregor “95 Thesen gegen das Finanzkapital” Gysi – die Linke.


Übersicht zu den von Luther unter Anwendung seiner Theologie verschärften Feindbildern, aus meinem Vortrag “LUTHER AUF DAS MAUL schauen – Revolution und Reformation in Mitteleuropa”)

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