Frauen in der Revolution
March 8th, 2019Vor hundert Jahren wurde der Internationale Frauentag in Deutschland nicht gefeiert. Die ihn anderswo begingen, die sozialistischen Frauen, waren hier recht vollständig in die gerade krass eskalierenden Konflikte verwickelt – auch die berühmte Rede der Kommunistin Clara Zetkin, die auch den Frauentag in Deutschland zu etablieren versuchte, vorm außerordentlichen Parteitag der USPD in Berlin am 4. März 1919 (“Ich will dort kämpfen, wo das Leben ist”) dreht sich ganz um den vorläufigen Höhepunkt der revolutionären Auseinandersetzungen und gar nicht um die Frauenfrage.
In der Rückschau auf die Entwicklung der Frauenrechte wird die Revolution selbst meist fast übersprungen (z.B. hier): der Rat der Volksbeauftragten verleiht den Frauen netterweise am 12. November 1918 das Wahlrecht, dann gibt es die Reichstagswahlen, 37 der 421 der Abgeordneten sind Frauen, und Marie Juchacz spricht als erste Frau vorm Parlament, wo sie klarstellt, dass sie wegen der Revolution dort steht, dass den Frauen das Wahlrecht zu Unrecht vorenthalten worden war und sie gar nicht dankbar zu sein haben. Sie und Rosa Luxemburg sind die beiden Frauen, die in der Revolutionserzählung vorkommen, und das war’s meistens.
Die ersten reichsweiten Wahlen, bei denen Frauen gewählt werden konnten, waren jedoch schon die zum Reichsrätekongress Ende 1918. Zwei Frauen wurden gewählt, deren Namen heute kaum jemand kennt – Klara Nowak (SPD, Dresden), Käthe Leu (USPD, Danzig) -, und zweitere ergriff als erste Frau vor einem reichsweit gewählten demokratischen Organ das Wort. Das Berliner Tageblatt schrieb darüber: “Sie spricht mit einer bemerkenswerten Fertigkeit für den Ausbau der revolutionären Errungenschaften, der aber nur durch Einigkeit möglich sei.” (Sie starb 1933 an den Folgen eines Schocks nach der Verhaftung ihres Mannes, des Danziger Parteisekretärs Georg Leu.)
Schon am 10. November 1918 waren bei den Berliner Rätewahlen für die Vollversammlung im Zirkus Busch Frauen wählbar – die erste deutsche Wahl mit aktivem und passivem Wahlrecht für Frauen. Am selben Tag wurde auch die erste Frau Ministerin in Deutschland – Minna Fasshauer wurde im Rat der Volkskommissare der Sozialistischen Republik Braunschweig zuständig für die Volksbildung und setzte sich in ihrer kurzen Amtszeit bis Februar 1919 für eine Säkularisierung und Entmilitarisierung der Schulen (“Kulturgeschichte statt Kriegsgeschichte”) ein. (Nächste Ministerinnen übrigens: Hilde Benjamin 1953 in der DDR Justiz, bundesweit in der BRD Elisabeth Schwarzhaupt 1961 Gesundheit). Wir werden Minna Fasshauer auf dieser Seite später noch als Mitglied sowohl der KAPD und FAUD und als militante Kämpferin gegen Kirche und bürgerliche Herrschaft begegnen. (Später war sie im antifaschistischen Widerstand und am Aufbau der KPD in der BRD beteiligt.)
Zuvor hatte Minna Fasshauer nicht nur die Novemberrevolution in Wolfenbüttel angeführt, wie viele andere Frauen war sie bereits seit 1917 aktiv in der Streikorganisation – so etwa auch Sarah Sonja Lerch, maßgebliche Organisatorin des Januar-Massenstreiks 1918 in Bayern. Wie sie hatten Tausende Frauen vor und während der Revolution Streiks vorbereitet, während die Männer arbeiteten, oder sie an ihren eigenen Arbeitsplätzen organisiert (z.B. die 2100 Wäscherinnen in den oberschlesischen Erzgruben, die vom 1. Juli bis 7. September 1918 gegen ihren 11stündigen Arbeitstag streikten, der ihnen keine Zeit für die auch an ihnen hängende Hausarbeit ließ), waren bei den in der Not immer aufwendigeren Einkaufsgängen ohnehin ständig auf der Straße und begannen dort zahllose Protestaktionen (in Russland hatte so 1917 die Februarrevolution begonnen: in einer Brotwarteschlange), hatten in den Arbeitervierteln und -siedlungen Rückzugsräume und Verstecke organisiert, schließlich auch Unterstützungsstrukturen. Die Vorläuferorganisation der Roten Hilfe wurde im Mai 1919 als “Frauenhilfe für politische Gefangene” in Bayern zunächst als Gewerkschaftsorganisation gegründet, für die die spätere USPD-Landtagsabgeordnete Rosa Aschenbrenner (noch später KPD, KPO und wieder SPD) öffentlich warb. Cläre Casper, eine der zwei Frauen, die es bis in die Streikleitung der Revolutionären Obleute vorm 9. November schaffte, versteckte Waffen für den Aufstand in ihrer Wohnung – nach der Revolution war sie beim Arbeiterrat nur Sekretärin, wurde dafür auch geringer entlohnt.
Sozialdemokratische Frauen ziehen während des Kriegs vor den Parteivorstand – Filmszene aus “Solange Leben in mir ist” (DEFA, 1965)
Die Revolution blieb eine von Frauen maßgeblich vorbereitete und getragene Männerveranstaltung, die Beteiligung der Frauen bildet sich schon in den Organisationen nicht ab, erst recht nicht in der Geschichte. Die Männer traten mit der gleichen Selbstverständlichkeit für politische Gleichstellung wie für die ökonomische Ungleichbehandlung auf. Das sexistische Rollback, das der zunächst während der Industrialisierung unterschiedslosen massenhaften Beschäftigung von ungelernten Arbeitskräften, auch von Frauen und Kindern, durch die Bildung eines Stamms von besser bezahlten “Familienernährern” ab Ende des 19. Jahrhunderts entgegenwirkte, hatte sich gerade auf die besonders gut organisierten und streikfähigen Facharbeitskräfte durchgeschlagen, die nun die Räte, die Obleute und damit die Revolution dominierten. Als u.a. in der Presse der Rätebewegung nach Beginn der Revolution begonnen wurde, laut über die mangelnde Einbeziehung und Berücksichtigung der Frauen nachzudenken, war es für einen grundsätzlichen Umschwung schon zu spät und die Vorstellungen blieben auch bei der Einrichtung von Frauen-Hausarbeitsräten und kollektiver Organisation der (immer noch allein weiblich gedachten) Hausarbeit stehen. (Einen Hausfrauenrat gab es vom November 1918 bis 1920 in Jena, gegründet von der 2. Vorsitzenden des Arbeiter- und Soldatenrates Gertrud Morgner, KPD.)
Weitergehende Kritik am Reproduktionsregime war schlicht so gut wie noch nicht formuliert. Eine ihrer wichtigsten Grundlagen war mit der Theoretikerin der “permanenten ursprünglichen Akkumulation” Rosa Luxemburg gestorben und wurde erst in den 1970ern, als der Feminismus im Westen und die realsozialistische Geschlechterpolitik im Osten die Reproduktionssphäre bereits massiv zu verändern begannen, u.a. von Silvia Federici wiederbelebt. Heute können wir sie aufgreifen und klarmachen, dass zur Organisation der Arbeitskräfte auch die Organisation der (meist unbezahlten) Reproduktionsarbeit gehört, die die für den Kapitalismus wichtigste Ware herstellt: die Arbeitskraft. Nur indem wir die Kämpfe und Streiks verbinden, die Grenzen, Diskriminierungen und Abwertungen überwinden, die Konkurrenz zwischen uns aufheben, können alle zusammenfinden, die das gleiche Interesse an der Verbesserung ihrer Lebensbedingungen teilen, und sich die Produktionsmittel gemeinsam aneignen, damit endlich alle kriegen, was sie brauchen.
Empfohlene Literatur
Dania Alasti: Frauen in der Novemberrevolution (Münster 2018)
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