Antisemitismus in der Reichswehr

July 26th, 2019

“Auf allen Gebieten sehen wir nicht Fortschritte, sondern Rückschritte. Die Reaktion erhebt ihr Haupt immer kühner, die Gegenrevolution marschiert. (…) Die Offiziere wollen das Programm, die Hohenzollern zurückzurufen, durchführen. Sie werden es nicht durchführen können, weil ihnen die Kraft fehlt. Aber inzwischen verbreiten sie das Gift im Volke. Gegen die Juden wird gehetzt in einer geradezu infamen Weise. Der Ausschuß für Volksaufklärung, die deutsche Erneuerungsgemeinde, der Deutschvölkische Bund, der Reichshammerverband verbreiten in Massen Flugblätter in der Eisenbahn, auch in Kasernen. In diesen Flugblättern wird direkt aufgefordert, ‘die Juden zu vernichten, alle zu töten, die sich gegen die göttliche Ordnung erheben’. (…) Gegen Zeitungen der Arbeiter, gegen kommunistische, gegen unabhängige Druckschriften ist man schnell bei der Hand. Daß dieselbe Tatkraft aufgeboten worden ist gegen diejenigen, die eine Pogromhetze in Szene setzen wollen, davon haben wir nichts gemerkt.”

So Hugo Haase, Fraktionsvorsitzender der USPD und noch drei Jahre zuvor Teil der SPD-Parteiführung, in der (bis September noch immer in Weimar tagenden) Nationalversammlung am 26. Juli 1919 während einer Debatte zu den jüngsten antisemitischen Vorfällen in der Armee.

Anfang Juli hatten sich Reichswehrsoldaten an Ausschreitungen gegen jüdische Geschäfte in Berlin beteiligt, und die Hetze aus der Armeeführung wurde im Zuge des konterrevolutionären Ausgreifens immer deutlicher. Reichswehrminister Noske (SPD) verurteilte daraufhin zwar “jede Art von antisemitischen Treibereien in den Truppen”, verwies aber auf die Schwierigkeit ihrer Verfolgung, dass dabei “die Polizei nicht immer so funktioniert, wie das wünschenswert ist.”

Zu dieser Zeit laufen die verschiedenen antisemitischen Hauptstoßrichtungen noch eher unverbunden nebeneinander her (ganz kurz: Militär gegen angebliche jüdische Kriegsdrückerei und “Dolchstoß”, Staatsapparat und Junker gegen Umsturz und Bolschewismus, Bürgertum gegen Kriegsgewinnlertum und Schieberei der anderen). Im Laufe der kommenden Monate entsteht aus ihnen nach und nach die große Erzählung von der “jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung” als Kern der nationalsozialistischen Weltanschauung. Hitler, der als Truppenbibliothekar massenweise einschlägige Texte der unterschiedlichen Richtungen liest, wird für die ideologische Synthese zur zentralen Figur.


Hugo Haase 1919 in Weimar, via

Rede zitiert nach “Im deutschen Reich. Zeitschrift des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens”, Ausgabe September 1919, S. 374

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