Märzkämpfe 1921, Teil III – 1. März: Kriminalisierung von Armut und Widerstand
March 1st, 2021Am 1. März 1921 geben die Direktionen der Leuna-Werke und des Mansfeld-Konzerns bekannt, dass die Mitnahme von Holz und Abfällen aus den Betrieben, Gruben und Baustellen ab sofort unter Strafe steht. Am selben Tag wird das auslaufende “Gesetz zur Entwaffnung der Bevölkerung” vom 7. August 1920, das vor allem Arbeiter zur Waffenabgabe bewegen sollte, praktisch aber ein Vielfaches an teils auch schweren Waffen (weitgehend straffrei) bei konterrevolutionären Verbänden erfasst, bis zum 1. Juli verlängert.
Beide Maßnahmen gehören zum Vorlauf einer seit Jahreswechsel vorbereiteten Polizeioffensive gegen Arbeiterwiderstand in Mitteldeutschland. Während erstere Maßnahme sofort Empörung und Handgreiflichkeiten bei Kontrollen an den Werkstoren und Bahnhöfen auslöst, die starke Leuna-Sektion der KAPD-Betriebsorganisation AAU gemeinsame Mitnahmen anstiftet und es zu Entlassungen kommt, hat die zweite Maßnahme keine unmittelbare Wirkung – was genau die beabsichtigte Wirkung ist. Polizeiführung und Innenministerien gehen davon aus, dass immer noch Bewaffnete ihre Waffen nicht freiwillig abgeben werden, was der Staatsgewalt die Möglichkeit gibt, sie in Kämpfe zu verwickeln und so gleichzeitig zu entwaffnen und ihren Widerstand zu brechen.
Seit Sommer 1920 versuchen die Unternehmensführungen im Mitteldeutschen Industrie- und Bergbaurevier, allen voran der Deutsche Braunkohlen-Industrie-Verein, durch Aussperrungen der wachsenden Streikbereitschaft zu begegnen, seit Ende 1920 häufen sich ihre Forderungen an Regierung und Verwaltung, mit verstärkter Polizeiaktivität und notfalls Streikverboten nachzuhelfen: am 14. Dezember 1920 verlangt das der Hallesche Bergwerkverein, am 21. Dezember der Bergbauliche Verein Bitterfeld, am 21. Januar 1921 die Landwirtschaftskammer, am 4. Februar der Oberbürgermeister von Eisleben im Sinne des Mansfeld-Konzerns und am 7. Februar das Leuna-Direktorium. Gemeinsames Ziel ist, den in der Revolution erkämpften Achtstundentag rückgängig zu machen bzw. seine Durchsetzung zu verhindern sowie betriebliche Mitbestimmung (wieder) loszuwerden. Löhne sollen trotz steigender Preise eingefroren werden, Prämiensysteme die Arbeitsintensität erhöhen.
Anfangs soll nach den Plänen des preußischen Inneministers Carl Severing und des Oberpräsidenten der preußischen Provinz Sachsen Otto Hörsing (beide SPD) die Schutzpolizei überraschend eine begrenzte Aktion in Eisleben starten und von dort aus nach und nach die Region durchkämmen. Nach dem Wahlerfolg der VKPD im Februar beschließt am 28. Februar eine Konferenz in Magdeburg stattdessen für den 19. März eine Großoffensive mit Dutzenden Hundertschaften in der gesamten Region, begleitet von Bekanntmachungen und Pressemitteilungen, die durch Verweis auf angeblich außer Kontrolle geratene Kriminalität und Zehntausende bewaffnete Kommunisten die Arbeiter vor Ort und reichsweit spalten sollen, die anvisierten Strukturen isolieren.
Real ist die Kriminalität in der Region kaum gestiegen und auf ähnlichem Niveau wie in anderen Teilen des Reiches, gemeldet und von Landjägern und Grubenpolizei verfolgt werden hauptsächlich armutstypische Bagatelldelikte wie im Falle des Mansfeld-Konzerns etwa der Diebstahl von Vorhängeschlössern, Brettern, Leisten, Hackenstielen, Schaufeln, Pinseln und ähnlichem, auch ist die Zahl der Waffen in Arbeiterhand viel geringer als behauptet – allerdings auch viel geringer als von kommunistischer Seite erhofft. Das Aufbauschen von Diebstählen um Vorwand für Repression zu schaffen, ist aus der Landwirtschaft seit 1920 gut bekannt (und ist bis heute ein Mittel für forcierte Entlassungen geblieben). Major Folte, der die Schupoaktion in Eisleben und Hettstedt leitet, gibt hinterher zu Protokoll, worauf sein Einsatz gerichtet ist: “Mir ist von der Meldestelle des Oberpräsidiums nur ein Verzeichnis von denjenigen Leuten gegeben worden, die als kommunistische Führer in Frage kamen”.
Zum Kalkül der Polizeioffensive gehört auch, die Reichswehr nicht hinzuzuziehen, einerseits um akut eine Wiederholung der revolutionären Aktionseinheit vom März 1920 zu verhindern, andererseits aber auch um perspektivisch die Aufstandsbekämpfung durch die Polizei zu etablieren und die Reichswehr für den Aufbau ihrer militärischen Schlagkraft freizumachen. Die Schutzpolizei verfügt für ihre Aufgaben laut Reichsinnenministerium pro Beamtem über eine “blanke Waffe, Pistole, Handgranate”, auf je drei Beamte über ein Gewehr, auf 20 Beamte über eine Maschinenpistole und auf je 1000 Beamte über einen Panzerwagen mit zwei schweren Maschinengewehren.
Das Bestreben der neuen VKPD-Führung im Frühjahr eine revolutionäre Offensive zu starten fällt nun mit den Plänen der Staatsgewalt für einen vernichtenden Schlag gegen die revolutionären Kräfte zusammen, und beides überschattet die wachsende Unzufriedenheit, Streik- und Protestbereitschaft über Mitteldeutschland hinaus. Während die Staatsgewalt sich von der wachsenden organisatorischen und parlamentarischen Stärke der Kommunisten zu raschem und umfassendem Vorgehen angetrieben sieht, werden diese zusätzlich von der Lage in Sowjetrussland zum Handeln gedrängt: nach heftigen Streiks und Protesten, die in die Verhängung des Ausnahmezustands über Petrograd mündeten, beginnt am 1. März 1921 der Matrosenaufstand von Kronstadt gegen die Parteiherrschaft der Bolschewiki.
Zitate aus/nach: Stefan Weber “Ein kommunistischer Putsch?” (Berlin 1991)
Märzkämpfe 1921, Teil I – 20. Februar, Kommunistischer Wahlerfolg in Mitteldeutschland
Märzkämpfe 1921, Teil II – 24. Februar, VKPD-Führung legt Ämter nieder
Übersicht über die bisherigen Postings zur Revolution in Deutschland 1918-23
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