Märzkämpfe 1921, Teil VIII (Schluss) – 1. April: Letzte Schlacht, Nachspiel, Bilanz

April 1st, 2021

Am 1. April 1921 findet die letzte Schlacht der Mitteldeutschen Märzkämpfe statt. Die Aufständischen um Max Hoelz haben sich nach ihrem Sieg über die Schupo in Gröbers drei Tage zuvor zwar durch Arbeiter aus dem Bitterfelder Revier wieder auf 500 Mann verstärkt, wollen sich zu diesem Zeitpunkt angesichts der überall zusammengebrochenen Streiks jedoch, wie im Vorjahr im Vogtland, aus dem Aufstandsgebiet zurückziehen, ihre Waffen verstecken und auf die nächste Erhebung warten.

Die Schutzpolizei kann sie allerdings in Beesenstedt bei Wettin stellen, beschießt sie mit Artillerie und reibt die Truppe mit fünf Hundertschaften komplett auf. Die Aufständischen haben 18 Tote und zahlreiche Verwundete zu beklagen, verlieren ihre ganze Ausrüstung, können zwar über die Saale flüchten, werden in den nächsten Tagen aber größtenteils aufgegriffen. Damit ist der militärische Aufstand niedergeschlagen. Im Zusammenhang mit den Märzkämpfen kommen reichsweit mehr als 300 Aufständische, Streikende, Protestierende und Unbeteiligte ums Leben, ein Großteil durch Erschießungen, 40 Tote gibt es in den Reihen der Schupo. In Mitteldeutschland standen sich insgesamt 39 Hundertschaften und etwa 4000 Arbeiter gegenüber. An den Streiks und Protesten beteiligen sich im ganzen Reich etwa 200.000.

In zwei Dutzend Städten nehmen bereits seit dem 29. März Außerordentliche Gerichte ihre Arbeit auf, deren Rechtsgrundlage im Rahmen der Kriminalisierung der Revolution schon im letzten Herbst erarbeitet wurde und in deren Zuständigkeit 91 Tatbestände überführt wurden. Während es auf Seiten der Schupo trotz eines späteren parlamentarischen Untersuchungsausschusses im Preußischen Landtag (Oberpräsident Hörsing dort über Grausamkeiten der Polizei: “bedauerlich”, aber nichts nachgewiesen) nur zu einer Veurteilung kommt, werden von den 6000 im Aufstandsbereich Gefangenen, die vielfach tagelang misshandelt und gedemütigt werden, 4000 zu einem großen Teil wegen Verstößen gegen das noch am 1. März verlängerte Entwaffnungsgesetz (siehe Teil III) in “abgekürzten” Verfahren praktisch ohne Verteidigung verurteilt, darunter Hunderte zu langen Zuchthausstrafen, so auch der am 16. April in Berlin verhaftete Max Hoelz.

Die VKPD ruft die Rote Hilfe ins Leben, die in den nächsten Monaten mehrere Millionen Mark für Gefangene, Verwundete und deren Angehörige einsammeln kann, darunter auch einige USPDler und SPDler. Am 13. April fordern ADGB und AfA die baldige Abschaffung der Außerordentlichen Gerichte. Es kommt zu weiteren Protesten gegen den anhaltenden Ausnahmezustand, die Schupo-Besatzung und die Sondergerichte. Unterdessen “säubert” die Polizei den ganzen April über Orte im Aufstandsbereich, so Bucha am 4. April, Nebra am 6. und 19. April, am 17. April Bad Bibra, am 20. April Naumburg und am 4. Mai Eckartsberga. Erst im Juli nehmen die Patrouillenfahrten ab.

Mitteldeutsche Unternehmen geben etwa eine Million Mark für eine Schupo-Dauerbesatzung von Eisleben, Hettstedt und Mansfeld. Auch in den Betrieben und Verwaltungen werden nun Tatsachen geschaffen. Es hagelt Entlassungen gegen die an Streiks und Besetzungen Beteiligten, Urlaubsansprüche werden aberkannt, der Kündigungsschutz aufgehoben, die Position der Vertrauensleute beschränkt. In der Folge werden die Löhne gedrückt, es gibt dagegen kaum noch Streiks, die Arbeitsleistung wird gesteigert. Hörsing verordnet am 8. April: “Alle Amtsvorsteher und Amtsvorsteher-Stellvertreter, welche offen zur Kommunistischen Partei sich bekannt haben, werden vorläufig ihres Dienstes enthoben.”

Paul Levi, der am 24. Februar den VKPD-Parteivorsitz geräumt hat (siehe Teil II), veröffentlicht am 12. April seine Broschüre “Unser Weg. Wider den Putschismus”. Er sieht im isolierten Kampf des März nicht nur Dummheit, sondern Verbrechen – Avantgarde allein könne nicht siegen. Die KP soll weder ihren Massencharakter durch Putschismus noch ihren revolutionären Charakter durch Aufgehen in der Tagesarbeit verlieren. Trotz prominenter Zustimmung in der Partei wird Levi am 15. April ausgeschlossen.

Statt Selbstkritik übt sich die VKPD-Führung in Selbstfeier, der März wird als reinigende Bewährung des “Stoßtrupps” gepriesen, Disziplin und Opfersinn werden betont, die Verantwortung für die Niederlage der KAPD und “lokalen Funktionären” zugeschoben. Gleichzeitig betreibt die Partei nun eine intensive Säuberung von Gegnern des Aufstands (und ihrer “Passivität”), sie wird aber auch selbst überall herausgesäubert und verliert vielerorts ihre Stellung in den Betrieben. Diese verlorene gesellschaftliche Macht wird durch immer schrillere Töne ersetzt. Der Mitgliederbestand der VKPD sinkt von 359.000 zu Beginn des Aufstandes auf 180.443 im Sommer 1921. Das Ergebnis ist gerade in Mitteldeutschland keine große Rückwanderung in die anderen Arbeiterparteien, sondern eher eine allgemeine Entpolitisierung.

Aus den Kämpfen bleiben Hunderte Illegalisierte zurück, viele schon seit dem März 1920 im Untergrund, die sich auf Diebstahl und Banküberfälle für ihren Lebensunterhalt besinnen – Karl Plättner schreibt ihnen mit “Der organisierte rote Schrecken – Kommunistische Parade-Armeen oder organisierter Bandenkampf im Bürgerkrieg” das Programm. Auch wenn in den entstehenden illegalen Gruppen nun einige Frauen mitwirken, sind sie wie die Märzkämpfe fast reine Männerveranstaltungen.

In den ersten beiden Jahren der Revolution war das Zusammengehen der SPD-Führung als Regierung mit konterrevolutionären Truppen ein Konflikt auch innerhalb der Sozialdemokratie. Nun wird sozialer Widerstand systematisch kriminalisiert und in die Ecke getrieben, Aufstandsbekämpfung ist Verbrechensbekämpfung, statt der Reichswehr macht das die Polizei – und geht dabei überwiegend gegen diejenigen vor, die im Kern immer noch das vertreten, was vorübergehend fast eine Mehrheit in der deutschen Gesellschaft hatte (und das sich nun nach all dem Morden auch nicht mehr unbedingt noch äußert). Offiziell ist auch die SPD nach wie vor für die Sozialisierung, die sie nur leider, leider nicht hat durchsetzen können.

Erst ab jetzt stehen stehen sich im hegemonialen Verständnis Rechtsstaat und Demokratie auf der einen und Parteiherrschaft und Bandenkrieg auf der anderen Seite krass gegenüber – dazwischen hatte es für einen großen Teil der Revolution die deutliche Position der Rätedemokratie gegeben, die nun zwar noch nicht vollständig zerrieben ist, aber weit davon enfernt, artikulierte Massenauffassung zu sein.

Während der März 1921 gewissermaßen zur Geburtsstunde der deutschen radikalen Linken wird, die aus den Betrieben und in die kriminalisierten Ecken verwiesen ist, schult die Polizei bis in die BRD der 50er Jahre hinein Aufstandsbekämpfung am Beispiel der Märzkämpfe.

Hinter den Schuldzuweisungen und Rechtfertigungen im Anschluss an die Ereignisse verschwand, was Prof. Dr. Patrick Wagner, Professor für Zeitgeschichte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, als “die treibende Kraft, ohne die es nicht zu den Märzkämpfen gekommen wäre” benennt: die “militante Massenbewegung aus der regionalen Arbeiterschaft, die für eine Sozialisierung im Sinne der Aneignung der eigenen Betriebe durch die Belegschaften eintrat.”

Schupo mit Artillerie im Einsatz im Mansfelder Land Ende März 1921

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Über die Schupo und einige ihrer Verbrechen im Mitteldeutschen Aufstand berichtet Emil Julius Gumbel in “Vier Jahre politischer Mord”, Berlin 1922, Seite 67f.

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Märzkämpfe 1921, Teil I – 20. Februar: Kommunistischer Wahlerfolg in Mitteldeutschland
Märzkämpfe 1921, Teil II – 24. Februar: VKPD-Führung legt Ämter nieder
Märzkämpfe 1921, Teil III – 1. März: Kriminalisierung von Armut und Widerstand
Märzkämpfe 1921, Teil IV – 13. März: Vereitelter Anschlag auf die Siegessäule
Märzkämpfe 1921, Teil V – 19. März: Polizei marschiert in Mitteldeutschland ein
Märzkämpfe 1921, Teil VI – 23. März: Tote bei Protesten in Hamburg, Aufstand in Mitteldeutschland
Märzkämpfe 1921, Teil VII – 29. März: Leuna gestürmt, Tote auch im Ruhrgebiet, in Mannheim und Karlsruhe
Übersicht über die bisherigen Postings zur Revolution in Deutschland 1918-23

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