Chaos und Kritische Theorie auf dem 23C3
October 15th, 2006Der von scrupeda und mir eingereichte Vortrag für den diesjährigen Chaos Communication Congress ist ins Programm aufgenommen worden! Jubel! Und noch mehr Jubel über das Fragezeichen im Veranstaltungslogo mit dem schönen diskordischen Motto: “Who can you trust?”
Hier unser Einreichungstext, der allerdings noch etwas unscharf ist, weshalb auch alle, die etwas zum Thema beizusteuern haben, herzlich dazu eingeladen sind! Ich denke da vor allem an Jochmet, Ungi, Torsun, Neingeist und Andrej)
Critical Theory and Chaos
Adorno, Wilson, and DiscordianismLecture about the relation of Critical Theory and Discordian thought. Oona Leganovic will attempt to initiate a Critical Theory of Chaos. Daniel Kulla will try to locate the Chaos in Critical Theory. Most probably very serious fun.
————————————————————————————
Während Wilson sich alles gibt, in jeden Abgrund schaut und sich möglicherweise experimentell erstmal reinfallen lässt, denkt die Kritische Theorie vom Wissen um den Holocaust, dem einen großen Abgrund aus, dessen Wiederholung es unbedingt zu vermeiden gilt. Und während vieles ihrem Blick entgeht, kann man Wilsons Neophilie und Optimismus, seinem Vorspielen von Möglichkeiten und nichts zuletzt der teilweise an Selbsthilfe-Handbücher gemahnenden Aufforderung, neue Möglichkeiten des eigenen Nervensystems zu spielen, vorwerfen, den Fokus von den gesellschaftlichen Verhältnissen weg und auf die (Eigen-)Schuld des Einzelnen zu richten. Wobei auch der Kritischen Theorie klar ist, dass die Verhältnisse so sind, wie sie sind, weil sie von jedem einzelnen ständig reproduziert werden. Eine Huhn-oder-Ei-Frage also? Alles bloß eine Frage der Perspektive?
————————————————————————————
Kritische Theorie und Diskordianismus gehören zu den am weistesten verbreiteten Elementen des ‘social hacking’, jedoch ist gerade in den letzten Jahren des Adbusting und des Hacktivism unübersehbar geworden, daß von beiden Denktraditionen in der Hauptsache stark vereinfachte und oft auch ideologisch abgeschlossene Formen Verwendung finden. Kritische Theorie wird zumeist auf ein unbestimmtes Unbehagen an der Kulturindustrie, der Globalisierung und den technologischen Entwickungen reduziert, während Diskordianismus zur Illustration oft bedenklicher Parteinahmen für irrationale politische Auffassungen dient.Wenn nun der Versuch unternommen wird, die Kritische Theorie dem diskordischen Witz auszusetzen und den Diskordianismus der Ideologiekritik, soll es dabei um zweierlei gehen:
Erstens um eine Freilegung des jeweiligen Potentials, um die Frage danach, worin sich die populäre Version von diesem Potential unterscheidet oder ihm gar entgegensteht. Hierzu wird die diskordische Infragestellung des je eigenen Standpunktes der intellektuellen Autoritätsvorstellung der Kritischen Theorie entgegengehalten und andersherum die vermeintliche diskordische Offenheit, etwa im verschwörungstheoretischen Diskurs, ideologiekritisch betrachtet. Es wird diskordische Witze über Adorno geben und in der Gegenrichtung adornitische Humorkritik.
Zweitens soll es um die Möglichkeiten der wechselseitigen Anregung gehen, wobei zu diskutieren sein wird, inwiefern diese Wechselwirkung wegen der verschiedenen sozialen und politischen Hintergründe der beiden Denktraditionen nicht zustande kommt. Hier wird das jeweilige Bild vom andern interessieren und die Frage, welche Szenen und Bewegungen sich jeweils aus welchen Motiven für eine der beiden Ideengebäude entschieden haben. Zur Diskussion stellen sich die Möglichkeiten einer kritischen Bewaffnung des Chaos und eine Psychedelisierung der Kritischen Theorie.
October 15th, 2006 at 21:40
Eine große Ehre. Danke. _/\_
Zumal ich schon die eine oder andere Minute über die Verzwicktheiten der obigen Thematik meditiert habe. Vor allem der Aspekt der unerwünschten (?)Nebenwirkungen der Beschäftigung mit den beiden Großtheorien (bzw. -methoden) – Paranoia und Depression – hat es mir angetan. Das alles im Kontext der Hochschuldidaktik versteht sich. 😉
October 15th, 2006 at 21:48
Paranoia und Depression, aber in den guten Momenten eben auch umfangreiche Erheiterung und weitreichende Erkenntnis. Oder kann man den Begriff ‘Erleuchtung’ noch bringen? Spirit shine all the time can render you blind…
October 15th, 2006 at 22:14
Die schlechte Nachricht: http://blog.fefe.de/?ts=bbcc446f
October 15th, 2006 at 22:32
Erleuchtung? Von mir aus kann man das. Aber ich kann schon die Bedenkenträger hören (interne und externe). “Erhellungen” hört sich moderater an.
October 15th, 2006 at 22:34
Illuminationen?
October 16th, 2006 at 07:31
Illuminationen? Auch das. 🙂
In Bolivien übrigens nennen sich die Lampen- und Elektrogeschäfte mit “Illuminaciones” und werben gerne mit dem Auge in der Pyramide.
Nachtrag: Womöglich sind Paranoia und Depression notwendige Phasen für den
Erkenntnisweg einer diskordischen frankfurter Schule. Gefahr: Fixierung, Hängenblieben darin (Krankheitsgewinne wie Angslust und Selbstmitleid inklusive).
October 16th, 2006 at 08:25
Möglicherweise sind die Erkenntnisse auch einfach sekundäre Krankheitsgewinne.
October 16th, 2006 at 09:30
Radikal! :)))
October 16th, 2006 at 11:05
Nicht, wenn man ein paar Phil Dick-Bücher gelesen hat.
October 16th, 2006 at 13:27
Ich wollte nur einen naheliegenden Witz machen. Puh. Sekundärer Witzgewinn.
October 16th, 2006 at 20:48
[…] Wenn mich nicht alles täuscht verkündet mir die Pentabarf Instanz für den 23C3 – Who Can You Trust? inzwischen, dass ich sowohl einen Vortrag über die deutsche Paranoia gegenüber dem Radio halten darf (geschichtsträchtig, geht es doch u.a. darum, wie gründlich schon in der Weimarer Republik für Zensur gesorgt wurde, und wie leicht dies die propagandistische Gleichschaltung dieses Mediums den Nazis machte), als auch zusammen mit Classless über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Kritischer Theorie und Diskordianismus, Adorno und Robert Anton Wilson orakeln. Aus vorfreudigem Übermut hier schonmal die vorläufigen Ankündigungstexte, und wenn irgendwem noch etwas zu einem der Themen einfällt, und sei es nur eine Frage, ich nehme alles dankbar entgegen… […]