classless Kulla

Vorher sehe ich auf den Zufahrtstraßen zum Mariannenplatz Kinder Polizeikontrolle spielen. Sie halten mir Spielzeug entgegen und sagen: “Halt, Polizei!” Am Rande des Platzes steht eine Mutter mit zwei Kindern, das eine deutet auf die sich sammelnden Autonomen und ruft begeistert: “Geil, jede Woche Kino!” Aus dem Lauti wird zum “Fight back” aufgerufen, gegen die Repression (“Wer Wind sät, wird Sturm ernten”) und “gegen eine Welt, in der Profit und nicht die Bedürfnisse der Menschen zählen.” Es läuft “Power to the people” von John Lennon, dann “Macht kaputt, was euch kaputt macht” von den Scherben und danach Anarchist Academy.

Sind es viele Demonstranten? Für eine Spontandemo sind 3000 (Spiegel Online gestern abend: “Große Ruhe”) bis 5000 (Lauti) und 10000 (indymedia) nicht schlecht, andererseits waren sowohl die Razzien wie auch die Erwartung von Protesten dagegen den ganzen Tag über in allen Medien, im Fernsehen, auf den Internetseiten der Zeitungen, in den Blogs (z.B. netzpolitik, Bildschirmarbeitsplatz, Sex, Drugs & Compiler Construction, nochmal netzpolitik)

Als sich der Zug in Bewegung setzt, ist der erste Sprechchor einer, der auf “Militante Gruppe ist wunderbar” endet. Danach sind am häufigsten zu hören: “Wir sind nur die Vorwarnung!”, “A – Anti – Anticapitalista!”, “Berlin grüßt Paris – Fight the police!”, später immer öfter und lauter “BRD – Bullenstaat, wir haben dich zum Kotzen satt!” und vor allem “Wir sind alle 129a!” Aus dem Lauti wird “Freiheit für Christian Klar” gefordert.

Die Demo bewegt sich überwiegend untergehakt und im vorderen Teil sehr alert im Zickzack durch den Kreuzberger Kiez. Am Oranienplatz kommt es zur ersten Festnahme: nach Angaben der Polizei hatte ein Mann im Holzfällerhemd und mit Sonnenbrille in der Demospitze wiederholt den deutschen Gruß gezeigt und wurde daraufhin aus der Demo abgegriffen. Die Polizei bittet die Veranstalter durchzusagen, warum die Verhaftung erfolgt sei. Aus dem Lauti höre ich einige Minuten später, daß “ein Genosse” verhaftet worden sei.

Nach geschätzten zwei Stunden endete der Aufzug am Schlesischen Tor, bemerkenswerterweise ohne Ausschreitungen und mit sehr wenig Verhaftungen. Im mittlerweile überarbeiteten Spiegel-Online-Bericht hieß es gestern abend noch, es seien 570 Beamte im Einsatz gewesen, “dennoch” sei es zu keinen Ausschreitungen gekommen.

Einiges Gerangel gab es bei der Auflösung der Menge, doch nach einer weiteren Stunde waren fast alle gegangen und eine freundliche und müde Stimme aus dem Polizei-Lauti wünschte “noch einen schönen Tag”. Ich aß auf und verwickelte mich noch kurz in einen unerfreuliche Diskussion mit zwei Leuten, die zwar einerseits die Parole “G8 versenken” blöd fanden, andererseits aber der Überzeugung waren, dort träfen sich diejenigen, die “alles entscheiden”. Trotz ihrer bekundeten “Sorge um Afrika” verwechselten sie Kongo und Darfur und fragten mich, obwohl weder Israel noch Antideutsche Thema gewesen waren, ob ich denn meine Israel-Fahne mit nach Heiligendamm bringen wollte.

(Offene Fragen: Was war das für ein Lied mit der Refrainzeile: “Wir sind sechs Milliarden und wir kommen um euch wegzujagen”? Wann ist eigentlich aus “No justice, no peace, fuck the police” “No justice, no peace, fight the police” geworden?)

This entry was posted on Thursday, May 10th, 2007 at 12:34 and is filed under Teilnehmende Beobachtung