Verkürzte Entschwörungstheorie (2)

August 19th, 2007

Das “Antifaschistische Infoblatt” beschäftigt sich in der neuesten Ausgabe mit “Verschwörungstheorien”. Zumindest die beiden im Netz abrufbaren Artikel schießen in leider bekannter Weise dicht daneben.

Erst, im Editorial, die richtige Frage aufgeworfen bzw. von Hannah Arendt zitiert:

>>…vielmehr gehe es darum, zu erklären, weshalb eine so offensichtlich Fälschung bis heute von so vielen geglaubt wird.<< Dann aber doch lieber auf die Kolporteure gezielt: >>Die Suche sollte sich also weniger auf die Verschwörer, als vielmehr auf die Verschwörungssucher selbst konzentrieren.<< Zwischendrin dieser Satz, der mich an den Anwurf nach einem Vortrag erinnerte, die Unterstellung individuellen Einflusses auf die Geschichte sei anti-materialistisch: >>Grundlage aller Verschwörungstheorien ist ein vereinfachendes Welt- und Geschichtsbild, das auf der Grundannahme basiert, dass die soziale Wirklichkeit durch Handlungen von Personen direkt steuernd beeinflusst werden könne.<< Dem Beitrag von Leonard Zeskind im selben Heft würde wiederum eine Unterscheidung zwischen Verschwörungstheorien, die die Faktenbasis erweitern und den Sinn für Zusammenhänge schärfen können, und Konspirationismus, der bestätigende Fakten aufgreift oder simuliert, gut tun:

>>Anstatt das Wissen um die ökonomischen, sozialen und politischen Vorgänge in der Gesellschaft zu fördern, bauen die quasi-religiösen Verschwörungstheorien auf Fiktion und ignorieren die Fakten. Nahezu jede Verschwörungstheorie enthält eine unsichtbare Hand, die auf mysteriöse Weise die Dinge steuert – ein Teufel oder eine satanische Gestalt, die auf der Erde ist, um Böses zu tun. In jeder Kultur oder Gesellschaft, in der der Teufel oder das Böse eine wichtige Rolle spielen – in dieser Hinsicht sind die USA nicht alleine – ist somit anfällig für Verschwörungstheorien und deren verheerende Auswirkungen auf das Verständnis gesellschaftlicher Zusammenhänge.<< Nicht nur enthalten auch andere Theorien Annahmen über unsichtbare Hände und verborgene Variablen. Auch kommt jede Verschwörungstheorie, die auf – etwa durch Untersuchungskommissionen – überprüfbare Absprachen zielt, ohne eine solche Annahme aus.

Auch kein gutes Zeichen: Die “junge Welt” bespricht das AIB, als hätte das Thema rein gar nichts mit ihr zu tun.

Wenn ich wieder in Berlin bin, schaue ich mir den restlichen Schwerpunkt an.

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(Verkürzte Entschwörungstheorie (1))

10 Responses to “Verkürzte Entschwörungstheorie (2)”

  1. nonono Says:

    Nicht nur unsichtbare Hände, auch tanzende Tische und rollende Äpfel!

    Vielleicht herrscht beim AIB noch die gute alte Tscheka-Logik vor, nach der erst die Verschwörungspropagandisten dingfest gemacht werden müssen, um aus ihnen dann herauszubekommen, warum ihre Propaganda so doll verfängt.

  2. Hagbard Jesus Celine Says:

    Hat jemand gestern “Staatsfeind Nr. 1” gesehen: “Verschwörungstheoretiker aller Länder, vereinigt Euch!” Vielleicht sind die lieben Antifaschisten auch ganz ordinär neidisch auf die Propagandaerfolge.

  3. classless Says:

    Ich mag ja auch den Werbeslogan für den Film: Es ist keine Paranoia, wenn sie wirklich hinter dir her sind.

  4. tee Says:

    aha, ich kannte das immer so ähnlich unter: paranoid zu sein heisst noch lange nicht, dass du nicht auch wirklich verfolgt wirst.

  5. Hans Says:

    Möglicherweise würden die Genossen vom AIB die wertkritischen Betrachtungen über “theologische Mucken” der Ware auch für verschwörungstheoretisch halten. Für die Wendung “Herrschaft der Ware” sind solche Invektiven von Traditionsmarxisten schon verhängt worden.

  6. classless Says:

    Diese Figur habe ich aber auch schon anders erlebt: Auf die Rede von der Herrschaft eines abstrakten Prinzips reagieren etwa von der SI beeinflußte Kommunisten durchaus skeptisch, bis der Nachsatz folgt, daß es sich um ein abstrakts Prinzip handelt, dem Menschen durch ihr tägliches Handeln Macht verleihen und das von Menschen demzufolge auch überwunden werden kann.

  7. godforgivesbigots Says:

    Das AIB faßt die heiße Kartoffel an und läßt sie wieder fallen.

    Das ist nicht ganz ohne Ironie, immerhin hat die Berliner Antifa unmittelbar nach 9/11 spekuliert es könnte sich um eine Tat nach dem Modell Oklahoma handeln, d.h. nichts was mit dem Islam zu tun hätte…

    Auf die Frage woher das Bedürfnis nach Verschwörungstheorie entsteht, folgt die Ausrede das ganze Thema gehöre in den Bereich der Theologie. Dabei ist der Antifaschismus selbst bloß eine Theorie über das Böse, d.h. eine Art Religion.

    Die Verschwörungstheorie spricht davon, daß jeden Tag nennenswert viele extra dafür bezahlte Regierungsmitarbeiter an Stellen, die für das Selbstbild einer Gesellschaft sensibel sind, in die Abläufe des Alltags eingreifen nur um einer großen Zahl von Menschen Schaden zuzufügen. Tausende Beamte machen ständig gefährlich dummes Zeug in der Öffentlichkeit und keiner nimmt es wirklich zur Kenntnis? Das gibt es tatsächlich, es heißt Prohibition oder auch “war on drugs”, und wird mittels solcher Stellvertreterdiskussionen geistig-moralisch verdaut.

  8. classless Says:

    Gut, das schießt jetzt wieder etwas übers Ziel hinaus: Es geht nicht in allen und schon gar nicht in den meisten hiesigen Verschwörungstheorien und etwas so Realitätsnahes wie Regierungsaktionen mit zuwenig öffentlicher Aufmerrksamkeit, sondern eben um Geheimbünde, die wiederum Fronten eines satanischen oder jüdischen Einflusses sind.

  9. godforgivesbigots Says:

    Welchen Zweck soll ein Geheimbund haben wenn er nicht als Einflüsterer von Regierungen funktioniert? “Die Illuminaten” unplugged wären ja bloß irgendein weiterer Debattierklub ohne Einfluß.

  10. classless Says:

    Äh, genau.

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